An der Grenze des Sichtbaren
StadtRevue: Herr Bitomsky, Ihr Film »Staub« bildet die gesamte Palette des Phänomens ab, vom Kosmos bis zur Nanowelt. Was war die Anfangsidee?
Hartmut Bitomsky: Es gab nicht einen Anfangsunkt, sondern eine ganze Reihe von Beobachtungen. Als ich etwa in den USA den Film »B-52« drehte, habe ich öfters »dust devils« beobachten können, Das sind Mini-Tornados, die sich auf Feldern entwickeln und als kleine Staubwolken spiralförmig in den Himmel ziehen. Außerdem haben wir herausgefunden, dass das amerikanische Militär neuerdings große Staubversuche an ihrem Gerät veranstaltet. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo es immer nur darum ging, das Material daraufhin zu testen, wie es Kälte, Regen oder Matsch widersteht.
Für den Einsatz in der Sowjetunion.
Ganz klar, und heute für den Vorderen Orient.
Im Film heißt es, Staub bildet die kleinste sichtbare Einheit. Man filmt die Grenze des Sichtbaren. Wie hat Ihr Kamermann reagiert, als Sie den Film vorgeschlagen haben?
Er hat sich natürlich gefreut, genauso wie ich. Als erstes dachte ich schon, Staub, das ist so unscheinbar, fast unsichtbar: Wie kann das interessant dargestellt werden? Aber das ist ja gerade die Herausforderung.
Was wir zu sehen bekommen, sind die Effekte von Staub: Wolken am Himmel, Sandstürme oder Computermessungen in Laboratorien. Nicht das Staubkorn selbst, sondern sekundäre, abgeleitete Bilder.
Das primäre Erscheinen eines Staubkorns ist ja auch nicht das Entscheidende. Erst wenn man es in einen Kontext stellt, in eine Beziehung von Ursache und Wirkung, hat man seine lebendige Anwesenheit. Insofern kann man die sekundären Bilder gar nicht ausschließen.
Ihr Film geht enzyklopädisch vor, er schreitet alle Bereiche ab, in denen Staub eine Rolle spielt: die Arbeitswelt, die Wissenschaft, die Kunst und so weiter.
Ich glaube nicht, dass alles abgedeckt wird. Es gibt immer noch große Lücken. Das ist ja das Interessante an diesem Gegenstand: Einerseits ist er winzig, andererseits ist er so vielfältig, dass es unmöglich ist, ihm ein genau umrissenes Feld zuzuweisen.
Was ich dennoch vermisst habe, war die liturgische Formel »Asche zu Asche, Staub zu Staub«.
Im ersten Entwurf war sie natürlich drin. Ich hatte in den USA eine Meldung gelesen, die dort große Wellen schlug, dass nämlich beim Verbrennen von Weihrauch in den Kirchen ein für die Priester und die Gläubigen sehr gefährlicher Staub entsteht. In diesem Zusammenhang wollte ich diese Formel eigentlich verwenden, mit einer kleinen ironischen Pointe. Ich habe den Film aber in Deutschland gedreht, und hier war das kein Thema.
»Staub« kommt zu einem Zeitpunkt in die Kinos, zu dem die Gesellschaft sich anschickt, sich des Staubs radikal zu entledigen: durch Feinstaubverordnungen, Umweltzonen, Rauchverbote.
In den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist Staub aus diesen Gründen in der Tat ein großes Thema der Wissenschaft geworden. Davor war Staub ein Phänomen, das man nicht messen konnte oder das nicht ins Gewicht gefallen ist, weil er so unscheinbar ist, weil Staub sich der Bearbeitung entzieht. Man denkt, man kann nichts damit anfangen. Das ist aber nicht so. Die Einstellung Staub gegenüber ändert sich. Wissenschaftler überlegen, ob man aus Staub nicht irgend etwas gewinnen kann.
Man stellt sich Staub für gewöhnlich als Endpunkt der Materie vor: Alles läuft auf ihn zu, nichts kommt aus ihm zurück.
Das ist natürlich falsch. Ohne die Staubstürme, die in der Sahara entstehen und über den Atlantik geweht werden, ohne diesen Staub, der sehr fruchbar ist, würde die Karibik nicht so üppig gedeihen. Der Golfstrom würde anders funktionieren. Ohne Staub hätten wir keine Wolken und keinen Regen. Und schließlich ist das gesamte Universum, sind alle Planeten aus Staub und Gaswolken entstanden.
Im Film kommen viele Wissenschaftler zu Wort. Die Putzfrauen, die ja auch Expertinnen des Staubs sind, leider nicht.
Das ist richtig. Das wurde über deren Köpfe hinweg bestimmt. Die wurden von den Reinigungsfirmen dazu verdammt, den Mund zu halten, ihre Arbeit und sonst nichts zu machen. Die Frauen, die da in großen Kolonnen putzen, kriegen genau vorgeschrieben, wieviel Kubikmeter Raum sie in welcher Zeit zu reinigen haben. Die hätten gar nicht die Zeit gehabt, mit uns zu reden. Eine Herrentoilette, zwei Sitze und zwei Pissoirs, müssen in zwei Minuten erledigt sein.
Die Schlusseinstellung zeigt einen staubfreien Reinraum. Wie dreht man unter Reinraumbedingungen?
Bevor wir da drehen konnten, mussten die beiden Fachkräfte, die den Raum sauber machten, erstmal unser Filmgerät gründlich entstauben. Die haben mehrs als drei Stunden damit verbracht! Und waren richtig wütend auf uns. Niemand hatte das zuvor bedacht. Danach hatten wir allerdings ein wunderbar sauberes Gerät.
Info
Staub. D/CH 07, R: Hartmut Bitomsky, 92 Min. Filmpalette, ab 21.2. Kölnpemiere: 21.2., Filmforum NRW, 20 Uhr
Zur Person
Hartmut Bitomsky (*1942) studierte an der Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), von der er 1968 wegen politischer Aktivitäten relegiert wurde.
Von 1974-85 war er Mitherausgeber der Zeitschrift Filmkritik. Er drehte u.a. folgende Dokumentarfilme: »Deutschlandbilder« (1983), »Reichsautobahn« (1986), »Der VW Komplex« (1989; für beide Grimme-Preis) und »B-52« (2000). 1993 geht er nach Los Angeles als
Dekan der Filmabteilung der Kunstakademie »CalArts«. Seit 2006 ist er Direktor der dffb.