»Religion ist eines der witzigsten Dinge«
StadtRevue: Herr Becker, freuen Sie sich auf den Evangelischen Kichentag in Köln?
Jürgen Becker: Das ist ja ein Wochenende mit Brückentag, da machen wir immer mit Freunden und Kindern irgendwelche Ausflüge. Deswegen findet der Kirchtag für mich persönlich nicht statt.
Ihr neues Buch heißt »Werkzeugkiste für Weltverbesserer«. Da müssten Sie sich auf dem Kirchentag doch ganz zu Hause fühlen.
Ich war einmal im Leben auf einem Kirchentag, und das hat mir nicht so gefallen. Das war mir zu evangelisch, das war so ernsthaft. Ich kann es nicht gut aushalten, wenn Religionen ernst genommen werden.
Ihr aktuelles Programm heißt »Ja, was glauben Sie denn?« Warum interessiert Sie das Thema überhaupt?
Religion ist eines der witzigsten Dinge, die es gibt – weil es immer mit Fantasie zu tun hat. Zum Beispiel die Finnen, die haben geglaubt, dass früher der Himmel so niedrig hing, dass die Menschen immer gebückt gingen. Das hatte den Vorteil, dass sie sich direkt mit den Göttern unterhalten konnten. Die Götter waren quasi in der Mansarde direkt oben drüber, wenn mal Butter oder Salz fehlte, konnte man sich das ausleihen. Aber das Problem war, dass der Rauch nicht abzog. Deshalb haben die Götter gesagt: Gut, dann machen wir den Himmel höher. Seitdem kann man aufrecht gehen, aber mit den Göttern nicht mehr reden, weil sie so weit weg sind. Deshalb hat man dann Schamanen und Priester als Berufsgruppe erfunden, die den Kontakt wieder herstellen. Ich halte es mit Woody Allen: Es gibt das Paradies – die Frage ist nur: Wie weit ist es weg vom Zentrum und wie lange hat es auf?
In Köln scheint man sich nicht besonders für den Kirchentag zu interessieren. Die Suche nach Privatquartieren für Gäste läuft hier so schleppend wie in keiner anderen Stadt...
Ich glaube, die Evangelische Kirche wird in Köln einfach nicht so ernst genommen. Die ist nicht so wichtig. Das liegt natürlich daran, dass sie keine Bilder produziert. Der Kölner liebt die farbenfrohen Umzüge, Rosenmontagszug, Christopher Street Day oder Frohnleichnamsprozession, Hauptsache d’r Zoch kütt. Die Katholische Kirche produziert dauernd Bilder. Wenn der Papst durch die Straßen fährt wie neulich in Bayern, dann sind da 500.000 Zuschauer – mehr als bei den Rolling Stones! Gut, der Papst ist auch jünger. Und in Bayern fühlt der sich besonders wohl, weil da in den Kühlhäusern die Auferstehung des Fleisches wörtlich genommen wird. Aber der Papst in seinem Auto ist ja auch ein super Bild! Das wäre bei den Evangelen undenkbar. Man muss sich nur mal vorstellen, die Landesbischöfin von Hannover, Margot Käsmann, würde oben auf einem Auto sitzen und winkend durch die Straßen fahren. Da würde jeder nur sagen: Die ist nicht angeschnallt!
Ihr Lied »Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin« wurde auf der »Prots-Sitzung« parodiert – einer Karnevalssitzung, die von evangelischen Pfarrern veranstaltetet wird. Das ist doch ein Zeichen, dass sich die Protestanten in Köln ziemlich gut integriert haben, oder?
Das stimmt, in Köln sind viele Evangelen katholischer als die Katholiken. Die haben das Lied perfekt auseinander genommen. Die hatten sich mein Geweih ausgeliehen und meine Jacke, die ich bei dem Lied trage – das war eine super Nummer. Ich habe überhaupt nichts gegen Evangelen, ich finde, dass die in Köln oft gute Arbeit machen. Aber philosophisch betrachtet ist eben der Katholizismus attraktiver, weil er nicht so vernünftig ist. Die Katholen erzählen in aller Öffentlichkeit einfach auch mal Scheiß, wie Mixa und Meisner, das ist super!
Die offiziellen Themengebiete des Kirchtags heißen »Mensch«, »Gemeinschaft« und »Welt«. Dahinter stecken interessante Themen wie Medizin und Ethik, Zukunft der Arbeit, Dialog der Kulturen und so weiter. Aber überraschend klingt das nicht...
Das klingt vor allem zu vernünftig. »Mensch, Gemeinschaft, Weltuntergang« – da will man schon eher dabei sein. Wenn es heißt: »Grüne für Klimaschutz«, sagt jeder: Ja, und? »FDP für Klimaschutz«, da kommt Spannung auf. Wenn die Katholen verkünden: Aidsprävention in Afrika durch Kondomverbot – dann denkt man gleich: interessant, wie soll das denn gehen? Oder Zölibat – da fragt man sich: Wäre das auch was für mich? Und schon ist Stimmung in der Bude.
So ein Großereignis wie der Kirchentag geht nicht spurlos an der Stadt vorüber. Mir hat mal jemand gesagt: Ich finde solche Veranstaltungen eigentlich interessant – aber ich möchte nicht in der U-Bahn singen müssen.
Das ist wie beim Karneval. Heinrich Böll hat mal gesagt, Karneval in Köln kann man nicht ignorieren, man kann sich nur aus der Ansteckungszone entfernen. So ist das mit dem Kirchentag auch – zumindest war das beim Weltjugendtag so. Mal sehen, ob das die Evangelen auch hinkriegen…
Welche Rolle spielt denn Religion heute überhaupt in einer Stadt wie Köln?
Zum einen geht der Trend ein bisschen in Richtung Wellnessreligion. Man könnte den Gottesdienst auch in der Sauna machen. Der Pfarrer kommt dann mit dem Aufguss und verwedelt den Heiligen Geist, was anderes ist ja Weihrauch auch nicht. Gott ist nicht mehr der bärtige Beobachter auf dem Fensterbrett der Umlaufbahn, sondern eine Art Yogalehrer und spiritueller Sponsor. Auf der anderen Seite wächst aber die Angst vor dem Fundamentalismus. Man sagt, die Terroristen missbrauchen den Koran für ihre Zwecke. Das stimmt so nicht, die nehmen den wörtlich! Es ist halt nicht einfach mit dem Wort Gottes. Die Bibel ist ein über Jahrhunderte entstandenes Sammelwerk von Geschichten, ein Archiv, ohne das wir nicht recht wüssten, wo wir herkommen. Ich hoffe mal für Gott, dass das nicht alles Wort Gottes ist. Da steht ja auch viel Mist drin. Buch Mose: Wenn ein Mann mit einer Frau schläft, die einem anderen versprochen wurde, dann steinigt beide und richtet sie hin. Steinigung schön und gut, aber hinrichten, das muss nicht sein. Derselbe Fall im Koran: Schlagt die Andersgläubigen, wo ihr sie trefft! Deshalb wollte ich immer T-Shirts drucken: »Ich nehme den Koran nicht wörtlich.« Das würde mich im Umgang mit Muslimen enorm beruhigen. Dasselbe gilt für die Bibel.
Das würde die Fundamentalismus-Debatte bestimmt entspannen ...
Wie die Religionen miteinander klar kommen, ist der enscheidende Punkt. Früher hatten wir mehrere Götter, da gab es keine Religionskriege. Die Römer haben nicht gesagt: Die Griechen sind die Ungläubigen. Eine enorme Toleranzleistung! Man hatte mehr Auswahl und war nicht so fundamentalistisch. Kardinal Meisner sagt: Ich erlaube keine multireligiösen Feiern an Schulen, es ist nicht derselbe Gott, den die Muslime anbeten. Also gibt es doch mehrere Götter! Das ist mir ganz Recht. In einer multireligiösen Stadt wie Köln sollte ein neuer Polytheismus möglich sein. Wie früher bei uns Germanen: Donar am Donnerstag, Freya am Freitag und samstags Thor. Beim Fußballgott rufen wir das ja heute noch: Tor, Tor, Tor!
Kirchentag in Köln
Der 31. Deutsche Evangelische Kirchentag beginnt am Mittwoch, den 6.6. um 17.30 Uhr mit mehreren Eröffnungsgottesdiensten, unter anderem auf den Poller Wiesen, und dem anschließenden »Abend der Begegnung« in der Altstadt, am Rheinufer und in Deutz. Donnerstag bis Samstag stehen im Zeichen des thematischen, geistlichen und kulturellen Programms: So unterschiedliche Gäste wie Angela Merkel, Reinhold Beckmann, Kathrin Passig und Navid Kermani diskutieren in den Messehallen und an anderen Orten der Stadt über fast alles, was die drei Themenbereiche »Mensch«, »Gemeinschaft« und »Welt« hergeben; das Programm umfasst 600 Seiten (siehe auch www.kirchentag.de). Am Donnerstag, den 7.6.findet außerdem um 20 Uhr auf dem Roncalliplatz ein »Ruf an den G8-Gipfel in Heiligendamm« statt, unter anderem mit Susan George (Attac Frankreich), Kirchentagspräsident Reinhard Höppner und Erzbischof Desmond M. Tutu aus Kapstadt. Hinzu kommt ein großes Kulturprogramm (www.kirchentag.de/kunst). Die Veranstaltung endet am Sonntag, den 10.6. um 10 Uhr mit dem Schlussgottesdienst auf den Poller Wiesen.