Nur nicht nachdenken!

Oliver Minck traf Can-Legende Holger Czukay

»Meine Vergangenheit belastet mich nicht im geringsten. Ich finde immer wieder Möglichkeiten, mit Konventionen zu brechen. Das Spiel eröffnen und hinterher die Sache gestalten – so habe ich das immer gemacht.« Kein Wunder, dass Holger Czukay jemand ist, der sich für seinen Kultstatus offenbar nicht interessiert.

Dabei ist Czukay 1968 Gründungsmitglied von Can gewesen – und steht für den Beginn der Popszene im Rheinland. Fakt ist, dass die beiden wichtigsten deutschen Bands der 70er-Jahre aus dieser Region kommen: Düsseldorf schmückt sich mit Kraftwerk, auf der Kölner Trumpfkarte steht Can. Während die immer noch existenten Kraftwerk weit in den Mainstream dringen konnten, blieben die 1980 aufgelösten Can Avantgarde: Zu jeder Zeit dem Geist des kollektiven Experiments verpflichtet, verweigerte das Quartett weitgehend konventionelle Songstrukturen und widerstand, trotz einiger Single-Hits, den Verlockungen der Charts.^

»Die Sachen, die wir vor 35 Jahren gemacht haben, finden heute auf einmal Interesse«

Holger Czukay, Bassist und Produzent der Band, kann mit der nachträglichen Kölner Einverleibung Cans dementsprechend wenig anfangen. Czukay fragt sich, was denn popkulturell in den 70er Jahren überhaupt passiert sei: »Ist das etwas, was mich besonders berührt hat? Nicht unbedingt. Can galten als Popgruppe. Ich habe mich dabei total unverstanden gefühlt. Ich hatte den Eindruck: Niemand hat begriffen, was Can eigentlich macht!« Mit ihrer Musik kommerziell erfolgreich zu sein, hatte sich das Quintett schnell abgeschminkt: »Damals habe ich gesagt: Zu unseren Zeiten werden wir den Verdienst nicht einfahren, aber es wird uns später die Lebensversicherung ersetzen. Gerade hat irgendeine amerikanische Gruppe einen Can-Titel gecovert. Und die Platte hat sich direkt über eine Millionen Mal verkauft. Die Sachen, die wir vor 35 Jahren gemacht haben, finden heute auf einmal Interesse.«

In ihrer Heimatstadt ließ eine wirkliche Anerkennung Cans bis Anfang der 90er Jahre auf sich warten: Die Protagonisten der neuen Kölner Elektronikszene beriefen sich plötzlich auf die Band und ihre schleifenartigen, hypnotischen Arrangements. Can werden gefeiert als die Urväter der Sample-Technik, als Pioniere moderner Produktionsverfahren. Czukay ließ sich bereitwillig ein auf den Brückenschlag der Generationen, kooperierte mit hiesigen Techno-Größen wie Dr.Walker und enterte nach jahrzehntelanger Abstinenz wieder die Live-Bühnen. Köln, Mitte der 90er Jahre: Sollte die Stadt jemals ein blühendes Zentrum des Pop im Einklang mit seiner Vergangenheit gewesen sein, dann zu diesem Zeitpunkt.

Mit der »Pop am Rhein«- Ausstellung kommt der hiesige Sound also ins Museum, auch Czukay wird Teil einer Ausstellung. Was ihn schon ein wenig fuchst: »Ein Museum ist immer ein verdächtiger Ort. Ich würde von selbst nie auf die Idee kommen, in einem Museum aufzutreten. Ich interessiere mich auch gar nicht dafür, was dort ausgestellt wird. Ich betrachte die Räume unter dem Gesichtspunkt, ob sie sich gut bespielen ließen.« Seiner eigenen Musealisierung will Czukay unbedingt vorbeugen: In seiner Show im Kölner Museum für Angewandte Kunst anlässlich seines im nächsten Frühjahr anstehenden siebzigsten Geburtstags lässt er nicht nur die Vergangenheit aufleben. Vor allem das jüngst erschienene Album »21st Century« wird live dargeboten.

»Musik braucht keine Botschaft«

Die Platte hat eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte: Die Basistracks kommen von Drew Kalapach, einem amerikanischen Fan und Amateurmusiker, den Czukay über das Internet kennen gelernt hat. Die beiden haben sich in der realen Welt noch nie gesehen, trotzdem verbindet sie laut Czukay eine tiefe Freundschaft: »Das ist doch fantastisch, wenn du dich mit jemandem musikalisch fast schon telepathisch verstehst, aber nicht seine dreckigen Kaffeetassen abwaschen musst. Es gibt aber auch eine tiefere Bedeutung, das war auch schon bei Can so: Es ist wichtig, mit etwas zu arbeiten, was dir unbekannt ist, mit Überraschungsmomenten.«

Mit von der Partie ist erneut Czukays Lebensgefährtin: Früher firmierte sie unter dem Namen U-She, heute nennt sie sich Ursa Major. Mit ihren Texten, die sie wie Nico intoniert, verleiht sie den elektronisch pluckernden Arrangements einen klaren Liedcharakter. Dank ihrer schlichten Plakativität – »Every day is a new day, You shouldn’t try to run away« – stehen die Lyrics deutlich im Vordergrund. Interessanterweise gibt Czukay an, sich für Majors Texte gar nicht zu interessieren: »Lyrics haben für mich überhaupt keine Bedeutung, das geht links rein und rechts raus. Ich habe zwar alles bearbeitet, wusste aber nie, worum es geht.« Nicht um eine »inhaltliche«, über Texte vermittelte Aussage geht es Czukay, sondern allein um die Arbeit am Klang: »Ich habe früher auch schon immer Gesang nach musikalischen Gesichtspunkten geschnitten, ob das jetzt japanische oder deutsche Texte waren, selbst wenn das inhaltlich überhaupt keinen Sinn gemacht hat.«

Aus dieser Haltung heraus, für die Musikmachen und Nachdenken im Widerspruch zueinander stehen, formuliert Czukay sein Credo: »Ich orientiere mich rein akustisch. Du kannst mir ein Buch geben, ich lese eine Seite, und hinterher kann ich mich an kein einziges Wort erinnern. Musik ist dagegen eine Sprache, die sich selbst erklärt, sie braucht keine Botschaft.«

Holger Czukay und Ursa Major:
»Eine Nacht im 21. Jahrhundert«
Sa 3.11., Museum für Angewandte Kunst, ab 21 Uhr,
»Lange Nacht der Kölner Museen«

Holger Czukay zeigt den Film »Krieg der Töne«, seine
»Internet Videos« und performt mit Ursa Major sein
aktuelles Album »21st Century Music« (erschienen auf
Revisited/SPV). Später gibt er einen »Midnight Talk«,
und zum Abschluss der Nacht remixt er seine Ambient-
Komposition »La Luna. Night Ceremony«.


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