Die Leere im Freizeitparadies
Rechts geht es in die Hölle,links ins Paradies. Doch der Ausstellungsbesucher trifft seine Entscheidung im chic designten Entrée zum Rundgang unwissentlich, und am Ende wird er dieses Gegensatzpaar ohnehin komplexer sehen. Denn diese Schau inszeniert die Themen Religion, Extase, Schmerz in einem komplexen Spiegelkabinett und bringt 120 Werke verschiedener Medien und Epochen zusammen.
Mittelalterliche Höllenszenen, Märtyrerbilder und Darstellungen des jüngsten Gerichts treffen auf die Fotoserie »Exaltation« der 1963 geborenen niederländischen Fotografin Desiree Dolron, aufgenommen in den 90er Jahren in Indien, Thailand, Marokko oder Ägypten. Die sepiatonigen Schwarzweiß-Aufnahmen zeigen extreme Praktiken religiöser Extase, die den mittelalterlichen Schreckensbildern nicht nachstehen: durchbohrte Körperteile in Großaufnahme, schemenhafte Leichen, Totalen gegeißelter und gekreuzigter Menschen, gipfelnd in dem Video einer blutigen Selbstgeißelung.
In der zweiten Sektion gibt es keine Erlösung: Wenn der Mensch versucht sich das Paradies auf Erden vorzustellen, kommt schnell eine veritable Hölle dabei heraus (Paul Claudel). Neben Kupferstichen mit frühbarocken Paradiesdarstellungen hängen Fotografien des 44-jährigen Thomas Wrede von deutschen Vergnügungsparks in Bottrop-Kirchhellen, Rust oder Brühl. Seine Serie »Magic Worlds« zeigt diese Freizeitparadiese menschenleer, außerhalb der Öffnungszeiten, was ihnen einen ebenso melancholischen wie entlarvenden Charakter verleiht.
»It could be heaven or it could be hell« sangen die Eagles, deren Klassiker »Hotel California« den Ausstellungstitel liefert. Er erschließt sich vielleicht am besten in Wredes kleinformatiger Serie »Magic Feelings«. Die Bilder zeigen Gesichter von Achterbahnfahrern in Großaufnahme, aufgenommen mit dem Teleobjektiv, das dem menschlichen Auge Verborgenes sichtbar macht: den Moment lust- und angstvoller Extase, erkauft durch das Martyrium eines satten Eintrittsgeldes.
Museumsdirektor Andreas Blühm und Kurator Thomas Krischel versprechen dem Besucher eine »museale Achterbahnfahrt«, und er bekommt sie. Den Ausstellungsmachern sind die berechtigten Fragen sehr bewusst: Sind christliches Martyrium, Fakirtum, freiwillige Selbstkasteiung und Folter gleichzusetzen? Welche Rolle spielt der kulturelle Kontext? Man muss zu diesem Experiment gratulieren. Blühm setzt seine Besucher-Offensive mit einer Ausstellung fort, die in Zeiten von Piercing, Folterbildern aus dem Irak und inflationärer Sex- und Gewaltdarstellungen im Alltag auch Fragestellungen der Kulturwissenschaft, Psychologie, Medien- und Gewaltforschung oder Gender Studies berührt. Vor allem aber kann sie unser Bewusstsein für Darstellungsweisen, Funktion und Wirkung von Bildern schärfen.
Wallraf-Richartz-Museum – Fondation Corboud, Martinstr. 39, Di 10-20, Mi-Fr 10-18, Sa+So 11-18 Uhr, bis 18.11.