Bitte recht exotisch
Sehnsüchtig, den noch dünnen Erlebnisbeutel praller werden zu lassen, schwirrt der junge Mensch gern in die Ferne. Das war schon immer so, unzählige Bücher und Filme handeln von nichts anderem. Je weiter weg es geht, desto größer erscheint die Aussicht auf Erfüllung, auf Sinnstiftung. In Europa, Amerika, Australien besteht Konsens, dass Asien der Ort ist, der in einer quasi vorzivilisatorischen Weise bereit hält, was bei uns so nicht mehr zu finden sei. Also wird der Rucksack gepackt, allein oder zu zweit, mit der Zuversicht, dass sich dort etwas Entscheidendes ereignen wird. Die Fernflüge werden gebucht, um auf Distanz zu gehen zu einer verlorenen Liebe, einer verlorenen Arbeit, einem verlorenen Leben. Andere streben das Gegenteil von Distanz mit konzessionslosem Sex an. Wieder andere wollen Spiritualität finden, wenn der Jetlag abgeklungen ist, und kommen nach ein bisschen zappeliger Extase noch trauriger und leerer nach Hause, weil sie die Löcher im Gemüt wieder nicht stopfen konnten.
Um diesen Backpacker-Kosmos in allen Facetten ausleuchten zu können, hatte Regisseurin Sonja Heiss gleich mehrere wundervolle Ideen, die ihren Film zu einem ganz besonderen machen. Heiss hat international besetzt, was die Glaubwürdigkeit ihrer Charaktere ausmacht. Da sind die zwei Engländer, die als Buddies ankommen, um auf Goa-Parties möglichst viel Spaß, Bier und Skandinavierinnen zu haben. Als sich jedoch zeigt, dass sich Sex mit Skandinavierinnen nicht von alleine einstellt, weicht das bierselig Kumpelhafte wachsender Aggressivität. Zur gleichen Zeit sitzt der Ire Liam trübsinnig auf dem Rücken eines Kamels und hat die Schnauze voll von One-Night-Stands. Seit seinem letzten ist er angehender Vater und findet die angehende Mutter im heimatlichen Dublin so abtörnend, dass er die Flucht ergriff. Die Deutsche Marion meditiert derweil in einem Spiritualitätscamp über ihre festgefahrene Beziehung, während Svenja in Bangkok festsitzt und sich auf einen sehr eigenwilligen – übrigens nicht gespielten – Telefonflirt mit dem Mann im örtlichen Reisebüro einlässt.
Heiss lässt ihre Stränge parallel laufen, verzichtet bis auf eine kleine Andeutung auf kunstvolles Flechtwerk zum Finale. So wird die Verlorenheit der Protagonisten, mit denen sie fünf Monate lang in Asien gedreht hat, nicht aufgehoben. Auch das zeigt Heiss in ihrem so witzigen wie wahrhaftigen Film, die Selbstbezogenheit dieser globalen Spieler sieht ein tieferes Interesse am Gegenüber nicht vor. Jeder interessiert sich, vor exotischer Kulisse und gerahmt von exotischen Menschen, gerade ganz besonders für wenig anderes als sich selbst.
Hotel Very Welcome. D 05, R: Sonja Heiss, D: Eva Löbau, Svenja Steinfelder, Chris O’Dowd, 94 Min. Filmhaus, 2.-11.12.
Am 2.12. im Rahmen von short cuts cologne zusammen mit Sonja Heiss’ Kurzfilm »Christine ohne Kaufmann« (in Anwesenheit der Regisseurin).