Vision mit Tunnelblick
In der Kölner Stadtverwaltung gibt es eine beliebte Redewendung: »ein Projekt auf die Schiene setzen«. Selten passte sie besser als zurzeit. Die Stadt will erstmals seit dem Einsturz des Stadtarchivs am Waidmarkt vor fast zehn Jahren wieder eine U-Bahn bauen. Anfang November haben Stadt Köln und Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) erklärt, dass sie es für die beste Lösung halten, wenn die KVB-Linien 1, 7 und 9 zwischen Heumarkt und Moltkestraße für knapp drei Kilometer unter der Erde verschwinden. So geht es aus der Beschlussvorlage der Verwaltung hervor, die Grundlage für die Entscheidung des Stadtrats ist. Die Kölner Politik soll noch in diesem Jahr über das »Jahrhundertprojekt« abstimmen.
Die Bahn.
Zuletzt hatten sich acht Vorschläge für den Ausbau der Ost-West-Achse angesammelt. Fünf Varianten hatte die Verwaltung vorgelegt, drei weitere kamen nachträglich aus der Politik hinzu. Zu ihrem Favorit hat die Stadt die »Variante 2+« gekürt: Die »Variante 2« mit einem U-Bahn-Tunnel von Heumarkt bis zum Rudolfplatz, plus eine Verlängerung zur Moltkestraße. Bei dieser sogenannten Vorzugsvariante der Stadt würde eine Verbindung zum geplanten Kölner S-Bahn-Ring entstehen, der an der Aachener Straße einen Bahnhof bekommen soll. Außerdem soll die Linie 9 bis zur Jahnstraße unterirdisch geführt werden. Die Stadt will die Ost-West-Achse entlasten. Abhilfe soll dabei vor allem der Einsatz von Langzügen schaffen: 90 statt 60 Meter lang, mit Platz für 550 statt 380 Personen. Stadt und KVB wollen die Kapazität auf der »Aorta des Stadtbahnnetzes« (Verkehrsdezernentin Andrea Blome) so insgesamt um 50 Prozent steigern. Die Kosten für die vorgeschlagene Variante schätzt Blome auf 760 Mio. Euro. Bund und Land NRW könnten davon circa 80 Prozent übernehmen, weil das Projekt einen sogenannten Nutzen-Kosten-Faktor von 1,0 aufweist. Damit erfüllt es die Bedingungen für eine finanzielle Förderung. Ebenfalls vage sind Beginn und Dauer des Baus: Man könnte wohl Mitte der 20er Jahre beginnen und würde circa acht Jahre brauchen, rechnet Blome.
Die Bürgerbeteiligung.
Zu Beginn der letzten Informationsveranstaltung zur Ost-West-Achse Ende Oktober im Rathaus sparte Verkehrsdezernentin Blome nicht mit Lob für die Kölner. »Das haben Sie hervorragend gemacht!«, jubelte die Dezernentin. Blome, aber auch OB Henriette Reker und KVB-Chef Jürgen Fenske ließen keine Chance ungenutzt, ihre Lesart der Bürgerbeteiligung kundzutun. Sie sei »in dieser Form einmalig« (Blome) und »eine tolle Veranstaltung« (Fenske) gewesen. Nur, stimmt das überhaupt? Nach einer Auftaktveranstaltung im März hatten im April und Mai eine Handvoll Spaziergänge mit Kleingruppen auf der Strecke stattgefunden — und zwar morgens und wochentags. Zudem wurden am Neumarkt an einigen Tagen Infostände aufgestellt. Ende Juni hatte dann eine Auswertungskonferenz stattgefunden. Zieht man die anwesenden Akteure aus Politik, Verwaltung und Medien ab, haben sich wohl nicht mehr als einige Dutzend superinteressierte Kölner in das Verfahren eingebracht. Die Bürgerbeteiligung wirkte daher wie ein Pro-forma-Akt: Nach dem Waidmarkt-Desaster war es für die Stadt unerlässlich, zu suggerieren, dass sie die Kölner Bevölkerung mit ins Boot geholt habe. Es könnte — dreimal auf Holz geklopft — schließlich wieder etwas schiefgehen, wenn man sich quer durch die Innenstadt buddelt. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung waren dementsprechend wenig aussagekräftig: Die ermittelten »Tendenzen« hätten gezeigt, dass sich die Bürger weniger Autos und mehr Aufenthaltsqualität wünschten. Zur entscheidenden Frage aber, ob man eine U-Bahn bauen soll oder nicht, seien die Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Meinung gewesen, erklärte die Stadt Ende Oktober im Rathaus. Zu deutsch: kein Ergebnis.
Nicht alle waren begeistert von der Bürgerbeteiligung. Auf Initiative der Ratsgruppe GUT und den Freien Wählern aber sollte die Verwaltung »Einbindungsmöglichkeiten der Kölner Bevölkerung in die Entscheidung« prüfen, etwa in Form einer Bürgerbefragung. Hierbei kann sich die Politik verpflichten, die Ergebnisse verbindlich zu berücksichtigen, auch wenn das rechtlich nicht notwendig ist. Die Verwaltung benötigte für die Antwort ein halbes Jahr und teilte Mitte November, nach Abschluss ihrer eigenen Bürgerbeteiligung, mit: »Die komplexen Fragestellungen zur Planung der Kapazitätserhöhung der Ost-West-Achse sind nicht geeignet, ausschließlich mit ›Ja‹ oder ›Nein‹ beantwortet zu werden.« Außerdem seien die Kosten für eine Bürgerbefragung mit 1,5 Mio. Euro zu hoch. Offiziell ist der Stadt die Beteiligung der Bürger wichtig — zu verbindlich und zu teuer dürfen die Antworten aber auch nicht sein.
Die Politik.
Die politische Entscheidung zur Ost-West-Achse ist die wohl brisanteste in der laufenden Legislaturperiode. Nicht nur weil es sich um ein 760-Millionen-Projekt im Bereich der gebeutelten Infrastruktur handelt. Sondern auch weil die politische Lage verzwickt ist: Das Thema Verkehr ist die Bruchstelle des Gestaltungsbündnisses von CDU und Grünen. Bei der Ost-West-Achse scheinen die Fronten verhärtet: Die CDU will unter die Erde gehen, die Grünen nicht. Die CDU liegt mit ihren Vorstellungen zwar sehr nah an der bevorzugten Variante der Stadtverwaltung, braucht aber die Stimmen mindestens einer anderen großen Fraktion im Rat. Die grüne Basis hatte sich auf ihrer Mitgliederversammlung Ende Oktober noch einmal für eine oberirdische Lösung ausgesprochen. »Die Ratsfraktion trägt diesen Beschluss mit«, sagt Lino Hammer, Fraktionsgeschäftsführer und verkehrspolitischer Sprecher der Grünen. »Die Positionen aller Fraktionen sind bekannt.« Der SPD ist in dieser Gemengelage ein Coup gelungen: Sie hat im Juni eine Zwei-Ebenen-Vorschlag vorgelegt: Die Bahn soll zuerst oberirdisch auf Langzüge umgestellt werden, in der Zwischenzeit soll ein Tunnel gebaut werden, der auch unter dem Rhein hindurchführt. Polittaktisch ist der Plan gewieft. Er lässt sowohl Gespräche mit der CDU über eine Tunnel-Variante als auch mit den Grünen über eine oberirdische Lösung zu. Die SPD schlägt als stärkste Ratsfraktion so in die Kerbe zwischen Grünen und CDU. Andreas Pöttgen, verkehrspolitischer Sprecher der SPD, sagt zwar: »Wir streiten für die beste Lösung, weil sie es wert ist und nicht weil wir taktieren wollen.« Doch diese »beste Lösung« könnte eineinhalb Jahre vor der nächsten Kommunalwahl die Verhältnisse im Kölner Rat neu sortieren. »Wir werden von unserer Idee nicht abrücken«, sagt Pöttgen. Der Vorschlag samt Rheintunnel könnte zwar unter den derzeit gültigen Richtlinien nicht von Bund und Land gefördert werden, weil die Kosten den Nutzen übersteigen; Pöttgen setzt aber auf die angekündigte Erneuerung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) im kommenden Jahr. Das GVFG gibt die Richtlinien für die Förderung von Infrastrukturprojekten vor — und soll wegen massiver Verkehrs- und Abgas-problemen nach 40 Jahren umgeschrieben werden.
In der Kölner Politik muss es schneller gehen: Derzeit laufen die Gespräche unter den Parteien. »Alle reden mit allen«, sagt Grünen-Geschäftsführer Lino Hammer. »Das ist bei einer Frage von einer solchen Tragweite auch sinnvoll.« Ein breiter politischer Konsens, wie ihn sich alle Beteiligten für ein solches Megaprojekt immer gewünscht hatten, ist derzeit aber nicht zu erkennen. Ob die Entscheidung wirklich in der Ratssitzung am 18. Dezember fallen wird? »Der Zeitplan ist ambitioniert, aber nicht unrealistisch«, so Hammer. Treiben lasse wolle man sich von der Stadtverwaltung und der KVB aber nicht. »Wir in Köln wären gut beraten, die Grundsatzentscheidung noch in diesem Jahr zu treffen«, sagt hingegen Jürgen Fenske, der zum Jahresende als KVB-Chef ausscheidet. Er will das Projekt endlich auf die Schiene setzen.