Sport statt Köln – Teil 1
Sport ist Leidenschaft und Emotion, das weiß auch Henriette Reker. Die Kölner Oberbürgermeisterin sparte sich zwar überschwängliche Jubelposen, Siegerfaust und Sektdusche, aber sie freute sich trotzdem, als sie zu Beginn der Ratssitzung Ende September die Mitteilung erreichte, dass Deutschland 2024 die Fußball-Europameisterschaft der Männer austragen wird: »Als Oberbürgermeisterin unserer fußballbegeisterten und weltoffenen Stadt bringe ich im Namen aller Kölnerinnen und Kölner unsere große Freude über dieses Votum zum Ausdruck.« Die Entscheidung war erwartbar, das passende Statement hatte Reker längst vorbereitet. Denn damit war klar: Das EM-Turnier des europäischen Fußballverbands Uefa macht auch in Köln Station. Das Rheinenergiestadion ist eine der Spielstätten, mit denen sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) beworben hatte. Reker sprach schnell vom Fußball als Teil des »Lebensgefühls der Sportstadt Köln«, von einem »rheinisch-herzlichen Empfang« für Gäste aus aller Welt, vom Wunsch nach einer »mitreißenden, völkerverständigenden Europameisterschaft«. Es waren Plattitüden, die es mit so manchem Fußballer-Interview aufnehmen könnten. Das müssen Sie den Trainer fragen. Im Stadtrat brandete trotzdem großer Jubel auf.
Während die besten Fußballer Europas erst in mehr als fünf Jahren in Köln Station machen werden, kommen die besten Handballer der Welt schon in wenigen Wochen. Köln ist einer von vier Spielorten in Deutschland, das gemeinsam mit Dänemark WM-Gastgeber ist. Zwischen dem 19. und 23. Januar findet die Hauptrunde des Turniers in der Lanxess-Arena statt. Alle Spiele sind ausverkauft.
Fußball-EM und Handball-WM, aber auch das DFB-Pokalfinale der Frauen und das Champions-League-Finalturnier der männlichen Handballer, die beide jährlich in Köln ausgetragen werden, und der immer weiter wachsende Kölnmarathon — Köln ist zum Schauplatz vieler Sportgroßereignisse geworden. Sogar die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele könnten 2032 erstmals in die Stadt kommen, wenn es der privatwirtschaftlichen Initiative »Rhein Ruhr Olympic City« gelingt, die Politik und das Internationale Olympische Komitee (IOC) davon zu überzeugen, die Spiele nach Nordrhein-Westfalen zu vergeben.
Aber geht es überhaupt um Sport, wenn man solche Megaevents nach Köln holt? Und stehen Leistungs-, Breiten- und Gesundheitssport in Köln gleichberechtigt neben--einander oder übertönt der Jubel über die Fußballer die Belange der Kölnerinnen und Kölner, die sich für ihr Wohlbefinden gerne bewegen? Wie sind die Bedingungen, um in Köln seinen Puls in die Höhe zu bekommen? Wie fit ist die »Sportstadt Köln«?
»Man hat eine erstaunliche Breite an Sportaktivitäten in Köln«, sagt Markus Kurscheidt. Er ist Professor für Sport-ökonomie an der Universität Bayreuth, wohnt in Köln und besucht regelmäßig die Heimspiele des SC Fortuna. »Da geht es um mehr als Sport: sozialer Zusammenhalt, Gesundheit, Lebensfreude.« Rund zwei Drittel aller Kölnerinnen und Kölner betreiben regelmäßig Sport. Der Großteil geht joggen, ins Fitnessstudio oder fährt mit dem Rad. Das Rheinufer ist eine beliebte Laufstrecke, und der Grüngürtel ist in den vergangenen Jahren zu einem Open-Air-Fitnessstudio geworden — mit Bootcamps und Fitnessgeräten. »Das ist eine Neuinterpretation des Trimm-Dich-Pfads«, sagt Sportökonom Markus Kurscheidt. Rund ein Viertel geht regelmäßig Schwimmen und immerhin noch 14 Prozent sind Mitglied in einem Fußballverein. Damit bilden sie die größte Gruppe unter den 250.000 Kölnern, die Mitglied in einem Sportverein sind.
Auch in der Stadtverwaltung erkennt man den neuen und veränderten Bewegungsdrang in Köln. »Ein Trend geht zur individuellen Planung der Sportgestaltung unter Nutzung des öffentlichen Raums oder kommerzieller Fitnessangebote«, sagt Gregor Timmer vom Sportamt. Man will nun etwas tun für Sportlerinnen und Sportler in der Stadt. Dafür erarbeitet die Verwaltung derzeit erstmals einen »Sportentwicklungsplan«. Der ist gewissermaßen ein Trainingsplan für kommunale Sportangebote und verfolgt das Ziel der »Öffnung des gesamten städtischen Raums für Sport und Bewegung«. Der Prozess begann im Frühjahr 2017 unter der Leitung des Kieler Sportwissenschaftlers Robin Kähler. Die Stadt fragte zunächst ihre Bürgerinnen und Bürger, was sie sich für ihren Sportalltag wünschten. Doch nur wenige antworteten — wohl auch, weil viele Sporttreibende nicht glaubten, dass man ihre Anregungen tatsächlich umsetzen wird. Die Skepsis an der Basis, die besonders unter der maroden Sportinfrastruktur leidet, ist groß. Sogar der Stadtsportbund, die Vertretung der 250.000 Mitglieder in Kölner Sportvereinen, äußerte anfangs immer wieder Bedenken gegenüber dem Sportentwicklungsplan. Sportamtschef Gregor Timmer sagt zwar: »Der Prozess war äußerst innovativ und kreativ.« Aber was der Sportentwicklungsplan tatsächlich ändern kann, werden nun zunächst fünf Modellprojekte zeigen. Das sind ein »Sportkiosk«, in dem man Geräte ausleihen kann, ebenso wie zwei frei zugängliche Sportanlagen oder die Neuplanung des Inneren Grüngürtels inklusive der Ehrenfelder Bezirkssportanlage, aber auch die »Modernisierung der Verwaltung für Bewegung und Sport«. Bei diesen fünf Vorzeigeprojekten soll es jedoch nicht bleiben, die Ergebnisse des gesamten Sportentwicklungsplans sollen Anfang 2019 vorliegen. Sie sollen erklären, wie Sport in Köln künftig aussehen soll. Bevor all das umgesetzt wird, muss aber erst die Politik darüber entscheiden — und die hat sich bei der Sportförderung und -entwicklung schon manchen Fehlpass geleistet: Sporthallen und ihre sanitären Anlagen sind baufällig, Kunstrasenplätze oder Breitensportangebote im öffentlichen Raum fehlen. Das ist vor allem das Ergebnis jahrelanger politischer Versäumnisse. Eine politische Debatte über Investitionen in den Sport gab es in den vergangenen Jahren nur, wenn die Player im Spitzensport die Bühne betraten; allen voran der 1. FC Köln und sein Begehren nach einem Ausbau des Geißbockheims im Äußeren Grüngürtel und einem größeren Stadion.
Markus Kurscheidt findet das nicht ungewöhnlich. Im Stadtmarketing sei »Sportstadt« zwar ein gängiger Begriff geworden, erläutert der Sportökonom. Allerdings sei damit zumeist der Spitzensport gemeint, Breitensport werde nicht immer mitgedacht. »Sport ist für mich auch eine Kultur«, sagt Kurscheidt. »Aber wenn wir ehrlich sind — wir Bürger haben den Fokus auf den Spitzensport ja meistens auch.« Man müsse unterscheiden: »Welche Sportveranstaltung dient eher dem Tourismus und welche nutzt dem Breitensport in einer Stadt?«
Die EM 2024 will beides sein. »Wir sichern die Zukunft des Fußballs an der Basis und an der Spitze«, verspricht der DFB in seinem Nachhaltigkeitskonzept. Nicht nur internationale Fans, auch Nachwuchsspieler sollen während der EM zusammenkommen, die Austragungsorte damit zur »Diver-City« werden. Die Stadien sollen barriere- und rauchfrei werden, es wird gesundes Essen samt Lebensmittel-Ampel angeboten. Außerdem soll die Kleidung der Volunteers und sonstigen EM-Helfer fair hergestellt werden. Sichern soll all dies ein »Stakeholder-Dialog« zwischen dem DFB, den Spielorten und verschiedenen NGOs, etwa der Arbeiterwohlfahrt, der Evangelischen Kirche und Human Rights Watch Deutschland. Verantwortlich dafür ist Transparency International, die den DFB schon während der Bewerbungsphase beraten hat, um Korruption wie bei der Vergabe der Fußball-WM 2006 zu vermeiden. »Es geht nicht darum, nur irgendein nettes Projekt in Richtung Menschenrechte zu machen«, sagt Sylvia Schenk. Die Juristin und ehemalige Frankfurter Sportdezernentin leitet die Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International. »Wir erwarten, dass die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in der gesamten Organisation verankert sind.« In Düsseldorf und Frankfurt hat es bereits erste Dialogtreffen gegeben, ein Termin in Köln steht noch aus.
Aber was bedeutet das konkret? Könnte etwa eins der in Köln ansässigen Fairtrade-Mode-Labels wie Armedangels den Zuschlag bekommen? Oder ziehen diese den Kürzeren, weil die großen Sportartikel-Hersteller wie Adidas oder Puma sie auch bei fair hergestellter Sportkleidung noch unterbieten können? Auch der Stakeholder-Prozess lässt viele Fragen offen, und die gewichtigste von ihnen ist: Wer kontrolliert eigentlich, dass DFB und Uefa ihre Versprechen auch einhalten, und wie werden Verstöße bestraft? »Die Vereinbarung hat den Charakter einer Selbstverpflichtung«, sagt Sylvia Schenk. »Die Uefa hat sie in die Ausrichterverträge mit aufgenommen, aber es gibt keine dritte Instanz, die das sanktionieren kann.« Der europäische Fußballverband müsste also vor Gericht gehen — das ist unwahrscheinlich. Trotzdem bewertet Schenk den Dialog positiv. Die Städte, DFB und Uefa seien dadurch gezwungen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen: »Die öffentliche Kontrolle hat auch Gewicht.«
Andere Fragen bleiben jedoch unbeantwortet. Im Herbst 2017 hatte die Stadt Bremen beklagt, dass die Städte für ihre Bewerbung garantieren sollten, dass im Umkreis von 500 Metern um das Stadion keine politischen Versammlungen stattfinden werden. »Auch die Uefa kann deutsches Recht nicht außer Kraft setzen«, sagt Sylvia Schenk. Sie vermutet aber, dass die Polizei politische Versammlungen in direkter Nähe zum Stadion an Spieltagen aus »polizei-taktischen Gründen« sowieso nicht zulassen würde. Die Stadt Köln selbst äußert sich zu dieser Frage nicht.
Der Bewerbungsprozess verlief wenig transparent: Das 860-seitige Bewerbungsbuch unter dem Slogan »United by Football« schrumpft in der öffentlich verfügbaren Version auf ein 240-seitiges PDF, da viele Details etwa über die Ausstattung der Stadien nicht zugänglich gemacht werden dürfen — aus Datenschutzgründen, meint der DFB. Eine Anfrage der Linkspartei im Düsseldorfer Stadtrat brachte immerhin einige Details an die Öffentlichkeit, die auch für Köln gelten. Demnach mietet die Uefa die Stadien für die Spieltage von den EM-Ausrichtungsorten an. Die Höhe der Stadionmiete ist aber nicht bekannt und auch die Frage unbeantwortet, ob die Einnahmen aus der Gastronomie laut Mietvertrag an die Uefa gehen oder nicht. Sicher ist dagegen, dass die Städte die Kosten übernehmen müssen, um die Stadien nach den Anforderungen des Fußballverbands zu modernisieren. Für das Rheinenergiestadion in Müngersdorf bedeutet dies, dass etwa Flutlicht und Tonanlage erneuert werden müssen. Außerdem wird die Pressetribüne verlegt und der VIP-Bereich verändert. Der größte Umbau betrifft die Zuschauerränge. Weil bei internationalen Spielen keine Stehplätze zugelassen sind, beträgt die Kapazität dann nur 46.000 Plätze statt 50.000 wie bei Bundesligaspielen. Durch zusätzliche Sitze hinter den jeweils letzten Reihen der einzelnen Tribünen sollen diese 4000 Plätze aber wieder aufgefangen werden. Über die Kosten schweigt die stadteigene Kölner Sportstätten GmbH, der das Stadion gehört. Und dann ist da noch die ungeklärte Frage nach dem zukünftigen Verhältnis zum Hauptmieter, dem 1. FC Köln. Dessen Mietvertrag läuft 2024, im EM-Sommer, aus. Der FC würde das Stadion gerne ausbauen, brachte sogar einen Neubau ins Spiel. Nachdem im September bekannt wurde, dass Köln EM-Spielort wird, werden die Karten im Poker zwischen Effzeh und Stadt um die Kapazitätserweiterung des Stadions neu gemischt. Entspricht das für die EM modernisierte Stadion, dessen Umbau die Stadt bezahlen wird, den Vorstellungen des Vereins als möglichem Pächter oder gar Käufer? Kann sich ein weiterer Ausbau anschließen, der den wirtschaftlichen Interessen des Zweitligisten gerecht wird? Bisher hat dazu keine Seite Aussagen getroffen.
Während der erfolgreichste Fußballverein der Stadt eine größere Sportstätte braucht, um mehr Geld zu verdienen, hat Leistungssport auf demselben Niveau in sogenannten Schwellen- und Randsportarten viel gravierendere Probleme. Viele Kölner Sportlerinnen und Sportler kämpfen nicht gegen ihre sportlichen Kontrahenten, sondern auch mit der Infrastruktur in der Stadt. Im Sommer hatten die Volleyballerinnen der DSHS Snowtrex Köln und die Basketballer der Rheinstars Köln Schlagzeilen gemacht: Snowtrex musste als Meister der 2. Bundesliga zum zweiten Mal in Folge auf den Erstliga-Aufstieg verzichten, die Rheinstars gingen freiwillig von der zweiten in die dritte Liga. Beiden Vereinen fehlt eine Halle, die den Anforderungen gerecht wird. Seit Jahren ist Stadt und Politik bekannt, dass es ein Vakuum für eine Sporthalle gibt, in der eine vierstellige Anzahl an Zuschauern untergebracht werden kann. In den Nuller Jahren hatte etwa der Basketball-Bundesligist Cologne 99ers, der Vorgänger der Rheinstars, keinen geeigneten Spielort.
Für viele Vereine in Köln ist das Alltag. Sportstätten sind seit Jahren sanierungsbedürftig, geschlossen oder gar nicht vorhanden. Zwar wurden die Zuschüsse für den Breitensport erhöht, um Reparaturen oder kleinere Baumaßnahmen vorzunehmen, bisher aber stehen für 250.000 Menschen im organisierten Sport meist weniger als 30 Mio. Euro pro Jahr im städtischen Haushalt zur Verfügung. 2019 soll der Betrag auf 35,1 Mio. Euro anwachsen. An der bescheidenen Situation an der Sportbasis änderte es auch nicht viel, dass die sogenannte Hallennutzungsgebühren abgeschafft wurden, eine Abgabe für die Nutzung städtischer Sportstätten durch Vereine. Ob der Sportentwicklungsplan endlich eine bessere Sportinfrastruktur schaffen kann? Eher nicht. »Der Sportentwicklungsplan ist kein Sportstättenbedarfsplan«, betont Sportamtschef Timmer. Der Sport stehe vielmehr als »integrierter Teil der Stadtentwicklung im Mittelpunkt«.
Mehr bewegt sich in den Kölner Grünflächen. Die Outdoor-Sportler haben sie zwar auch ohne städtisches Zutun schon lange erobert, mittlerweile aber mischt die Stadt kräftig mit: Im Kölner Grüngürtel entstand auf Höhe der Vogelsanger Straße schon 2015 ein Sportpark, der an ein Fitnessstudio unter freiem Himmel erinnert. Ganzjährig schnaufen und schwitzen hier Menschen, die Nachfrage ist riesig. So riesig, dass der Grüngürtel nun eine weitere Sportanlage bekommen wird: In seiner September-Sitzung, am Tag von Rekers EM-Jubel also, beschloss der Rat der Stadt, dass auch im Lohsepark in Nippes für mehr als 300.000 Euro ein vergleichbarer Outdoor-Sportparcours entstehen wird. Die städtischen Investitionen kann man hier gewissermaßen umrechnen in verbrannte Kalorien oder neu antrainierte Muskelkraft.
Aber vielleicht kann man das ja auch gar nicht so plakativ gegenüberstellen: hier der Breitensport, getragen vom Ehrenamt und der Lust an der Freude — und dort das Geschäft mit den Sportevents. »Attraktive Sportereignisse sind nicht nur Instrument für das Stadtmarketing«, sagt Gregor Timmer, »sie schaffen vielmehr für viele Sportbegeisterte von Klein bis Groß Anreiz, selbst sportlich aktiv zu werden«. Markus Kurscheidt will das so nicht stehen lassen. Es existierten keine Studien, die belegen würden, dass Großereignisse wie die EM die Partizipation am Breitensport fördern, etwa beim Fußball. »Das funktioniert eher über Identifikation mit dem eigenen Verein«, erklärt der Sportökonom. Eine gute Saison des FC oder der Fortuna ist wichtiger für die Fußballbegeisterung in Köln als eine Europameisterschaft.
Aber auch im Spitzensport gibt es mehr als Fußball. Im Januar richtet Köln die Handball-WM aus, im vergangenen Jahr waren die besten Eishockey-Teams der Welt zu Gast. Und jedes Jahr kommen Touristen in die Stadt, um das Radrennen »Rund um Köln« oder den Kölnmarathon zu besuchen. »Der Marathon ist für mich das Aushängeschild für Köln als Sportstadt«, sagt Sportökonom Kurscheidt. Das Rennen ist ein 42 Kilometer langes Sport-event. Der jährliche Lauf im Frühherbst ist mittlerweile der viertgrößte Marathon des Landes. Fast 30.000 Menschen kurven bei Marathon oder Halbmarathon durch die Stadt. Der Lauf motiviere Menschen zum Mitlaufen, außerdem erzeuge er eine »Umwegrentabilität« — Einnahmen, die ein Sportereignis verursacht, weil deswegen Touristen eine Stadt besuchen, erklärt Kurscheidt: »Beim Marathon haben wir eine recht zahlungskräftige Klientel, meistens aus der Mittelklasse.« Oft reisten zudem Partner und Familie mit, um die Läufer anzufeuern. Diese »Begleitpersonen« seien der Schlüssel für positive wirtschaftliche Effekte.
Trotz vielfältiger positiver Effekte für Stadt und Bevölkerung fließen zwar viele Millionen in wenige Spieler einer Fußball-EM, nicht aber in die Laufbewegung, die mit dem Kölnmarathon ihr jährliches Großereignis selbst auf die Beine stellt. In Köln gibt es kaum beleuchtete Laufstrecken. Nicht einmal beliebte Laufschleifen wie die Rheinpromenaden zwischen Südbrücke und Mülheimer Brücke, der Innere Grüngürtel oder Stadtwald sind durchweg ausgeleuchtet. Beim Ausschildern von Laufstrecken oder einer App, die einem mit Routen das Läuferleben einfacher macht, hat die Stadt das Feld gleich Ehrenamtlern in Lauftreffs oder kommerziellen Anbietern überlassen. Angebote der Stadt gibt es keine.
Dabei ist es gerade der Alltagssport der Kölnerinnen und Kölner, der für eine Stadt die höchste Priorität haben sollte. Denn auch bei hohen Touristenzahlen dürfe man die Bedeutung von Sportgroßereignissen nicht überschätzen, erklärt Kurscheidt, der zu den ökonomischen Folgen der WM 2006 geforscht hat. »Damals waren wir die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Da hat auch eine erfolgreiche Weltmeisterschaft kaum wirtschaftliche Auswirkungen.«
Wichtiger seien andere Dinge: das Stadtmarketing oder auch Investitionen in die Infrastruktur, die auch über das Ereignis hinaus genutzt wird — etwa der S-Bahn-Knotenpunkt in Weiden. »Für die EM werden nur sehr geringe Kosten für Infrastruktur anfallen«, sagt Kurscheid. Davon geht auch die Stadt Köln aus. Sie hat in ihrer Bewerbung keine neuen Infrastrukturmaßnahmen
angekündigt.
Solche Maßnahmen können die Legitimation eines Sportgroßereignisses begründen—so wie bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Noch heute sind der Olympiapark und die damals neu gebaute U-Bahn bei den Münchnern beliebt. Gerade bereitet eine Initiative um den Kölner Sport- und Eventmanager Michael Mronz eine Bewerbung für Olympia 2032 in der Rhein-Ruhr-Region vor. Auch Köln könnte dabei ein Austragungsort sein. Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat Interesse bekundet, will aber die Kölner Bürgerinnen und Bürger über die Bewerbung entscheiden lassen. »Städte müssen so etwas im Dialog gestalten«, sagt Kurscheidt. »Ansonsten wird es eine starke ›Nolympia‹-Bewegung geben — zu Recht.« Als Reker erstmals ihr Interesse an den Spielen bekundete, merkte sie an, Köln könne doch ein guter Standort für das Olympische Dorf sein — schließlich will man mit Kreuzfeld einen neuen Stadtteil im Norden entwickeln. Mittlerweile gibt man sich im Rathaus bedeckter: Die Planungen für das Olympische Dorf seien nicht konkret, Kreuzfeld wolle man unabhängig davon entwickeln.
Für Sylvia Schenk von Transparency International muss es nicht gleich ein neuer Stadtteil sein. Schenk fährt seit 40 Jahren Rad und war lange als Funktionärin im Radsport aktiv. Sie wünscht sich von den EM-Spielorten, dass alle Stadien gut mit dem Fahrrad erreichbar sein werden. Die Stadt Köln erklärt in den DFB-Bewerbungsunterlagen, dass sie zwar keine besonderen Radverkehrs-Maßnahmen für die EM plane. Aber 2024 sei dann ja der schon lange beschlossene Radschnellweg zwischen Köln und Frechen fertig. Im Mai 2018, nachdem die Bewerbung abgegeben war, klang das schon wieder ganz anders: Verkehrsdezernentin Andrea Blome und Amtsleiter Klaus Harzendorf gaben eine Pressekonferenz zum Radverkehr in Köln. Wann die Radschnellwege fertig würden, fragte ein Journalist. Genaue Zahlen konnte Harzendorf nicht nennen. Aber nicht der Uefa weitersagen.