Matti Braun: »Özurfa«

»Solange es keinen Punkt im Universum gibt, von dem aus es aus den Angeln gehoben werden kann, wird es wohl die Taktik des Jägers, Sammlers und Künstlers Matti Braun sein, den Spuren der Phänomene, die ihn interessieren, über die Welt zu folgen, ohne sich selbst zu ihrem Ausgangspunkt zu machen.« Was Frank Frangenberg 2004 in einem Porträt in dieser Zeitung über den in Köln lebenden Matti Braun schrieb, gilt ungebrochen. Keine Sesshaftwerdung in Sicht – stattdessen ist der 40-jährige Künstler für seine aktuelle Ausstellung im Museum Ludwig den Spuren ins ostanatolische Urfa gefolgt.

Es begann wie meistens: Matti Braun sammelt Geschichten, die er irgendwo aufgreift, oder vielmehr sie ihn, und in deren Geflecht er seltsame Verbindungen entdeckt. In Ehrenfeld ist er dem Wort bzw. der Silbe »urfa« begegnet, in türkischen Restaurants, die damit für ihre gute Küche werben, denn die mythische Region Urfa sei die Region des guten Essens, und ihre Gerichte seien besonders »authentisch«. Dass Behauptungen dieser Art selten stimmen interessierte Matti Braun weniger als die grundsätzliche Frage nach der kulturellen Identität, die hier versprochen wird. Nicht um zu verifizieren, sondern um weiteren Zusammenhängen nachzugehen folgten Recherchen vor Ort.

Die Stadt Urfa oder Sanliurfa, nahe der türkisch-syrischen Grenze gelegen mit vorwiegend kurdischer Bevölkerung, für Istanbuler fern und schon fast arabisch, entpuppte sich als Kreuzungspunkt für Handel, Kulturen, Religionen. Archäologen vermuten dort die Wiege der Zivilisation; für Christen ist es die erste offiziell christliche, für Muslime und Juden als Geburtsort Abrahams eine heilige Stadt. Weitere Fäden führten von Urfa über das Kino in die Jetztzeit, oder umgekehrt: Yilmaz Güney, Legende des türkischen Films (»Yol«) und Vorbild Fatih Akins, stammt aus Urfa.

Matti Braun wird den Ausstellungsbesucher in dieses Geschichtennetz verspinnen. In fünf Kupfervitrinen präsentiert er mit Urfa verbundene Artefakte unter dem einer Kölner Gaststätte entliehenen Ausstellungstitel »Özur­fa« – was soviel bedeutet soviel wie »echt, authentisch Urfa«. Eine schöne Erzählung.

Ausstellung
Museum Ludwig, DC-Saal, 18.4.-31.8., Eröffnung 17.4., 19 Uhr.