Der blaue Scheinriese
Köln braucht bessere Luft — und für bessere Luft muss Köln sehr viel tun. Anfang Februar bestätigte ein externes Gutachten die schlimmsten Befürchtungen: Die EU-Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten, kann nur mit radikalen Eingriffen ins städtische Leben gelingen. Ein paar Elektrobusse hier, ein bisschen Fassadenbegrünung dort — das wird nicht ausreichen. Nicht nur schmutzige Luft fordert Opfer, sondern auch saubere Luft.
Nur wenige Tage nachdem der Politik die Ergebnisse vorgelegt wurden, beschloss der Stadtrat mit Stimmen von CDU, Grünen und der Wählergruppe Gut einen neuen »Luftreinhalteplan«. Mit dem wollen Bezirksregierung und Stadt den Gerichten zeigen, dass es Köln ernst ist mit dem Kampf gegen Luftverschmutzung. Noch immer drohen gerichtlich verordnete Fahrverbote. Grundlage für den Ratsbeschluss war ein Katalog mit 56 Maßnahmen, die ein Runder Tisch unter Sozialdezernent Harald Rau erarbeitete. Aus diesem Sammelsurium hat die Kölner Politik einen Heilsbringer erkoren: die Blaue Plakette.
Eine Blaue Plakette würde Dieselfahrzeuge aus Köln aussperren, die besonders viele Stickoxide ausstoßen. Das sei »verursacherbezogen«, war sich der Rat weitestgehend einig. Generelle Dieselfahrverbote oder eine City-Maut wurden als »Rasenmähermethode« abgelehnt. Tatsächlich aber ist die Blaue Plakette ein Scheinriese. Denn Kommunen haben bislang keine Handhabe, sie einzuführen. Man will vielmehr an die Bundesregierung appellieren, Kommunen die Einführung einer Blauen Plakette zu ermöglichen. Doch in Berlin rührt sich nichts, CDU und CSU -blockieren. Wenn es dabei bliebe, würde die Wirkung der jüngsten Kölner Beschlüsse verpuffen. Die Hoffnung von Oberbürgermeisterin Reker, sich »Fahrverbote nicht von Gerichten ins Stammbuch« schreiben zu lassen, wäre dahin.
Die Vorwürfe aus Köln an die Bundespolitik (»im Stich gelassen«) und die Autoindustrie (»kriminell«) sind berechtigt. Sie zeigen aber auch, dass man die Verantwortung für die Gesundheit der Menschen auf andere abwälzen will. Dazu passen die taktischen Scharmützel der Debatten in Rat und Fachausschüssen. Dabei sah die Stadt in verschiedenen politischen Konstellationen stets untätig zu, wie Köln in den vergangenen acht Jahren die Grenzwerte ständig riss. Der erhobene Zeigefinger steht keiner Partei zu. Er ist vielmehr ein zynischer Umgang mit dem, was eigentlich ins Zentrum der Diskussion rücken sollte: die Gesundheit der Kölnerinnen und Kölner.