Schlichte Sachen und mehr

Kölns einziger Popstar: Gentleman

 

Die Eckdaten sind eigentlich jedem bekannt: der Pfarrerssohn Tilman Otto aus Köln ist der größte Reggae-Player in ganz ­Europa. So weit, so unglaublich. Vom Debüt »Trodin On« (1999) arbeitete er sich bis zu »Confidence« (2004) beständig nach oben. Die unablässigen Touren wurden mit einem Platz 1 in den deutschen Charts belohnt.

Was noch unglaublicher ist: Das hört einfach nicht auf. Nach drei Jahren kreativer Pause (er nennt es auch: Schreibblockade) veröffentlicht er jetzt »Another Intensity« (erschienen auf Four Music) in 16 Ländern. In Deutschland ist die Platte prompt von 0 auf 2 in den Charts eingestiegen. Das weiß Gentleman zum Zeitpunkt des Telefon-Interviews aller­dings noch nicht. Er ist nach ei­nem halben Jahr in Jamaica auf dem Weg zurück nach Köln, zurück zu seiner Familie. »Ich vermisse dort neben meiner Familie auch so was wie den Express oder Brötchen, so schlichte Sachen. Und den Wechsel der Jahreszeiten.« Er lacht. Ihm ist klar, dass er ein Klischee heraufbeschworen hat.

In deutschen Interviews wird er immer wieder mit den gleichen Fragen nach Reggae belästigt. Aber warum wird dieses Genre immer noch stereotyp mit Bob Marley, Kiffen, Dreadlocks und ewigem Sonnenschein verbunden? Gentleman überlegt: »Ich fürchte, dass in Deutschland diese Musik immer mit Events und Konsum ver­bunden wird, einer ewigen Fei­erei. Das ist keine gewachsene Kul­tur hier. Ich glaube aber, dass es sich so langsam ändert.« Man muss feststellen, dass diese Änderungen im Mainstream zumindest schwer festzumachen sind. Zu Zeiten seiner Koope­ra­tion mit Freundeskreis und ­Mellowbag, »Tabula Rasa« heißt der mittler­wei­le fast zehn Jahre alte Hit, schien noch alles möglich. Doch die Sounds haben sich geändert, der Tonfall sowieso. »Dieser Pseudo-Ghettorap, der hier momentan so erfolgreich ist, das ist absurd. Aber die Kultur geht in Wellen. Das wird schon bald wieder vorbei sein. Und dann kommt was Neues, was Besseres – da bin ich mir sicher.«

Gentleman selber versteht sich allerdings nicht als Weg­bereiter neuer, experimenteller Sounds. »Another Intensity« setzt da an, wo »Confidence« aufgehört hat. Hochmelodischer Roots-Reggae mit spitzen Bläsersätzen und weiblicher Gesangsbegleitung.

Und auch textlich kann man ihn durchaus als Gegenposition zum gängigen Neo-Hedonis­mus ver­ste­hen: »It’s not about class, colour or races / let’s get around and see different places yeah / put a smile on thus distant faces / wipe away your sorrow with no traces«, heißt es auf der aktuellen Single »Different Pla­ces«
.
Dass er allerdings immer wieder mit jamaikanischen Künstlern wie Sizzla zusammenarbeitet, die explizit zum Bashing von Homo­sexuellen aufrufen, bleibt dann doch zweifelhaft – so sehr er sich auch von diesen Standpunkten distanziert. Vielleicht ist das der Preis seines Erfolges, den er zu zahlen bereit ist.

Konzert: Fr 26.10., Palladium 20 Uhr