Vorsicht, Tisch gestrichen!
Nicht immer ist ein gastronomischer Trend so beredt wie jetzt das »Thekenrestaurant«. Gestern in New York, heute in Berlin, und bald auch bei uns. Plötzlich steht der Tisch — das Symbol für Geselligkeit schlechthin — im Verdacht, eben dies nicht mehr zu sein. An der Theke zu essen, sei geselliger, heißt es nun. Diese Kritik des Tischs ist auch eine Kritik der Tischkultur: zu ritualisiert, zu umständlich, zu unflexibel. Als erstes hat man den Gästen die Tischdecke unter den Tellern weggezogen, nun folgt also der komplette Tisch.
Aber ist ein Tisch denn nicht doch geselliger als die Theke — weil man sich gegenübersitzt und nicht bloß nebeneinander? Das kann nur fragen, wer eine offenbar überkommene Vorstellung von Geselligkeit hat.
Früher waren Thekenbekanntschaften anrüchig, auch wegen ihrer Beliebigkeit. Heute jedoch ist es Ausweis kommunikativer Intelligenz, am Tresen Kontakte zu knüpfen. Das beruflich trainierte Networking spinnt seine Fäden bis ins Privatleben. Wir essen, wie wir arbeiten: in Projekten, flexibel und im Multitasking. In Sushi-Bars mit Laufband haben wir Großstädter das seit den 90er Jahren gelernt. Offenbar braucht es für unseren Lebensstil auch andere Möbel: nicht den Tisch, sondern die Theke — als Durchreiche für Essen und Information. Auch das Tischgespräch ist ja längst nicht mehr privatissime. Kann ich mich dazusetzen? Ist der Platz noch frei? Niemand, der im Restaurant so angesprochen wird, begreift das noch als Übertretung. Wir wollen jedem Dünkel entsagen. Dass nun Thekenrestaurants konzipiert werden — auch mit Hochküche — ist kein zufälliger Trend. Es entspricht ganz unserer Zeit.
In letzter Konsequenz müssten wir aber auch die Theken niederreißen. Denn erst dann wäre der Weg frei für die Form des Stehempfangs als gastronomische Norm: mit Stehtischen, an denen man nicht mehr sitzt und die man jederzeit wechseln kann, gemacht für Gäste mit einem Höchstmaß an Kommunikationsbereitschaft bei geringstmöglicher Verbindlichkeit. Jeder kann jederzeit aufbrechen — erscheinen uns nicht heute schon jene, die zum Essen noch Platz nehmen, weniger agil als jene, die am Tresen stehen und stets auf dem Sprung sind und wittern, wenn sich neue, vorteilhaftere Optionen bieten? Das Thekengespräch wird zum speed dating — Austausch von Eindrücken, Informationen, Menschen. Das Essen in diesen Restaurants nähme die entsprechende Form an: Häppchen. Eine beliebige und schnelle Serie immer neuer Reize.