»Weißt du noch?«
Mit 1500 Exponaten von Udo Jürgens Flügel bis zu Florian Silbereisens Glücksunterhose protzt das Haus der Geschichte in der Ausstellung »Melodien für Millionen. Das Jahrhundert des Schlagers«. Purer Nostalgietrip oder didaktische Aufrüstung? In ihrem E-Mail-Austausch gehen Kunstexpertin Christine Badke und Musikspezi Linus Volkmann einem Phänomen auf den Grund. Ein Auszug.
Christine Badke: Ich war beeindruckt davon, dass es insgesamt so gut gelungen ist, das Thema zu visualisieren. Schlager evoziert ja sowieso eine eigene Ästhetik. Trotzdem ist es natürlich schwer, ein Musikphänomen in einer Ausstellung zu präsentieren. Die Plakate, Cover, Glitzerfummel, Fotos, die charmanten Kofferplattenspieler in Leukoplast-Optik oder das göttliche Piano von Udo Jürgens sind tolle Exponate und dienen nicht nur einer Illustration.
Linus Volkmann: Ich bin ja Fan von kleinteiliger Flohmarkt-Ästhetik, also mochte ich die Nerd-Dinge sehr: Singles von Beckenbauer, Max Schmeling oder die über Rummenigges Beine. Welche Songs hast du auf den Touch-Screen-Terminals für das Ranking gedrückt? Auf Eins war: »Ein Stern« von DJ Ötzi und diesem anderen hässlichen Loser. Eigentlich deprimierend.
CB: Überhaupt mag ich diese Mitmach-Ideen dort. Ziemlich viele haben ja auch vor den Bildschirmen gesessen und Karaoke gemacht. Sehr innig und ironiefrei. Eher nostalgisch, von überall hörte man »Weißt Du noch?«.
LV: Ein Unterpunkt lautete »Feminismus und politisches Engagement«. Das fand ich angenehm. Genau wie die Akribie, mit der man z.B. auch jüdische Komponisten, die im Dritten Reich umkamen oder vertrieben wurden, präsentiert. Das macht die Ausstellung nicht toprelevant, aber ich fühle mich immer aufgehoben, wenn solche Aspekte mitgedacht werden. Oder war dir der Hitler-Trakt zu didaktisch?
CB: Die Auseinandersetzung und die Themenbereiche sind sinnvoll gewählt und zeigen, wie durchdacht die Ausstellung ist. Das Nazi-Kapitel ist gelungen: die klar auf pädagogischen Effekt zielenden verdunkelten Bilder der verfolgten oder ermordeten Komponisten, die Verstrickungen der Gewinnler. Manchmal hätte ich mir allerdings noch eine stärkere Didaktik gewünscht: Wie definiert die Ausstellung Schlager eigentlich?
LV: Die fehlende Definition ist sicher ein Problem. Es gibt keine – außer dass deutsch gesungen wird. Da fehlt der Abgleich, warum es dieses Genre in anderen Ländern so gar nicht gibt.
CB: Klar ist Schlager ein hybrides Genre und dann noch von Beginn an plurimedial, ohne Film ist er ja beispielsweise gar nicht zu denken. Aber Definition wäre wichtig. Gerade beim Punkt Politik: Da wird Franz Josef Degenhardt unkommentiert als Beispiel angeführt – ziemlich gewagt. Anschaulich wurde es lediglich am Beispiel Heinos: Nach den Rechte-Gesinnung-Vorwürfen wurde in einer Studie herausgefunden, dass zwei Drittel seiner Fans aufrechte Sozialdemokraten sind. Dann legte Heino mit den drei Strophen des Deutschlandliedes nach. Interessant, aber die Ausstellung lässt die Chance verstreichen, grundsätzlich das Verhältnis Schlager-Gesellschaft, Trivialitätsvorwürfe der Intellektuellen etc. aufzugreifen. Auch die Ironisierungen und Vertrashung durch Protagonisten wie Guildo Horn hätte man mehr reflektieren können.
LV: Was, wo bin ich? Ich schlage gerade noch deine Begriffe »plurimedial« und »hybrid« nach. Das Definitions-Dilemma sehe ich jedenfalls ähnlich wie du. Weil die musikalischen Grenzen fließend sind, hat man hier einfach mal überhaupt keine gezogen. Aber jetzt zum Ende hin: Empfiehlst du den Weg nach Bonn? Ich schon. Immerhin habe ich endlich mal einen »Bravo-Otto« aus der Nähe gesehen und feststellen müssen, dass Schnappi 2005 mehr verkauft hat als Tokio Hotels »Durch den Monsun«.
CB: Ja, hingehen, staunen, singen! Allein diese Platten der schamlosen singenden Wirtin Gisela, die mit Vorhängeschloss verkauft wurden, hinreißend. Linus, ich lade Dich hiermit ins Heino-Rathauscafé nach Bad Münstereifel ein. Keine fünfzig Kilometer von Köln entfernt, gibt es tolle Cover, Goldene Schallplatten und Heinos Anzüge zu bewundern.
LV: Auf Drogen hören meine Clique und ich immer gern Heinos »Konvoi nach Bad Münstereifel, Konvoi zum Rathauscafé«. Nüchtern und in letzter Konsequenz ist mir der rechte Schatten auf dem Werk aber zu unappetitlich. Zum Schluss nur noch die Anekdote: Beim Reingehen kommt ja gleich der historische Teil – mit unter anderem Originaltexte von beliebten Schlagern wie »Bomben auf Engeland!« oder »Panzer rollen nach Afrika«. Als ich die beglotzte, kam eine Gruppe grobporiger Bundeswehrtypen rein in Schmuckuniformen. An deren Revers stand »Panzerlehrbrigade 9«. Die Obszönität bzw. die Ironie entging ihnen allerdings. Fand ich schade.
Haus der Geschichte.
Willy-Brandt-Allee 14, Bonn, bis 5.10., Di-So 9-19 Uhr.