Hauptsache,Mama geht’s gut
Anderthalb Jahre hat Sarah (Name geändert) mit ihren vier Kindern in einem Kölner Frauenhaus gelebt. »In den ersten Monaten brauchte ich so viel Zeit für mich, dass ich meine Kinder gar nicht richtig verstehen konnte«, erzählt sie. Die junge, zierliche Frau berichtet auf der Tagung »40 Jahre Kinderrechte stärken in Autonomen Frauenhäusern« im Rautenstrauch-Joest-Museum von ihren Erfahrungen. Ihre Kinder hätten die Gewalt zuhause miterlebt, erzählt Maria. »Sie haben dann viel mit der Pädagogin im Frauenhaus gesprochen. Das hat mich sehr entlastet, und den Kindern hat es gut getan.«
In deutschen Frauenhäusern leben mindestens ebenso viele Kinder wie Frauen. In den beiden Kölner Häusern waren Kinder immer deutlich in der Überzahl. »Wir haben von Anfang an Kinder mit aufgenommen und auch betreut. Dies geschah aber in erster Linie, um die Mütter zu entlasten«, sagt Claudia Schrimpf vom 1. Autonomen Frauenhaus in Köln, das in diesem Jahr 40 Jahre alt wird. »Einen Blick auf die spezielle Situation der Kinder gab es kaum.« Das änderte sich im Lauf der Zeit: 1978 wurde in Köln der Verein »Kinderhaus Frauen helfen Frauen« gegründet, die Stadt finanzierte eine Stelle pro Haus für die Arbeit mit Mädchen und Jungen. Heute ist Konsens, dass Kinder eine eigene parteiliche Unterstützung benötigen.
In welchem Maße diese nötig ist, verdeutlicht die Psychologin Ruth Himmel von der Universitätsklinik Ulm. In einer Pilotstudie befragte sie Mütter und Kinder in fünf Frauenhäusern in Baden-Württemberg. Knapp zwei Drittel aller dort lebenden Kinder waren verhaltensauffällig: 58,9 Prozent hatten Verhaltensprobleme mit Gleichaltrigen, viele waren hyperaktiv oder hatten emotionale Probleme. 28 Prozent wiesen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung auf. »Kinder in Frauenhäusern sind damit stärker belastet als Kinder inhaftierter oder psychisch kranker Eltern«, so Himmel.
Erschwerend komme hinzu, dass die Bindungsperson der Kinder, also die Mutter, häufig nicht mehr reagiere, weil sie zu sehr mit eigenen Problemen zu kämpfen habe. Manche Kinder würden dann sozial auffällig, schildert Himmel, andere reagierten mit überangepasstem Verhalten oder schlüpften in die Elternrolle: »Sie wollen ihre Mama trösten und umsorgen. Hauptsache, der Mama geht es gut.« Solche Störungen seien oft besonders schwer zu erkennen.
Doch gerade die »Hochrisikokinder« im Frauenhaus sind häufig unterversorgt, ja unversorgt. Um wieder in ein normales Leben zu finden, brauchen sie alltagspraktische Hilfe — etwa einen neuen Kita- oder Schulplatz, aber häufig auch klinische und psychotherapeutische Hilfe. »Angebote gibt es zwar, aber sie müssen gesteuert und koordiniert werden«, sagt Ruth Himmel. Als Modell schwebt ihr das Netzwerk Frühe Hilfen vor, das werdende und junge Eltern in schwierigen Situationen unterstützt. In ihrer Pilotstudie organisierten Himmel und ihre Kollegen eine optimale Versorgung für einzelne Kinder aus Frauenhäusern. Beteiligt waren Schulpädagogen, Familienhelfer, Jugendamt, Frauenhausmitarbeiterinnen und manchmal auch Dolmetscher. Der Versuch war erfolgreich, die Kinder brauchten später keine Hilfe mehr. Allerdings überstieg die Optimalversorgung die Kosten der Regelversorgung um das Dreieinhalbfache.
»Eigentlich könnten Frauenhäuser eine gute Drehscheibe für eine solche fallbezogene Koordinierung und Vermittlung sein«, sagt Himmel. Doch dafür benötige man mehr Personal — und Geld. »Viele Kinder bekommen nicht die Betreuung, die sie eigentlich bräuchten«, sagt auch Astrid Mayer vom Kölner Frauenhaus. Dabei steht Köln im bundesweiten Vergleich noch gut da. Nicht einmal ein eigener Bereich für Kinder ist in allen Frauenhäusern selbstverständlich: Von fünf Frauenhäusern, die Ruth Himmel für ihre Studie besuchte, verfügte nur eines über einen eigenen Kinderbereich.
In Köln wird das 1. Frauenhaus demnächst abgerissen und größer wieder aufgebaut. Dort können dann 18 statt bisher 12 Kinder aufgenommen werden. Weil es dann einen abgeschlossenen Bereich gibt, können auch Mütter mit Söhnen über 12 Jahren Aufnahme finden. Bisher wurden sie abgelehnt, weil Männer — auch wenn sie noch sehr jung sind — in Frauenhäusern nun einmal nicht vorgesehen sind.
»Frauen- und Kinderrechte sind untrennbar miteinander verbunden«, sagt Claudia Schrimpf. Doch um dieser schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, brauche es Zeit. Je kürzer aber die Zeit im Frauenhaus, desto weniger Zeit ist für die Kinder da. »Es gibt in der Praxis noch kein ausreichendes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Verschränkung von Kinder- und Frauenschutz bei häuslicher Gewalt.«