KrimiNews von Ulrich Noller

Immer spannend, weil alles und nichts sagend zugleich: Koinzidenzen, also unvermutete Parallelen bei Themen und in Geschichten. Zum Beispiel tödliche Durchfallerkrankungen und die Stadt Wroclaw (zu Deutsch: Breslau) als Krimi-Koinzidenz des Frühjahrs 2008: »Festung Breslau« heißt erstens der neue Eberhard-Mock-Roman des polnischen Ex-Lateindozenten Marek Krajewski, der aufgrund des immensen Erfolges seiner Geschich­ten mittler­weile als freier Schriftsteller (über)leben kann. Im Irrsinn der von der Roten Armee belagerten, von den Nazis tyrannisierten, vom Typhus geplagten, vom Chaos besiedelten Stadt Breslau ermittelt Chefzyniker und Dandy Mock im Dienste seines Bruders und im Dienste eines jungen Mädchens, das in eine SS-Uniform gezwängt und vergewaltigt wurde. Eine unfassbar brutale und schwarze Geschichte, vielleicht die Beste von Marek Krajewski, die zeigt: mit den Mitteln der Unterhaltungsliteratur kann man die Schrecken der Nazizeit adäquat beschreiben.

Wroclaw ist aber zweitens auch einer der Schauplätze einer ganz anderen Geschichte: In »100 Stunden«, dem Weltüberbevölkerungökothriller des französischen Diplomaten und Bestsellerautors Jean Christophe Rufin beginnt der Plot in einem Versuchslabor in Breslau, das eine junge Tierschützerin komplett zerstört, um davon abzulenken, dass es ihr bei dem Überfall eigentlich nicht um die Wesen und Apparaturen, sondern um ein kleines Fläschchen mit genmanipulierten Cholera-Erregern geht. Darauf aufbauend, entspinnt Rufin einen Thriller, der apokalyptische Philosophie (Peter Singer und Co.) in Handlung münzt – und der nebenbei darlegt, auf welch dünnem Eis der Ökothriller-Superkracher Frank Schätzing gedanklich wandelt. Zufall, dass all das in der Stadt beginnt, die wir bisher lediglich als Vertriebenenmetropole, nicht aber als eine der Welt­politik, der Weltliteratur kannten?