Mutters Beste aller Welten
Das Universum ist ungefähr 14 Milliarden Jahre alt. Heike Mutter ist genau 32 Jahre alt. Zeiträume in unterschiedlichen Dimensionen. Was also könnte Heike Mutter und das Universum näher bringen? Der Gedanke an parallele Universen, der nahe legt, dass jede Zustandsform auch in einem anderen existiert? Möglich. Heike Mutter kam mit einem Diplom in Grafikdesign an die Kunsthochschule für Medien und studierte Video bei Jürgen Klauke und David Larcher. Dazwischen arbeitete sie kurz in der Werbung und entschied sich gegen Springer und Jacoby. Sie wirkt zielstrebig.
Frank Frangenberg:
Du verstehst dich nicht als junge Avantgarde-Künstlerin, die mit den Mitteln des state-of-the-art zeitgenössische Kunst produziert?
Heike Mutter:
»Gar nicht. Als ich mich an der KHM beworben habe, war es tatsächlich so, dass ich dachte: Jetzt mache ich Video. Als ich mich einarbeitete, merkte ich, dass es viel Zeit brauchte. Medien muss man immer lernen. Das ist ja auch normal: Wenn ich malen wollte, müsste ich ja auch das Medium beherrschen.«
Heike Mutter ist eine der wenigen Künstlerinnen, die von der Kunsthochschule für Medien aus sich im Kunstkontext der Stadt einen Namen machen. Es scheint immer noch ein seltsam unscharfes zu sein, das Verhältnis von Kunstkontext und Medienhochschule, als hätte man in der gegenseitigen Ignoranz eine gute Nachbarschaft entdeckt. Haben die Absolventen sämtliche Techniken des Bildes an der KHM experimentell erprobt, um in der Wirtschaft oder Werbung zu verschwinden?
»Wenn du die Leute fragen würdest, würden sie dir antworten, dass sie dort auf keinen Fall hinwollen. Aber das ist, wenn man so will, die Kehrseite. Die Möglichkeiten, in die man sich an der KHM einarbeiten kann, schließen immer auch kommerzielle Anwendungen mit ein.«
Wie ist denn dein Verhältnis zur Hardware? Darf man die Apparate sehen?
»Was ich überhaupt nicht mag, sind Projektionen, weil ich diese großen erleuchteten Bilder wirklich hasse und ansonsten ist es, ja, schon ambivalent. Ich versuche, das richtige Medium für die Arbeit zu finden. Die Plasmabildschirme in der Artothek sind relativ gigantisch, normalerweise benutze ich kleine Monitore. Weil ich es gerne mag, wenn die Leute schon hingucken müssen.«
Du machst es den Leuten also gerne schwer?
»Es muss sein, dass man den Fluss auch einmal anhalten kann. Ständig bewegt man sich zwischen Bildern, die flutschen und flimmern. Man sollte sich Sachen auch einmal genau anschauen. Und deshalb sollte man es sich nicht zu leicht machen.«
Mein Problem mit Video ist ein Bekanntes: dass es soviel kategorischer ist als ein Tafelbild. Das bleibt hängen, egal ob ich hinschaue oder nicht. Der Imperativ des Video ist viel zwingender: Bitte schau mich an. Ich bin ein bewegtes Bild, ich erstrecke mich in der Zeit und dauere 12:30 Minuten.
»Ich bin ja kein Kunstdiktator. Wer gehen möchte, soll gehen. Um Gottes Willen. Ich sage einfach, dass es einige Aufmerksamkeit erfordert und man sich darauf einlassen muss. Ich möchte niemanden zwingen.«
Und dennoch. Meine Angst, einem Video, ohne dass ich es kenne, in voller Länge ausgesetzt zu sein, wird nur übertroffen von der ganz konkreten Angst, einem Video in voller Länge in der neuen Video Lounge des Museum Ludwig ausgesetzt zu sein. Die Ausstellung in der Kölner Artothek heißt »Paralleluniversen« und besteht aus einer Videoinstallation und drei schmalen Fotoarbeiten auf der Empore. Zwei Flachbildschirme sind nebeneinander an die Wand gehängt, davor stehen zwei Videorecorder und ein kleiner Monitor. Das Video dauert 12:30 Minuten. Auf dem linken Schirm sehen wir einen Lehrfilm aus dem Jahre 1952 über die Entstehung der Erde, rechts sehen wir eine filmische Paraphrase über Tarkowskijs »Solaris«, von Heike Mutter und Carolin Schmitz. Beide arbeiten zur Zeit an einem Dokumentarfilm über eine Sternwarte in Chile. Das Universum wird beobachtet von uns allen, die wir regelmäßig aus dem Fenster nach dem Mond schauen. Bessere Augen können weiter schauen, wie wir wissen: Fernrohre und Teleskope. Je besser die Teleskope, desto weiter kann man zurückblicken in die Vergangenheit. 14 Milliarden Jahre. Eines der größten Observatorien der Welt steht in Chile in den Bergen auf 2.500 Meter Höhe; im November sind Carolin Schmitz und Heike Mutter dorthin gefahren, ihren Dokumentarfilm zu drehen.
»Einen Dokumentarfilm über die Leute, die dort leben und arbeiten. Uns hat interessiert, wie die Leute dort in ihren Containern leben, abgeschieden, unter großem Verzicht, und Philosophie betreiben. Sie beschäftigten sich mit den größten Dimensionen. Es ist ja wirklich unvorstellbar. Es erschien mir wie eine Parallele zur Kunst: sehr visionär, ohne konkretes Ziel, arbeiten sie kontinuierlich an irgendwas, sammeln Informationen, in abgeschlossenen Räumen diskutiert von den Kollegen.«
Wenn mich die Entstehung der Welt interessiert, soll ich nach Chile fahren? Müsste ich nicht viel mehr in mich gucken, ob ich mir den Gedanken eines unendlichen Weltalls überhaupt vorstellen kann?
»Es ist manchmal ganz schön, seinen Standpunkt zu verlassen. Eine Reise zu machen an einen Ort, an dem man sonst nicht ist. Mit Leuten reden, mit denen man normalerweise nie redet. Und die Leute dort sind tatsächlich sehr abgeschieden, der Technik und Natur ausgeliefert. Wenn sie abends zu sechst Salsa-Kurse machen, der kubanische Physiker sich noch gut bewegen kann, eine zwei Meter große Frau in seltsamen Kleidern sich versucht zu bewegen, die Partner gewechselt werden und man uns auffordert mitzumachen, fragst du dich schon, bin ich hier in der Gruppentherapie? Aber wenn ich mit dem Wachmann in der KHM spreche und er mich fragt: Was machst du eigentlich da? Verdienst du damit Geld? ist es ähnlich.«
Wieviele Paralleluniversen haben wir jetzt schon?
»Sie sind nicht richtig zusammen zu bringen. Wenn die Physiker dort oben über ihre Arbeit sprechen, ist es entweder mathematisch abstrakt oder philosophisch. Da sitzt keiner draußen, guckt in den Sternenhimmel und trinkt ein Bier, denn solange die Teleskope offen sind, darf sich draußen nichts bewegen und Biertrinken ist verboten. Nach Chile zu gehen, das war der Wunsch raus zu gehen, in das Leben zu gehen, mit Menschen zu sprechen und Fragen zu stellen, weil ich es hasse, allein vor diesen Geräten zu sitzen und mit ihnen nicht kommunizieren zu können.«
Kehren wir doch am Ende zur Anfangsfrage zurück: Du verstehst dich nicht als zeitgenössische Medienkünstlerin?
»Ich bin ein Mensch, der sich nicht gerne schnell festlegt. Wenn mich jemand fragt, was ich mache – es gibt Leute, die da problemlos sagen: Ich bin Künstlerin. Würdest du wahrscheinlich aus meinem Mund nicht unbedingt hören.«
Was schreibst du in die Rubrik Beruf beim Check-in im Hotel?
»Da könnte ich Diplomdesignerin eintragen. Wenn du mich fragst, wo ich mich in zehn Jahren sehe, kann ich dir auch keine exakte Position angeben. Ich bin jemand, der sich leicht gegen Sachen entscheiden kann, aber vielleicht will ich sie nicht aussprechen. Man will sich auch nicht beschränken. Einmal wurde ich als Videokünstlerin vorgestellt und ich habe sofort gesagt: Ich bin keine Videokünstlerin! Erstens mach ich nicht nur Video, zweitens weiß ich überhaupt nicht, ob ich Künstlerin sein will! Der andere hat sich dann als Kurator vorgestellt. Schon daneben. Ich hab’ einfach was gegen Kategorisierungen.«
Du sagtest, du machst abends nicht den Fernseher an. Hast du eine Wohnung?
»Ich wohne mit meinem Freund zusammen und einer Freundin.«
Aber keine Kinder?
»Nö.«
Haustiere?
»Nö.«
Wer gießt die Blumen?
»Wir haben keine Blumen. Wir haben aber einen Garten bei unserem Atelier mit einem Kirschbaum.«
Wer pflückt die Kirschen?
»Niemand. Die Vögel.«
Ich danke dir für das Gespräch.
Heike Mutter: Paralleluniversen, in Zusammenarbeit mit Carolin Schmitz, Artothek, mo – do 13-19, fr 10-17 Uhr, bis 5.3. Im Februar wird Heike Mutter in der Amsterdamer Galerie Vous etes ici ausstellen.