»Das  war  erst  der  Urknall«
StadtRevue: Sie haben im vergangenen Jahr die Hauptrolle in Fatih Akins preisgekröntem Film »Auf der anderen Seite« gespielt. Zuvor ist es lange Zeit still um Sie gewesen, Sie haben drei Jahre als Nachtwächter in einem Parkhaus gearbeitet. Seit Anfang des Jahres sprechen Sie den Kommissar des WDR-Radio-Tatorts. Warum engagieren Sie sich jetzt im Genre Hörspiel?
Baki Davrak: Die Schauspielerei ist ein weites Feld, und Hörspiele zu sprechen zählt für mich auch dazu. Diese Kunstform ist Neuland für mich und damit spannend. Außerdem ist mir die Zeit im Parkhaus noch sehr präsent. Damals hatte ich nur das Studieren und Schreiben im Kopf und eine Dichtung, die ich verfasst habe. Ich war zu der Zeit ein wenig verkauzt und lehnte Angebote ab, und dann wurden die Anfragen irgendwann seltener. Jetzt habe ich die zurückgezogene Arbeit an meinem Projekt abgeschlossen und bin auch wieder offen für andere Sachen, zum Beispiel für Hörspiele.
Was ist für einen Schauspieler, der ja wesentlich auch mit Gestik und Mimik arbeitet, das Interessante an einer reinen Sprecherrolle?
Die Zuhörer gerade nur mit der Sprache zu fesseln, ist eine tolle Herausforderung. Was optisch nicht inszeniert werden kann, müssen wir mit Musik, Geräuschen und stimmlicher Präsenz vermitteln. Als ich im Studio den Kommissar eingesprochen habe, hat mein ganzer Körper daran gearbeitet, Sound zu machen.
Also man sitzt nicht steif am Tisch, das Mikro vor sich und spricht seine Texte ein…
Nein, da passiert richtig was! Man versetzt sich ja in die Lage handelnder Charaktere. Auch die Studiolandschaft ist komplex. Im Hörspielstudio des WDR gibt es zum Beispiel verschiedene Hallräume. Oder einen Raum, in dem man Außengeräusche produzieren kann. Dort ist der Boden mit Teppich ausgelegt oder aus Stein, es gibt einen Kiesweg. Wenn ich darüber laufe, knirscht es. In einer Tatort-Folge wird Kommissar Taraki in einer Szene entführt und kopfunter in Wasser getaucht. Das heißt dann praktisch, dass ich im Studio meinen Kopf in einen großen Wassereimer stecke. Oder ich trinke einen Kaffee und schlürfe, schlucke und schmatze dabei, damit der Hörer weiß: Ah, der Tatort-Kommissar sitzt wieder im Backgammon-Café.
Im Radio-Tatort spielen Sie Nadir Taraki, einen Beamten mit afghanischen Wurzeln. Damit etabliert der WDR bereits mit seinem Auftakt-Hörkrimi das, was der Fernseh-Tatort erst nach 38 Jahren geschafft hat: Seit diesem Jahr geht mit Mehmet Kurtulus¸ der erste TV-Kommissar mit Migrationshintergrund für den NDR auf Verbrecherjagd. Auch in »Auf der anderen Seite« und anderen Produktionen spielen Sie Figuren, bei denen der Migrationshintergrund eine große Rolle spielt. Nervt das?
Nein, es kommt auf eine gute Story an. Meine Eltern stammen aus der Türkei und ich finde es interessant, so eine Figur zu interpretieren. Oft gibt es Parallelen, mit denen ich mich identifizieren kann. Ich mochte die Figur des Nejat in »Auf der anderen Seite« sehr gerne und auch Nadir ist mir nahe. Dass er ab und zu mal impulsiv agiert oder sich über Vorschriften hinwegsetzt, finde ich in Ordnung. Er wirkt emotional, ist es aber immer für die Sache. Man muss Unterschiede aushalten können, wenn man miteinander umgehen will – und das kann Nadir.
Können Sie das auch, Unterschiede aushalten?
Ich bin in Laufenberg, einem 7000-Einwohner-Dorf im Südschwarzwald, aufgewachsen. Da gab es nicht viele Türken. Und obwohl ich wie alle anderen Alemannisch geschwätzt habe und meine Familie gut integriert war, fühlte ich mich anders. Ich habe Gedanken mit mir herumgetragen, die in der Schule nicht auf dem Lehrplan standen. Ich habe mich ständig gefragt, wer ist dieser Gott, zu dem alle beten, und warum tue ich es als Einziger nicht?
Haben Sie denn als Kind Hörspiele gehört?
»Hui Buh – Das Schlossgespenst«, die Reihe fand ich am tollsten. Später dann Edgar Wallace. Aber ich habe auch viel Radio gehört. Abends bin ich oft mit laufendem Radio eingeschlafen, nicht mit Hörspielstücken, sondern mit Wortbeiträgen und Musik.
Alle Radio-Tatorte dauern 55 Minuten. Gemäß der Tatort-Idee werden die Geschichten und Figuren durch die Einbeziehung von Lokalkolorit geerdet. Parallel dazu muss aber der Kriminalfall dramaturgisch entwickelt werden. Geht das Prinzip bei diesem engen zeitlichen Korsett nicht zwangsläufig auf Kosten der Raffinesse?
Die Länge ist schon ein Problem. Die 55 Minuten sind schnell um, gerade in den ersten Folgen, in der das Personal und das Setting geliefert werden muss. Der Ermittler lebt in einer Stadt, bewegt sich in einem bestimmten Milieu, seine Lebensgeschichte wird weiterentwickelt. Der ganze Tatort-Kosmos kann nur nach und nach entstehen, da bleibt die Kunst vielleicht anfangs auf der Strecke. Die beiden neuen Folgen finde ich schon sehr viel spannender: Der Kontext ist bekannt und die Geschichte kann auch mal experimentellere Wendungen nehmen. Was wir gemacht haben, war ja erst der Urknall.
Halten Sie es langfristig für zukunftsträchtig, das Prinzip Tatort ins Radio zu übertragen?
Aus redaktioneller Sicht erscheint mir die Strategie sinnvoll, von der Popularität des Fernseh-Tatorts profitieren zu wollen. Ob die Reihe einen ähnlichen Kult-Status bei Radiohörern bekommen kann, wird sich zeigen. Ich finde, wir sind auf einem guten Weg: Bei den ersten drei produzierten WDR-Folgen sehe ich eine kontinuierliche Entwicklung. Potenzial ist da, auf jeden Fall.
Sie sind auch als Autor tätig. Wenn Sie jetzt ein Hörspiel machen sollten, wie würde es sich anhören?
Es wäre sicherlich experimentell, vor allem in musikalischer Hinsicht. Ich mache selbst Musik, spiele Gitarre, singe und entwickle mit einem Musiker experimentelle Klanginstallationen. Sprache bringt ja von sich aus schon eine Musikalität mit. Meine Dichtung, die ich gerade verfasst habe, möchte ich für verschiedene Genres fruchtbar machen, unter anderem auch ein Hörstück für das Radio vertonen, ein Drehbuch entwickeln, ein Comic machen und so weiter. Das ist mein Stoff, mein Lebensprojekt.
Die komplette Titelgeschichte »Tatort Hörspiel« findet Ihr in der aktuellen Ausgabe der StadtRevue