Beteiligung auf dem Friedhof
Man weiß, es wird geschehen. Irgendwann kippt die Stimmung, wenn die Stadt mit Bürgern über deren Beteiligung redet. Anfang April dauerte es eine Dreiviertelstunde. Die Stadt hatte zum Auftakt einer neuen, umfassenderen Form der Partizipation in die Karl-Rahner-Akademie in der Innenstadt geladen. In einem Pilotprojekt sollen Bezirksvertretung (BV) Nippes und städtischer Umweltausschuss mehr Beteiligung wagen. Die Leitlinien dazu haben Politik, Verwaltung, Initiativen und zugeloste Bürger seit 2015 entwickelt.
Zunächst ließ es sich gut an. Freundlicher Empfang mit lauwarmer Limo und riesigen Brezeln. Moderatorin Anke Bruns vom WDR ist die gut gelaunte Anwältin des Publikums. Sie lässt die Gäste ein Stofftier durch die Reihen werfen, wer es fängt, sagt seinen Namen und weshalb er gekommen ist. Das findet das Publikum lustig. Aber dann.
Bruns versucht Franz Meurer zu interviewen. Der von Bruns als »Don Camillo aus Höhenberg-Vingst« vorgestellte Pfarrer ist einer jener sogenannten Promotoren. Sie sollen »Beteiligungsferne aktivieren«, Menschen, die sich nicht angesprochen fühlen, etwa Migranten und Arme. Aber Meurer will irgendwie nicht interviewt werden, er sagt einfach, was ihm wichtig ist. Etwa, dass Bürger zu wenig Resonanz erhielten. Von den Stadtgesprächen, zu denen OB Henriette Reker in den Bezirken lädt, hält Meurer nichts. »Da geh ich nicht mehr hin! Das ist doch alles Quatsch!«, ruft er. Befreiendes Lachen im Saal. »Beteiligung bedeutet mehr, als dass Bürgerliche mit der Stadt klüngeln.« Tosender Beifall des Publikums, das sich fast nur aus solchen Bürgerlichen zusammensetzt.
Die meisten der sechzig Gäste im Saal sind Routiniers der Partizipation. Sie wollen nichts fragen, sondern etwas sagen: warum sie der Stadt nicht trauen, wie oft sie schon enttäuscht wurden von Bürgerbeteiligung. »Ich mach mal einen Vorschlag«, sagt Moderatorin Bruns. »Ab jetzt nur noch konkrete Fragen.« Buhrufe. Die Veranstalter in der Defensive. Jetzt schnell die Floskeln: »stehen erst am Anfang«, »werden alles in den Prozess einspeisen«. Städtischen Vertreter können einem auch leidtun.
Das neue Büro für Öffentlichkeitsbeteiligung, ein Zusammenschluss aus Vertretern der Stadt und der Kölner Freiwilligen-Agentur plant die neue Partizipation und will vor allem »Beteiligungsferne aktivieren«. Büroleiterin Daniela Hoffmann sagt, man wolle Vertrauen zurückgewinnen. Dazu gibt es das »Pilotprojekt zur systematischen Öffentlichkeitsbeteiligung«: Wenn Beschlussvorlagen in der BV Nippes und im Umweltausschuss keine Bürgerbeteiligung vorsehen, muss das begründet werden. Meist sind es zeitliche Gründe. Beteiligung dauert.
Als Ende 2017 die neuen Leitlinien verabschiedet wurden, wollte man sie gleich überall anwenden, nicht nur probeweise in einem Bezirk und Ausschuss. Doch OB Reker zog im April 2018 die Reißleine. Sie befürchtete »Nachteile in Form von verlängerten Verfahren und hohem Aufwand« — lieber erst mal in Nippes und im Umweltausschuss testen. Das Leitlinien-Gremium war empört. Daher gibt es zusätzlich noch vier Beteiligungsverfahren in den Bereichen Kultur, Sport, Stadtentwicklung und Verkehr. Da geht es um einen Bolzplatz in Mülheim oder um die Zukunft der Kölner Friedhöfe. Friedhöfe? Das Publikum wirkt verdutzt. So richtig treibt das Thema keinen um. Als die Gäste sich dann an Tische vor Stellwänden setzen sollen, um über diese Themen zu reden und Ideen zu sammeln, murrt ein Besucher: »Ich hab nach all den Jahren langsam genug davon, irgendwelche Zettelchen auf Stellwände zu pinnen.« Die Bürger wollen bei den umstrittenen Projekten mitreden: Kalkberg, Erweiterung des FC-Geländes in den Grüngürtel, Busspur auf der Aachener Straße.
Aber da hat sich der Saal schon zur Hälfte geleert. Die Routiniers der Partizipation stehen nach dem Schlusswort in Gruppen zusammen. Die anderen, die neuen Interessierten, haben den Saal längst verlassen. Womöglich muss die Stadt bei ihnen nun auch schon Vertrauen zurückgewinnen.