Der Bienenflüsterer

Randolf Menzel erforscht seit mehr als fünfzig Jahren das Gedächtnis der Honigbiene. Im Interview verrät er, wie Bienen Gerüche unterscheiden, wieviel Schlaf sie brauchen und warum Honigbienen immer öfter an Gedächtsnisverlust leiden

Herr Menzel, was fasziniert Sie am Gedächtnis der Honigbiene?

 

Das Bienengehirn ist winzig und doch ein wahrer Hochleistungsapparat. Da wäre etwa der Orientierungssinn: Bei ihren Flugreisen scannen Bienen die Welt um sie herum mit insgesamt 7.000 Punktaugen. Sie sind in der Lage, unterschiedliche Informationen — Sonnenstand, Entfernung, Flugrichtung — zu kombinieren und erstellen so eine innere Landkarte ihrer Um-gebung. Im dunklen Bienenstock geben sie diese Informationen mittels elektrostatischer Felder beim sogenannten Schwänzeltanz an ihre Schwestern weiter. Die Bienen tauschen auf diese Weise neue Informationen über Nektar, Pollen und Wasserstellen aus. Noch erstaunlicher ist aber ihr Geruchssinn: Bienen können Substanzen auseinanderhalten, die sich chemisch in einem einzigen Kohlenstoffatom unterscheiden. Auch heute, nach 50 Jahren Forschung, bin ich noch immer fasziniert von den komplexen Leistungen der Biene. 

 

 

 

In Ihrem Buch »Die Intelligenz der Bienen« geht es auch um die Bienendressur. Kann man Bienen Tricks beibringen?

 

Im Grunde handelt es sich dabei um nichts anderes als den »Pawlowschen Hund«: eine Konditionierung, die uns ermöglicht herauszufinden, ob eine Biene einen bestimmten Reiz von einem anderen unterscheiden kann. Tropft man beispielsweise eine Zuckerlösung auf eine blaue Karte und lässt die Biene diese Karte einige Male anfliegen, kann man sie auf die Farbe Blau konditionieren. Das Erstaunliche ist jedoch: Bienen können diese Regelhaftigkeit auch auf Gerüche oder Muster abstrahieren. Ihre Mengenvorstellung haben wir in einem früheren Experiment geprüft, indem wir Bienen daran gewöhnt haben, dass es auf ihrem Weg zwischen Futterquelle und Stock hinter jedem dritten Zelt Zucker gibt. Egal wie weit wir die Zelte daraufhin auseinander rückten oder enger zusammenstellten: Die Bienen suchten bald hinter jedem dritten Zelt nach Futter.

 

 

An der Freien Universität in Berlin, wo Sie lange Jahre das Neurobiologische Institut leiteten, haben Sie sogar ein Schlaflabor für Bienen eingerichtet. Wieviel Schlaf braucht eine Biene? Das Gehirn der Bienen ist auch hier wieder ein Paradebeispiel. Es braucht Schlaf, um neue Verknüpfungen herzustellen und sich zu regenerieren. Welche Rolle spielt hier der Tiefschlaf?

 

Erstaunlicherweise gönnen sich die sprichwörtlich so fleißigen Bienen häufiger mal ein Nickerchen. Junge Bienen schlafen über den Tag verteilt in häufigen, kurzen Episoden. Ältere, futtersammelnde Bienen schlafen dagegen vor allem nachts und machen um die Mittagszeit herum einen kurzen Nap. Bei unseren Experimenten haben wir festgestellt: Bienen,
die nicht gut schlafen, können auch die am Tag zuvor erlernten Aufgaben nicht gut erinnern. Sie brauchen Tiefschlafphasen, um neu Erlerntes in ein stabiles Gedächtnis zu übersetzen.

 

 

Um das Gedächtnis geht es auch bei Ihren Experimenten mit Neonicotinoiden, einer aggressiven Form von Pestiziden, die seit einigen Jahren in die Kritik geraten sind. Neonicotinoide gehören zu einer neuen Generation von Pflanzenschutzmitteln, die in erster Linie Insektenvernichtungsmittel sind.

 

Sie wirken auf die Gedächtnisbildung von Bienen, indem sie bestimmte Neuronen funktionsunfähig machen. Für die drei stärksten Mittel gilt seit Dezember 2013 eine Beschränkung: Sie dürfen nicht mehr auf Rapssaat und beim Anbau von Kirschen, Äpfeln oder Gurken angewendet werden. Andere Mittel, wie zum Beispiel Thiacloprid, sind von dieser Beschränkung aber nicht betroffen. Sie werden weiterhin in der industriellen Landwirtschaft benutzt — mit teils verheerenden Folgen. Wir forschen vor allem über dieses Insektizid.

 

 

Laut einer Studie aus Wien sollen Neonicotinoide zwischen 5000 und 10.000 mal so giftig sein wie das Supergift DDT. Wie wirken die Mittel auf Bienen?

 

Das kommt auf die Dosis an. Bei hohen Dosen sterben die Bienen direkt vor Ort, bei geringeren können sich die Tiere noch gut bewegen. Sie sind äußerlich völlig unauffällig. Doch im Gehirn hat bereits ein Zerfall eingesetzt: Sie verlieren ihr Gedächtnis. Bei unseren Experimenten füttern wir die Hälfte der Tiere mit einer nicht-tödlichen Dosis Thiacloprid und beobachten dann, wie gut sie sich an das Erlernte erinnern können. Die Bienen, die dieses Neonicotinoid aufgenommen haben, erinnern sich deutlich schlechter als die Bienen aus der Kontrollgruppe. Sie leiden unter Symptomen, die wir als Bienen-Alzheimer bezeichnen: Sie haben kaum mehr soziale Kontakte, verlieren die Orientierung und können nicht mehr von anderen Bienen lernen, wo es etwas Gutes zu Fressen gibt.

 

 

Ein Bienenvolk zählt Tausende von Bienen. Ist es überhaupt schlimm, wenn sich die eine oder andere Biene verirrt?

 

Man darf nicht unterschätzen, wie komplex und vielschichtig die soziale Organisation in einem Bienenstock funktioniert. Je nach Alter übernehmen Bienen darin unterschiedliche Aufgaben. Manche kümmern sich um die Fütterung der Larven, andere sind für die Versorgung der Königin zuständig oder sammeln Futter außerhalb des Stocks. Neonicotinoide können zur Folge haben, dass einzelne Aufgaben nicht mehr gut ausgeführt werden und dadurch das gesamte System in Mitleidenschaft gezogen wird. Werden die Gifte von Bienen aufgenommen und in den Stock hinein getragen, können sie aber auch das Immunsystem schwächen. Das ganze Volk ist dann anfälliger für Krankheiten wie zum Beispiel die von der Varroa-Milbe übertragenen Viren. Neonicotinoide beeinträchtigen auch die Entwicklung der Larven.

 

 

Ende Februar hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, kurz EFSA, ein Gutachten veröffentlicht, in dem sie die Gefahr von Neonicotinoiden für Bienen noch einmal bestätigt. Wie reagieren die Hersteller?

 

Als die EFSA im Januar 2013 drei Pestiziden etliche Risiken für Bienen bescheinigte, wurde sie von Herstellern wie Bayer und Syngenta scharf kritisiert. Sie wendeten ein, dass die Experimente meist im Labor mit viel zu hohen Konzentrationen stattgefunden hätten. Gegen das neue Gutachten von Ende Februar, in dem die EFSA ihre früheren Ergebnisse bestätigte, hat Bayer nun eine groß angelegte Studie veröffentlicht. Sie soll zeigen, dass die Anwendung ihres Saatgutbehandlungsmittels auf Raps keine bedenklichen Folgen für Bienen hat. In der Tat: Neonicotinoide töten Bienen erst bei höheren Dosen. Wegen der vielfältigen nicht-tödlichen Wirkungen ist es aber ein langsamer, ein schleichender Tod, den die Gifte verursachen. Das gilt auch für Thiacloprid.

 

 

Was ist Ihre Prognose für die Zukunft der Biene?

 

Wie die Entscheidung der EU-Komission ausfällt, wird ganz wesentlich von Deutschland abhängen. Bislang war die deutsche Regierung in diesem Punkt allerdings gespalten. Im Raum steht ein Freiland-Verbot für drei Neonicotinoide, doch gerade im Rückblick auf die Glyphosat-Entscheidung hat sich die alte Regierung als eher abhängig von der Industrie gezeigt. Es wird sich zeigen, wie die neuen zuständigen Ministerinnen sich hier verhalten. Auch die Anwendung von Thiacloprid muss eingeschränkt werden. Eine Aufhebung des Verbotes wäre für die Bienen die absolute Katastrophe. Die Beschränkungen beizubehalten hingegen das Allerwenigste, was man tun kann. 

 

 

 

Anmerkung der Redaktion: Am 13.4. twitterte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), dass sie dem Vorschlag der EU-Kommission zustimmen wird. Dieser sieht vor, dass die drei Neonicotinoide nur noch im Gewächshaus angewendet werden dürfen.

 

 

 

Prof. Dr. Randolf Menzel, geboren 1940, Zoologe und Neurobiologe, erforscht
seit mehr als 50 Jahren das Nervensystem von Bienen. 2016 erschien im Knaus
Verlag sein Buch »Die Intelligenz der Bienen. Wie sie denken, planen, fühlen und was wir daraus lernen können«

 

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