Unter dem Existenzminimum
Ein versäumter Termin oder ein Job, den man sausen ließ. Rechtliche Gründe für Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gibt es viele. Wer davon betroffen ist, dem wird für mindestens drei Monate der errechnete und ohnehin karge Betrag an Sozialleistungen gekürzt — je nachdem, so schreibt es das Sozialgesetzbuch vor, wie schwer und häufig der sogenannte Pflichtverstoß war. In manchem Fall geht das so weit, dass ein Betroffener überhaupt kein Geld mehr bekommt. Kritiker sehen darin seit Jahren einen Verstoß gegen die Verfassung: Einem Menschen das Existenzminimum zu kürzen, sei gegen das Menschenrecht. Nun verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, ob die Sanktionen gekippt werden können.
Besonders oft sind Familien mit Kindern von den Hartz-IV-Sanktionen betroffen. Das zeigte jüngst eine Anfrage von Linken-Parteichefin Katja Kipping im Bundestag zur Bundesagentur für Arbeit. Demnach wurden zwischen Oktober 2016 und September 2017 rund 954.000 Hartz-IV-Empfänger sanktioniert. In 310.000 der betroffenen Haushalte lebten auch Kinder, in 96.000 Haushalten mit nur einem Elternteil. Kipping kritisiert dieses Vorgehen als kindeswohlgefährdend. Sie fordert eine Abschaffung der Sanktionen — auch weil bei Familien, die auf die Sozialleistungen angewiesen sind, das allen Eltern zustehende Kindergeld mit dem Hartz-IV-Regelsatz verrechnet wird.
»Kinder leiden zwangsläufig mit unter den Leistungskürzungen«, sagt Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes. Für ihn grenzen Sanktionen gegen Familien an Sippenhaft, und zwar in einer Lebenssituation, in der Kinder ohnehin häufig vielfach benachteiligt sind. Doch wie das Gericht über die Frage entscheiden wird, bleibt noch einige Monate abzuwarten. Schlagzeilen machte zuletzt die Forderung der Linksfraktion im Bundestag, Stephan Harbarth, neuer Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, solle sich an der Urteilsfindung nicht beteiligen. Er hatte als CDU-Bundestagsabgeordneter im Juni 2018 für die Beibehaltung der Sanktionen gestimmt.