»Das Problem hat vor dem Internet begonnen«
Herr Berner, Herr Beste, in diesem Jahr widmet sich das Architektur Forum Rheinland der Krise des stationären Einzelhandels, also der Läden und Geschäfte. Warum aber soll das für jemanden ein Problem sein, der selbst nicht in der Branche arbeitet?
Berner: Historisch sind Städte entstanden als Orte, um Handel zu treiben. Stadt und Handel bedingen sich. Tante-Emma-Laden und die Amazon-Lagerhallen sind die beiden Enden der Skala. Und wir wissen, wo die Reise hingeht: Die Stadt wird unstädtisch.
Beste: All das wird das Gesicht von Köln verändern. Aber wir sehen hier noch nicht, dass die Stadt sich der Dringlichkeit bewusst wäre, dafür neue Konzepte zu entwickeln. Die Frage muss doch lauten: Was tun wir in der Innenstadt, wenn sich der Handel dort zurückzieht? Wenn man nach Solingen, Wuppertal, Remscheid oder nach Bergheim, Kerpen, Düren blickt, merkt man, deutlicher als derzeit in Köln dass da ein Problem unterwegs ist, für das wir noch keine Lösungen kennen.
Durch den Online-Handel und Amazon stehen schon viele Ladenlokale in der Innenstadt leer oder haben minderwertigen Besatz.
Berner: Man sieht das schon an Hohe Straße und Schildergasse. Noch vor einem Jahr hätte das niemand fürmöglich gehalten.
Beste: Hinzu kommt, dass mit dieser Handelstypologie bestimmte Gebäudetypologien verbunden sind. Und die prägen ganze Stadtquartiere, in der City sind das etwa die Einkaufsstraßen, die Fußgängerzonen, das Kaufhaus. Was macht man damit, wenn der Handel sich verändert oder ganz zurückzieht?
Berner: In den 1a-Lagen gab es noch vor Jahren eine gute Mischung, und in den Seitenstraßen saßen die Spezia-listen, etwa für Lampen oder Lederwaren. Heute sieht man in den 1a-Lagen die ewig gleichen Filialisten. Die Städte ähneln sich immer mehr. Das beschädigt auch
den Charakter und die Individualität einer Stadt.
Lässt sich der Wandel noch aufhalten?
Beste: Das hängt vor allem mit dem Einkaufsverhalten jedes einzelnen zusammen. Der Handel muss Strategien entwickeln, damit der Kunde es wieder als Qualität empfindet, vor Ort einzukaufen und mit Ladeninhabern über Produkte zu reden — und dafür auf die Bequemlichkeiten des Online-Handels verzichtet.
Bislang ist das nicht gelungen, obwohl das Problem lange bekannt ist. Worauf setzen Sie dann Ihre Hoffnung?
Beste: Es gibt ja auch Gegenbewegungen. Die Frage ist, wie stark die sind.
Berner: (lacht) Zalando-Outlet etwa?! Da bist Du wahrscheinlich dauernd, oder?
Beste: Nein, ich dachte eher an Unverpackt-Läden oder die Körnerstraße in Ehrenfeld, wo der Ladeninhaber zu jedem Produkt eine ellenlange Geschichte erzählen kann — die »Vinyl-Platte des Einzelhandels« eben...
Das mag sympathisch sein, aber der Trend ist doch marginal, das sagen alle Zahlen. Die Hohe Straße wird doch nicht wie die Körnerstraße aussehen.
Beste: Die Entwicklung steht ja noch am Anfang. Fest steht: Viele Kunden emanzipieren sich, in den Großstädten vielleicht eher als in kleinen Städten. Und ein Wochenmarkt, auf dem regionale Lebensmittel ange-boten werden und man mit dem Erzeuger reden kann, ist vielen lieber als irgendein »Food Market« in einem Vollversorger. Die Frage ist, wie differenziert die Typologien sein werden und wie sich dann ein aufgeklärtes städtisches Publikum entscheiden wird.
Die meisten Kunden packen nach wie vor am Supermarkt das Auto voll und bestellen den Rest im Internet.
Berner: Das Problem hat aber vor dem Internet begonnen. Das Sterben des Handels in Porz und an der Kalker Hauptstraße hat mit der Konzentration von Handel in der Innenstadt oder aber Fachmarktzentren auf der grünen Wiese zu tun. Der Online-Handel kommt nun erheblich verschärfend hinzu.
Berner: Das nicht. Im Zentrum einer Metropole wie Köln, die viele Touristen und Messegäste anzieht, wird der stationäre Einzelhandel wohl als Erlebnis immer attraktiv bleiben.
Beste: Man könnte aber auch sagen: Die Geschäfte in der City sterben als letztes.
Herr Beste, Sie sitzen seit vielen Jahren als Sachkundiger Einwohner im Stadtentwicklungsausschuss. Brauchen wir einen Masterplan für das Problem?
Beste: Jedenfalls muss man mehr Dinge zusammendenken. Auch die städtischen Ämter, etwa das Stadtplanungs- und das Marktamt sollten besser kooperieren. Wir müssen dabei auch über Liegenschaftspolitik reden. Dass die Stadt Zugriff auf Flächen und Grundstücke hat, ist entscheidend. Sonst gibt es nur Nagelstudios, Handyläden, Resterampen. Flächen, auf die die Stadt direkt Einfluss hat, sind beispielsweise die Plätze mit den städtischen Wochenmärkten. Das ist die Nahversorgungslinie der Kommune! Die Stadt kann bestimmen, welches Sortiment zu welcher Zeit auf welchem Marktplatz angeboten wird. Das könnte sich auch auf umliegenden Handel und Gastronomie positiv auswirken.
Momentan wird immerhin das städtische Einzel-handels- und Zentrenkonzept überarbeitet, weil die Daten veraltet sind.
Beste: Ja, aber auch wenn die neuen Daten vorliegen, bleibt die Frage, wie lange diese aktuell sein werden. Setzen wir hier angesichts des Internethandels quasi noch Parameter für Pferdedroschken, während längst von allen Auto gefahren wird?
Wir brauchen also Konzepte, die sich schneller an Entwicklungen anpassen lassen?
Beste: Unbedingt. Das sieht man an den großen Shopping Malls. Wenn der Frequenzbringer weg ist, steht da schnell eine riesige Ruine, die nicht kleinteilig angepasst werden kann. Wir müssen agiler werden. Und wir sollten auch mal etwas ausprobieren. Immer gleich nach der 1000-Quadratmeter-Fläche für den Discounter zu rufen, schafft Grundversorgung, aber weder Vielfalt noch Erlebnis.
Berner: Viele Bürger unterscheiden in ihrem Verhalten längst zwischen Einkaufen und Shopping, wobei letzteres mehr ist als bloß der Kauf von Waren. Dass sich dies so entwickelt hat, ist eigentlich schade.
Beste: Da braucht ja nur jemand eine Kaffeebude auf dem Markt aufzumachen, schon treffen sich die Leute dort und kaufen drum herum auch ein. Wir sollten als Stadt auch mal über neue eigene Handelsstrukturen nachdenken. Was spräche etwa dagegen, in der Innenstadt einmal die Woche einen Eisenwaren- oder Textilmarkt abzuhalten? Der Flohmarkt am Unicenter zeigt ja, dass da Nachfrage besteht. So ließen sich Orte beleben und Einkaufserlebnisse schaffen.
Es geht also nicht nur darum, wie die Händler ihre Angebote präsentieren?
Berner: Die flankierenden Themen sind enorm wichtig, seien es urbanes Wohnen, Aufenthaltsqualität, Gastronomie. Die Frage ist, wie bekomme ich eine Handelslage
verbessert, dass etwa Supermärkte und inhabergeführte Fachgeschäfte voneinander profitieren, aber auch der öffentliche Raum und die Atmosphäre für die Menschen gewinnen? Da spielt Gastronomie eine wichtige Rolle.
Meist kommen aber Systemgastronomie-Ketten zum Zug. Das ist nicht nur kulinarisch trist. Auch dadurch verlieren Städte ihren Charakter. Und der öffentliche Raum wird kommerzialisiert mit Außengastronomie.
Beste: Da denke ich auch an die kölsche »Bankenkrise«: wie lange es dauert, bis Bänke aufgestellt werden, um sich nach der Rabattschlacht mal kostenlos ausruhen zu können. So etwas ist nicht zu vermitteln, dann geht zukünftig keiner mehr in der City einkaufen.
Was wollen Sie am Ende des Jahres mit Ihrem Themenschwerpunkt erreicht haben?
Berner: Es geht zunächst darum, dieses hoch komplexe Problem von möglichst vielen Seiten zu beleuchten und seine Dringlichkeit aufzuzeigen. Wir müssen genau analysieren. In der City gibt es andere Problemlagen als im Vorort. Man darf auch nicht zu schnell Schlüsse ziehen, nicht alles liegt am Internethandel. Wie beeinflussen sich inhabergeführte Fachgeschäfte und große Filialisten als Frequenzbringer? Welche Rolle spielen Gastronomie, öffentlicher Raum und Verkehr?
Beste: Wir werden am Ende des Jahres zumindest alle etwas informierter sein und sicher über Einkaufen und Handel anders denken.