Arzt ohne Grenzen

Der junge deutsche Film bewegt sich neuerdings erfreulich oft über nationale Grenzen hinweg. Zuletzt ließ Robert Thalheim in »Am Ende kommen Touristen« seinen jungen Zivi am Bahnhof von Auschwitz ankommen und in die gekränkte Seele des unbekannten Nachbarn Polen hineinhorchen. August Diehl kommt am Flughafen von Cali, Kolumbien, ähnlich ahnungslos an, nur dass seine Lehrzeit in Sachen fremde Kulturen in einem Höllentrip endet.

Schuld daran ist die zweifelhafte Besonderheit der Millionen­stadt. Auch wenn das Cali-Kartell inzwischen der Vergangenheit angehört, bestimmen rivalisierende Jugendbanden und Drogenkriminalität immer noch die Stadt. Kaum eine Stunde vergeht, ohne dass irgendwo Schusssalven den Ruf einer der gefährlichsten Orte der Welt bestätigen. Die zerschun­denen Körper landen auf dem OP-Tisch des deutschen Medizinstudenten Marc. Der hat sich den Gruselort für sein praktisches Jahr ausgesucht – eine Traumrolle für August Diehl, den die Tour de Force sichtlich mitgenommen hat.

Blass, mit tiefen Augenringen und nicht immer auf der Höhe seiner Kunst, flickt er die ihm sympathischen »Ghettokids« im Akkord zusammen, und es dauert nicht lange, bis er gegen den Rat seiner Kollegen auch privat ihre Nähe sucht. Mit seiner deutschen Kreditkarte wird er begehrter Kunde von dealenden Kindern, die ihn mit Kokain versorgen. Es mangelt auch nicht an Frauen, die schnellen Sex mit dem »süßen Dr. Alemán« wollen. Der vom Pfad der Tugend abgekommene Idealist wirft sich mit der Hemmungslosigkeit eines erfahrungsarmen Wohlstands-Jugendlichen in die Arme der ihn bewundernden Verdammten, ohne zu merken, dass er zum Spielball ihrer archaischen Machtkämpfe geworden ist.

KHM-Absolvent Tom Schreiber verzichtet nicht auf Humor, kommt aber auch nicht ohne Romantisierungen des Elends aus. Er erzählt seine Geschichte einer Entgleisung mit reichlich Detailsinn für die Kontraste zwischen der Ersten und der »Dritten Welt« und mit dem unbändigen Wunsch, dass die Bilder nicht lügen mögen. Das gelingt ihm und seinem Kameramann Olaf Hirschberg mit einer erstaunlich intensiven Lebensnähe, was nicht zuletzt – in Anlehnung an Vorbilder wie »City of God« – an den originalen Dreh­orten und den vielen Laiendarstellern liegt. Umso mehr schmerzt es, dass das Drama sich in der zweiten Hälfte zum Thriller mit billigem Showdown wandelt. Leichen pflastern dann den Weg des Dr. Alemán und man wünscht ihm eine baldige Heimfahrt.

Dr. Alemán. D 08, R. Tom Schreiber,
D: August Diehl, Marleyda Soto,
Hernán Méndez, 106 Min. Start: 14.8.