»Fixer sein ist wie ein Beruf«

Ein Gespräch mit Dr. Ursula Christiansen, Dezernentin für Gesundheit und Umwelt, und Dr. Herbert Berger, Drogenreferent der Stadt Köln, über das »Modellprojekt heroingestützte Behandlung Opiatabhängiger«

StadtRevue: Sind Sie zufrieden mit dem Ratsbeschluss vom 3. Juli ?

Dr. Ursula Christiansen: Ich bin sehr zufrieden, weil alle Fraktionen, bis auf den einen Republikaner, zugestimmt haben. Das Modellprojekt wird also voraussichtlich beim Gesundheitsamt stattfinden. Es können dort Stellen eingerichtet werden, wenn sich nicht eine Klinik bereitfindet.

StadtRevue: Wann beginnt das Projekt ? Wieviele Menschen können daran teilnehmen?

Dr. Herbert Berger: In Köln werden 100 Patienten teilnehmen. Wir werden in einer Vorbereitungsphase nach Patienten suchen, die die Zulassungskriterien erfüllen. Sie werden nach Hamburg an das leitende wissenschaftliche Institut gemeldet, dort wird die endgültige Auswahl getroffen. Dann könnte sich ab 1.1.2002 der erste Patient die erste Spritze setzen.

StadtRevue: Wen wollen Sie ansprechen?

Berger: Wir haben zwei Zielgruppen: Die einen sind die Nichterreichten, also die, die bisher nur kurz mit dem Drogenhilfesystem Kontakt hatten. Die anderen sind die sogenannten Nonresponder, denen eine Methadon-Behandlung nichts gebracht hat.

StadtRevue: Die Studie arbeitet mit einer Experimental- und einer Vergleichsgruppe. Von den 100 Probanden bekommt also nur die Hälfte Heroin. Was bekommt die andere Hälfte?

Christiansen: 50 bekommen Heroin, das ist die Experimentalgruppe. 50 bekommen Methadon, das ist die Vergleichsgruppe. Alle 100 Patienten haben aber die gleichen Merkmale, die gleiche Drogengeschichte. Das Institut in Hamburg entscheidet per Zufallsverfahren, wer Heroin bekommt und wer Methadon.

StadtRevue: Die Schweiz hatte eine Vorreiterrolle bei der heroingestützten Behandlung Schwerstabhängiger. Die Weltgesundheitsorganisation jedoch hat die Schweizer Studie stark kritisiert. Steht dem deutschen Modellprojekt auch Kritik von dieser Seite ins Haus?

Christiansen: Kritisiert wurde, dass in der Schweiz der Effekt der psychosozialen Betreuung nicht systematisch untersucht wurde. Deshalb ist das bei uns ein wichtiger Gesichtspunkt geworden. Aber in der Schweiz wurde trotzdem Pionierarbeit geleistet.

Berger: Wir haben zwei Faktoren: Arzneimittel und psycho-soziale Betreuung. Wir halten den zweiten konstant und variieren den ersten. Die wissenschaftliche Fragestelllung ist, ob Heroin als Arzneimittel funktioniert. Sollte die Zulassung erfolgen, wäre Heroin künftig ein Medikament, das ärztlicher Kunst entsprechend eingesetzt werden kann.

StadtRevue: Die Teilnahme an dem Modellprojekt kostet die Stadt Köln rund 1 Million Mark pro Jahr. Was steht auf der Habenseite?

Christiansen: Es ist eine Möglichkeit, die Schraube von Beschaffungskriminalität und Verelendung zu durchbrechen. Genau das fehlt in unserem Drogenhilfesystem noch. Es ist ja bekannt, dass Leute an und für sich mit Heroin überleben können, wenn der Stoff rein ist und richtig dosiert. Dann fallen viele der negativen Begleiterscheinungen einfach weg.

StadtRevue: Was versprechen Sie sich für die konkrete Drogensituation in der Stadt?

Christiansen: Zunächst einmal wird den Teilnehmern unmittelbar geholfen. Wir versprechen uns außerdem davon, dass die Kriminalitätsrate sinkt – natürlich noch nicht, wenn nur 50 von 8.000 bis 10.000 geschätzten Heroinabhängigen in Köln nicht mehr kriminell sind. Aber es ist ein Ansatz zum Schutz der Bevölkerung. Deshalb lag auch dem Polizeipräsidenten so viel an der Teilnahme.

StadtRevue: Läutet das Modellprojekt eine Kehrtwende in der Drogenpolitik ein, hin zu dem, was man »Akzeptierende Drogenpolitik« nennt?

Berger: Der Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik vollzog sich nicht von heute auf morgen, sondern in den letzten zehn Jahren. Kernpunkt ist, dass man Abstinenz nicht mehr als Voraussetzung für eine erfolgreiche Reintegration sieht, sondern als Ergebnis.

Christiansen: Als Aids aufkam, wurde mehr und mehr ein akzeptierender Ansatz entwickelt, um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Man konnte nicht mehr guten Gewissens sagen: Wir stellen die und die Bedingungen, bevor wir uns überhaupt um HIV-Infizierte kümmern.
Der Bewusstseinsstand des Rates der Stadt Köln hinkt da aber hinterher. Der CDU/FDP-Antrag, der angenommen wurde, hat nicht den Duktus eines akzeptierenden Ansatzes. Da ist in erster Linie von Prävention die Rede, auch von Repression.

Christiansen: Es ist ein politischer Kompromiss, der es der Verwaltung ermöglicht, dieses Projekt durchzuführen. Pragmatisch ja. Aber ein Paradigmenwechsel ist das nicht.

Christiansen: Der Paradigmenwechsel bedeutet doch nicht, dass Prävention, Repression und Abstinenztherapie überflüssig werden. Es ist ein zusätzliches Element in einem breiten Spektrum.

Berger: Es ist mindestens ein mittlerer Erfolg in der Kölner Drogenpolitik: Wir haben hier innerhalb von relativ kurzer Zeit Drogenkonsumräume geschaffen, und wir nehmen an dem Modellprojekt teil. Das ist viel für eine eher bürgerliche, tendenziell konservative Gesellschaft...

StadtRevue: ... die auch in großen Teilen nicht einsieht, wieso man soviel Geld für Junkies ausgeben soll.

Berger: Stimmt. Da werden wir noch Überzeugungsarbeit leisten müssen, aber es sind schließlich Kranke.

StadtRevue: Die Patienten werden nach Abschluss der Studie immer noch heroinabhängig sein. Wie verhindert man, dass sie in die offene Szene zurückgehen?

Berger: Die Patienten werden weiter betreut, und zwar so, dass sich – im Idealfall – ihre Lage sukzessive verbessert: Wohnung, Arbeit, Familie gehören zur sozialen Stabilisierung. Die Patienten müssen einen gewissen Grad von Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von der Drogenszene erreichen, z.B. einen Praktikumsplatz haben. Das klappt erstaunlich häufig. Fixersein ist ja wie ein Beruf, sie müssen sich ziemlich anstrengen, um ihren täglichen Konsum zu organisieren. Die freiwerdende Energie muss vernünftig kanalisiert werden in eine Wiedereingliederung.

StadtRevue: Wo wird das Heroin, das im Modellprojekt verabreicht wird, hergestellt?

Christiansen: In der Schweiz, in einem Pharmakonzern. Es gibt für Herstellung und Transport natürlich sehr hohe Sicherheitsvorschriften.

StadtRevue: Über welche Tagesdosis reden wir pro Patient?

Berger: Bis zu einem Gramm. Das kostet in der Drogenszene zwischen 150 und 300 Mark.

Christiansen: Die entsprechende Menge reinen Heroins aus dem Pharmakonzern kostet mit gesichertem Transport 15 Mark.


Das Modellprojekt

Die aktuelle Drogenpolitik der BRD fußt auf drei Säulen: Prävention, Hilfe und Repression (insbesondere Ahndung des kriminellen Drogenhandels). Mit dem bundesweiten »Modellprojekt heroingestützte Behandlung Opiatabhängiger« wird dem bestehenden System eine vierte Säule hinzugefügt: Überlebenshilfe und »harm-reduction« (Leidensverminderung). Das auf drei Jahre angelegte Projekt richtet sich an Schwerstabhängige, die bislang durch alle Behandlungsraster fallen. Die Zulassungskriterien: Sie sind mindestens seit fünf Jahren opiatabhängig, haben bereits andere Drogentherapien erfolglos abgebrochen und sind stark sozial und gesundheitlich verelendet.

Das Modellprojekt ist gleichzeitig eine Studie, die nach dem Verfahren einer klinischen Arzneimittelprüfung verläuft. Zentrales Forschungsziel ist, zu untersuchen, ob und wie es gelingt, Opiatabhängige durch eine Behandlung mit Heroin verbindlich ins Hilfesystem zu integrieren. Ein Ergebnis der Studie könnte die arzneimittelrechtliche Zulassung von Heroin sein. Darüberhinaus werden sozialwissenschaftliche und kriminalpolitische
Fragestellungen untersucht.
Geleitet wird die Studie vom Hamburger Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung. Nach einigem
politischen Hin und Her werden folgende Städte teilnehmen: Bonn, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Frankfurt, München und Köln. Die Kölner Teilnahme wurde vom Rat am 3.7.2001 beschlossen.