Unsere schönsten Jahre
Punk feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. In London fand hierzu die Ausstellung »Panic Attac! Art in the Punk Years« statt, ansonsten sind die Feierlichkeiten eher zurückhaltend verlaufen. Das ZDF strahlte diesen September den 1978 entstandenen Spielfilm »Brennende Langeweile« von Wolfgang Büld aus, einen der ersten Punk-Spielfilme, in dem sich ein junges Paar aus dem Sauerland auf den Weg nach Düsseldorf macht, um dort ein Konzert der Adverts zu besuchen.
Aber eigentlich ist schon alles über Punk gesagt, gezeigt und geschrieben worden. Greil Marcus hatte Punk bereits 1989 in »Lipstick Traces« in einen direkten Zusammenhang mit den Dadaisten gestellt und damit seine Musealisierung prophezeit. Zahlreiche weitere Bücher, Ausstellungen und Film-Dokus folgten, bis schließlich 2004 ein Punk-Kongress in Kassel mit namhaften Gästen wie Malcolm McLaren und Dick Hebdige, gefördert von der »Kulturstiftung des Bundes«, die Bewegung endgültig als ein Stück kanonisierte Kulturgeschichte präsentierte.
Keine Subkultur ist so präzise dokumentiert worden wie jene, die sich einmal »No Future« auf ihre Banner schrieb. Aber wer die Musealisierung von Punk beklagt, müsste auch die Musealisierung von Fluxus beklagen und die der Avantgarde innewohnende gesellschaftliche Katalysatorfunktion schlechthin. Nahezu alle Kriterien, die Peter Bürger in seinem Standardwerk »Theorie der Avantgarde« als Wesensmerkmale derselben aufgeführt hat, treffen auch auf Punk zu: Collage, Demontage, Zerstörung von Sinn und Form, die Überwindung des Gegensatzes von Kunst und Leben, demonstratives Auftreten in Gruppen etc. Kurzum: Das Flüchtige an Punk war so angelegt, dass es sich nur im Museum oder in Geschichtsbüchern rekonstruieren lässt.
Zwei aktuelle Alben verdeutlichen, dass sich heute Punk auch musikalisch vor allem in Form der kenntlich gemachten Erinnerung, also als ausgewiesenes Zitat wiedergeben lässt. Jeffrey Lewis mit »12 Crass Songs« und Dirty Projectors mit »Rise Above« arbeiten nicht an einer Revitalisierung von Punk, die ignoriert, dass wir nicht mehr im Jahr 1977 leben. Sie übersetzen Punk auf je eigene Weise in unsere Zeit, ohne dabei nostalgische Töne anzustimmen.
Jeffrey Lewis, der große Geschichtenerzähler des New Yorker Antifolk, ist ein politischer Musiker. Seine Songs handeln von denen, die durch das soziale Netz gefallen sind. Im Zweifelsfall handeln sie also von ihm selbst. Dass jemand, der in seinen Songs so viel zu erzählen hat, auf einem kompletten Album nur fremde Titel covert, mag verwundern. Doch die Band, die Lewis in Erinnerung ruft, ist eben noch viel eloquenter gewesen als er selbst: Crass, die britischen Anarcho-Punks um Steve Ignorant und Eve Libertin, erschlugen ihr Publikum mit Knüppelpunk-Textkaskaden zu Sexismus, Tierschutz und dem Falkland-Krieg. Lewis hat die aggressive Musik in geschmeidigen Folk-Pop übersetzt. Crass klingen plötzlich wieder up to date, obwohl es sich eigentlich um eine Rückübersetzung handelt: Lewis interpretiert sie, als seien sie eine Folk-Band der Mittsechziger gewesen. In seinen Versionen klingen Bob Dylan, Pete Seeger, David Peel und die Incredible String Band durch.
Das sorgt paradoxerweise für eine »Verjüngung« des Crass-Song-Katalogs, denn Referenzen an Sixties-Folk hören sich für heutige Indie-Ohren zeitgemäßer als Punk an. Viel interessanter als dieser stilistische Transfer ist allerdings, dass Lewis die Punks auch politisch zu retten versteht: Crass waren bei all ihren Verdiensten auch nervige Prediger mit Hang zu protestantischer Humorlosigkeit. Den nonchalanten, manchmal melancholischen Versionen von Lewis ist dagegen alles Verbissene fremd, was für umso mehr Verbindlichkeit sorgt.
Noch radikaler geht der ebenfalls aus New York stammende David Longstreth mit Black Flag um. Er hat unter seinem Projekt-Namen Dirty Projectors das legendäre »Damaged«-Album von 1981 radikal aus der persönlichen Erinnerung heraus nachgespielt. Ohne es hierfür noch einmal gehört zu haben. Insofern kann eigentlich auch gar nicht von Black-Flag-Versionen die Rede sein, meist stimmen weder die Texte noch die Melodien mit den Originalen überein.
Während Lewis versucht, Crass einem heutigen jungen Publikum nahe zu bringen, findet bei Dirty Prtotectors eine Auseinandersetzung mit der eigenen Jugend statt, mit jener Zeit, in der »Damaged« für den College-Absolventen Longstreth eine wichtige Rolle gespielt hatte. Dadurch ist »Rise Above« ein sehr persönliches Album geworden, das Black Flag nicht imitiert, sondern von den Originalen so weit entfernt ist, dass selbst Fans Schwierigkeiten haben, Stücke wie »Thirsty And Miserable« zu erkennen. Mit Jazz- und Wave-Elementen sowie einer gehörigen Portion David Byrne in der Stimme versucht Longstreth erst gar nicht, die Wucht und die Wut des Originals neu aufzulegen. Die viel beschworene Punk-Authentizität geht seinem Album völlig ab. Frei nach dem Giant-Sand-Song »You Can’t Put Your Arms Around A Memory« bleibt seine Erinnerungsarbeit ein lückenhaftes, manchmal zögerliches Herantasten an einen Sound, der nicht mehr »authentisch« zu rekonstruieren ist. Auf diese Weise, die der Jazz-Improvisation von Standards nahe kommt, lebt Punk weiter und wird doch zugleich in seine historischen Schranken verwiesen.
Tonträger: Jeffrey Lewis,
»12 Crass Songs«, Dirty Projectors,
»Rise Above«, Beide Alben sind auf
Rough Trade erschienen.
Konzert: Dirty Projectors spielt im Rahmen der »Reconstructing Song«-Reihe: Mo 19.11., Stadtgarten, 20.30 Uhr
StadtRevue verlost 5x2 Gästelistenplätze.
E-Mail bis Do 15.11., Stichwort: »Rise Above«