Vom Leben gezeichnet

Aus der Untersicht: In »Persepolis« erzählt Marjane Satrapi von ihrer Jugend zwischen iranischer Revolution und europäischem Exil

 

Der Jurypreis in Cannes, danach eine Oscar-Nominierung – das sind eher ungewohnte Eh­ren für eine Comicverfilmung. Doch schon die 2000 erschienene Buchvorlage der gebürtigen Iranerin Marjane Satrapi wurde ausgezeichnet, z.B. auf der Frankfurter Buchmesse als »Comic des Jahres«.

Die beiden Bände – über eine Million Mal verkauft – in 25 Sprachen übersetzt, erzählen von den ersten Jahren der Iranischen Revolution: vom Sturz des Schah, der Indoktrination in Schule und Gesellschaft, der zunehmenden Kontrolle des öffentlichen Rau­mes durch Tugendwächter und von den Massenhinrichtungen. Das alles sind mehr oder weniger bekannte Fakten, die das Image des Iran als finstere Mullah-Republik seit knapp drei Jahrzehnten festigen. Wie Satrapi dies vermittelt, das bricht allerdings radikal mit landläufigen Klischees von einer gleichgeschalteten, religiös eupho­risierten Einheitsgesellschaft.

Revolution, Krieg, Exil

»Autofiction« nennt Sa­trapi ihre Erzähltechnik, inspiriert von Art Spiegelmans Holocaust-Comic »Maus« und eng an der eigenen Biografie geführt: 1984 wird die fünfzehnjährige Marjane von den Eltern aus dem vom Krieg mit dem Irak zerrütteten Land in Richtung Wien geschickt, wo sie allerdings irgendwann auf der Straße endet. Nach der Rückkehr in die Heimat, einer Heirat und der Scheidung folgt eine erneute Ausreise, diesmal nach Frankreich, wo Satrapi ihr Stu­dium beendet und seit 1994 lebt.

Revolution, Krieg, dann Exil: »Persepolis« schildert die großen historischen Verläufe aus der Untersicht einer Halbwüchsigen, die nicht viel mehr will, als ein normales Teenieleben führen, mit ein bisschen Popkultur zwischen Bee Gees, Iron Maiden und Michael Jackson, die aber permanent daran gehindert wird.

Dem verordneten revolutionären Pathos werden in Buch wie Film private Innensichten und Werte entgegengestellt: Der Humanismus des geliebten Onkel Anusch, der für seine liberalen Überzeugungen mit dem Leben bezahlt, die unverbrüchliche Zuversicht der unbeirrbaren Oma. Solche sympathischen Mentoren sind Symbole eines anderen, freien Iran. Sie bieten als Vertreter eines intellektuellen kosmopoli­­ti­schen Bürgertums ein wirk­sames Heilmittel gegen hartnäckige ­Stereotypen, die von einer ein­fältigen westlichen Berichter­stattung, einem ausfälligen iranischen Staats­präsidenten und der oft übertriebenen Armutsfolklore des iranischen Kinos genährt werden.

Die Rückkehr der klaren Form

Auch die formale Gestaltung von »Persepolis« hält mit der Comicvorlage Schritt: Gegen das Gewimmel von unzähligen Klein­lebewesen im aktuellen com­putergenerierten Animationsfilm setzen Satrapi und ihr Ko-Re­­gis­seur Vincent Paraunaud die Rückkehr der klaren Form. Die verführerischen Möglichkeiten des Mediums zur grenzenlosen Rea­litätsüberschreitung werden da­bei spar­sam, diszipliniert und stimmig genutzt: wenn sich etwa der Körper der heftig pubertierenden Marjane in Wachstumsschüben krümmt, formt und ausbeult, oder wenn der Ex-Freund, der eben noch als Prinz gezeichnet wurde, plötzlich als sabberndes Ekel erscheint, erhält der Begriff der »subjektiven Kamera« neue Bedeutung.

Die Animation des nur vordergründig naiven Schwarzweiß ist unübersehbar vom filigra­nen Stil der Scherenschnitt-Meisterwerke Lotte Reiningers, (»Die Abenteuer des Prinzen Achmet«, 1922) inspiriert. Diese im besten Sinne altmodische Gestaltung, mär­chenhaft und authentisch zugleich, und der zwischen traurig und lustig wechselnde Erzählton bewirken ein Einfühlen in Figur und Fabel, das selbst die virtuelle Detailflut von Pixar-, Disney- und sonstigen -Produktionen kaum ermöglicht.

Über eine Million Zuschauer in Frankreich, Preisregen und ein weltweit positives Echo: »Persepolis« erzählt auch eine weit über den konkreten Rahmen hinausreichende universelle Geschichte vom Erwachsenwerden. Die Repolitisierung erfolgte postwendend: Nachdem sich der Iran bereits über den unterstellten Anti-Iran-Rassismus der Histo­rien-Schlachtplatte »300« ereifert hatte, reichte unlängst die staat­liche iranische Filmförderungs­gesellschaft Farabi eine Protestnote beim französischen KulturAttaché ein. Vorwurf: In »Per­sepolis« seien die »Errungenschaften der Revolution falsch dargestellt«. Im Iran selbst ist der Film verboten.

Persepolis
F 07, R: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud, 95 Min. Start: 22.11.