Schlingensief macht »Freax«-Oper
Das Schauspiel hat die Filmgeschichte längst als Fundgrube tragfähiger Geschichten entdeckt. Das Musiktheater ist da noch ziemlich zurückhaltend. Merkwürdig eigentlich, wo doch das »Gefühlskraftwerk Oper« (Alexander Kluge) genauso wie der Film einen tiefen Hang zur Kolportage hat. Der 41-jährige Komponist Moritz Eggert hat sich nun für seine neue Oper »Freax« eines der merkwürdigsten Werke der Filmgeschichte zur Vorlage genommen: Tod Brownings 1932 gedrehten Film mit dem selben Titel.
Liebe, Gier, Verachtung
Die Geschichte spielt im Jahrmarktmilieu und erzählt die Liebe des zu Geld gekommenen Liliputaners Hans zur »normalen« Artistin Cleopatra. Als sie ihren Verehrer aus Geldgier umbringt, wird er von den Freaks, den Zwergwüchsigen, Verkrüppelten, Verwachsenen brutal gerächt. Erschütternd an dem Film ist, dass seine Darsteller allesamt authentische Mitglieder damaliger »Freakshows« waren.
Eggert und seine Librettistin Hannah Dübgen haben den Plot ins zeitgenössische Showmilieu übertragen. Die kleinwüchsige Lea liebt den kleinwüchsigen Franz, dieser verehrt aber die schöne Backgroundsängerin Isabella, die wiederum in den Showmoderator Hilbert (und dessen Geld) vernarrt ist. Wichtiger Treibriemen der Katastrophe neben Liebe und Gier ist, wie bei Browning, auch hier die Verachtung der »Normalen« für die Freaks.
Ein Thema für Schlingensief
Moritz Eggert hat bereits in früheren Werken wie seinem Fußballoratorium oder seiner Internetsymphonie eine Vorliebe für »schmutzige« und realitätsgesättigte Formen und Klänge erkennen lassen. Als Regisseur für die Bonner Uraufführung, ein Auftragswerk von Beethovenfest und Theater Bonn im Rahmen von »Bonn Chance«, wurde kein Geringerer als Christoph Schlingensief engagiert, der schon bei seiner Castingshow »Freakstars 3000« oder seinem Bayreuther »Parsifal« sogenannte Behinderte und Kranke aus der Ecke des Voyeuristischen und Symbolischen herausholen wollte und auf die Bühne gebracht hat. Da ist es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er sich Brownings Stoff annehmen würde.
Uraufführung
»Freax« M: Moritz Eggert, R: Christoph Schlingensief, Opernhaus Bonn, 2.9. (P), 16.9., 18 Uhr,
6., 8., 14., 16., 22., 29.9., 19.30 Uhr.