Foto: Joerg Glaescher/laif

»Die Grenze zum Hooliganismus verschwimmt«

FC-Anhänger überfielen Fan-Busse an­derer Vereine, Viktoria Köln machte mit Schlä­­gereien und rassistischen Be­­schimp­fungen von sich reden. Gibt es eine neue Dimension der Gewalt nach Fußballspielen? Fan-Forscher Jonas Gabler über die Radikalisierung der Szene und die Frage, warum bei rechtsextremen Auf­märschen so viele Fußballfans sind

Herr Gabler, im Juli haben Anhänger des 1. FC Köln zwei Fan-Busse von Union Berlin angegriffen. Der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob sprach danach von einer »neuen Dimension von Gewalt nach Fußballspielen«. Jörg Radek, Vize-Bundes-vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sieht eine »Renaissance der Gewalt außerhalb der Stadien«.

 

Dass es so etwas zuletzt nicht gegeben haben soll, ist falsch. Überfälle auf Busse gab es immer wieder, auch in Köln. 2012 wurde zum Beispiel ein Fan-Bus der Mönchengladbacher auf der Autobahn abgedrängt. Ungewöhnlich ist aber, dass sich die Gewalt gegen einen von Polizisten geschützten Bus richtet. Das ist dramatisch, das sind Straftaten. Ich will die Vorfälle nicht bagatellisieren, Alarmismus ist aber auch nicht angebracht. Dennoch: wir erleben in Teilen der Fanszene eine Radikalisierung.

 

 

Und die ist neu?

 

Die beobachten wir seit einigen Jahren. In den 80er und 90er Jahren war Gewalt viel präsenter als heute, auch in den Stadien. In den Nuller Jahren sind dann die Hooligans von der Vorderbühne verschwunden, die Ultras kamen auf. Bei ihnen lag der Fokus auf dem Support ihrer Mannschaft im Stadion.

 

 

Wann ging die Entwicklung wieder in die andere Richtung?

 

Nach meiner Wahrnehmung begann das in der Saison 2011/2012. Damals gab es eine öffentliche Debatte um Si-cherheit bei Fußballspielen. Innenpolitiker, Polizeigewerkschaften, Medien und auch Verbände gaben dabei ein unglückliches Bild ab. Der Höhepunkt war das Relegations-spiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC im Mai 2012. Bei dem Spiel ist vergleichsweise wenig passiert, aber dennoch schlug es hohe Wellen. Sogar einen Brennpunkt in der ARD gab es. Das Signal an die Fans war: Jetzt müssen harte Saiten aufgezogen werden. Der Teil der Szene, der im Dialog das Leben von Fankultur verbessern wollte, stand als gescheitert da. Strömungen hingegen, die immer gefordert hatten, radikaler aufzutreten, gewannen an Bedeutung. Seitdem haben sich in mehreren Städten und Vereinen junge Hooligan-Gruppen gegründet. So etwas hatte es zuvor über Jahre nicht gegeben. Es gibt auch Ultras, die sich seitdem stärker radikalisiert haben.

 

 

Gilt denn noch der Unterschied, dass Hooligans körperliche Gewalt suchen, während Ultras sich bloß für den Sport begeistern?

 

In vielen Städten, dazu zählt auch Köln, hat sich die Fan-Szene und speziell die Ultras in den vergangenen Jahren ausdifferenziert. Früher sahen sich Fans in einer großen Bewegung vereinigt, das betraf Choreografien, fanpolitisches oder auch soziales Engagement. Es gab immer auch Ultras, die körperlichen Auseinandersetzungen nicht abgeneigt waren. Mittlerweile besetzen unterschiedliche Gruppen diese Aktivitätsfelder. Dadurch sind auch in der Ultra-Bewegung stärker gewaltorientierte Gruppen entstanden. Die Grenze zum Hooliganismus verschwimmt.

 

Welche Rolle spielt die Polizei dabei?

 

Als Ultras noch nicht so radikalisiert waren wie heute, beging die Polizei den Fehler, nicht ausreichend zu differenzieren. Sie nahmen die Ultras als Gruppe wahr und die ganze Gruppe als Straftäter. Das hat bei Hooligans noch funktioniert, weil die Gruppen homogener waren, nicht aber bei Ultras. So hat sich die Polizei auch unter Ultras zum Feindbild entwickelt.

 

 

Das ist sie bei vielen noch heute.

 

Ja, aber deshalb darf man aus Vorfällen wie jüngst in Köln nicht den Schluss ziehen, man müsse den Druck weiter erhöhen. Das ist ja der Reflex, der häufig geschieht. Aber es ist der falsche Weg. Man sollte einen Weg finden, mit Fan-Kultur umzugehen: positive Ausdrucksformen unterstützen und gleichzeitig Straftaten konsequent verfolgen.

 

 

Können die Vereine denn noch Einfluss nehmen, wenn es wie jüngst in Köln fernab des Stadions zu Gewalt kommt?

 

Die Szene fühlt sich von den Institutionen ungerecht behandelt. Von den Medien falsch dargestellt, von der Polizei und den Verbänden gegängelt, von der Politik stigmatisiert. Die Ver-eine haben in einer Mittlerfunktion eine zentrale Verantwor-tung. Sie sind in der Lage, mit den Gruppen zu kommunizie-ren. Sie tragen Verantwortung, den Fans das Handeln der anderen Akteure zu erklären, aber auch den anderen Akteuren die Sichtweise der Fans zu übermitteln. Das heißt nicht, dass Vereine einen Kuschelkurs fahren müssen, sie sollen sich nicht zu Erfüllungsgehilfen machen — weder durch die Polizei oder Verbände, noch durch die Ultras. Vereine müssen dem Gefühl der Fanszene entgegenwirken, dass die Insti-tutionen sie am liebsten aus dem Fußball weghaben würden.

 

 

Wir sprechen da aber auch über höchst gewaltbereitete Straftäter.

 

Es gibt sicher problematische Personen, bei denen man über Dialog nichts mehr erreichen kann. Wenn die wiederholt Straftaten verüben, müssen Vereine hart reagieren. Aber je jünger Angehörige dieser Szene sind, desto differenzierter sollte der Blick der Vereine sein. -Vereine haben einen Erziehungsauftrag, auch im eigenen Interesse. Letztlich sind das ja Fans ihres Vereins. Und das bleiben sie, auch wenn der Verein das gar nicht will.

 

 

In Chemnitz hat sich die Nähe von Fußballfans zu Rechtsextremen gezeigt. In Köln sind Fans regelmäßig bei rechten Aufmärschen dabei. Warum?

 

Gucken Nazis gern Fußball? Das Setting eines Mannschaftssports in einem Wettkampf bietet einen Nährboden für Ideologien der Ungleichheit: Wir gegen die anderen. Das macht anfällig für jegliche Form von Diskriminierung. In den 80er und 90er Jahren wurde rechtsextremes Gedankengut sogar noch viel deutlicher im Stadion gezeigt, bis hin zu rechts-extremen Symbolen. Das wurde über viele Jahre nicht tabuisiert. Der Fußball war in der Zeit attraktiv für Menschen, die Minderheiten diskriminierten — und unattraktiv für Menschen, die sich gegen Diskriminierung stellten. Das findet sich heute noch. Wenn sich Fans darüber beschweren, dass andere Fans einen Spieler als »Schwuchtel« bezeichnen, bekommen sie zu hören: »Wir sind ja nicht in der Kirche.«

 

 

Beim Pokalspiel Viktoria Köln gegen RB Leipzig im August haben sich Viktoria-Anhänger gegen rassistische Rufe der eigenen Fans gewehrt.

 

Erfreulich ist, dass es mittlerweile mehr Ultras und Fans gibt, die sich gegen Diskriminierung einsetzen. Gegen Rassismus und Antisemitismus, aber auch gegen Homophobie und Sexismus. Der Blick auf Ultras ist leider defizitär. Probleme werden eher gesehen als Potenziale.