Irritierend altmeisterlich
Selten hat Henry Ford für sein autoritäres Belfern und das quälende Verröcheln seiner Sätze so viel Beifall erhalten wie vergangene Spielzeit in der Produktion »Fordlandia« des Kölner Schauspiels in der Halle Kalk. Zu verdanken war das der Puppenspielerin Suse Wächter, die den bei ihr kaum einen Meter großen Firmenpatriarchen so überzeugend zum Leben erweckte.
Suse Wächter ist eine der bekanntesten Puppenspielerinnen Deutschlands. Ihr Handwerk hat die 39-Jährige an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch gelernt. Dort traf sie Tom Kühnel und Robert Schuster, mit denen sie 1994/95 Aufsehen erregende Produktionen von Brechts »Maßnahme« und Vvedenskijs »Weihnachten bei Iwanows« herausbrachte. Für Wächter lag der Reiz vor allem darin, Puppen- und Schauspiel als gleichberechtigte Mittel des Theaters zu verbinden und ersteres aus seiner Marginalisierung als verniedlichte Kunstform zu befreien.
Danach ging das Trio für zwei Jahre ans Schauspiel in Frankfurt, 1999 übernahm es dort die Leitung des Theater am Turm (TAT). Besonders mag Suse Wächter aus dieser Zeit ihren »Ring des Nibelungen« nach Wagners Opus magnum. Denn trotz einer weitgehend künstlichen Ästhetik seien die überlebensgroßen Puppen der Riesen oder der kindergesichtigen Nibelungen letztlich »naturalistisch« gewesen.
Wächter baut ihre Puppen selbst und beschreibt sich als »altmeisterlich« im Sinne der Renaissance. »Ich versuche immer, Abbilder aus der Natur zu schaffen und sie dann zu beleben«. Dazu studiert sie Anatomie, Bewegung und Ausdruck der »Vorbilder« sehr genau und überträgt sie auf die Mechanik der Puppe.
Besonders eindringlich gelingt ihr diese Belebung in der Produktion »Helden des 20. Jahrhunderts«, die 2003 entstand und jetzt aktualisiert in Köln zu sehen ist. Der Abend (Regie: Tom Kühnel) ist ein ironischer Parforceritt durch die Zeitgeschichte anhand ihrer Ikonen. Ein Pop-Walhall von Königin Viktoria über Trotzki und Lenin, Freud, Mickey Mouse, Mussolini, Einstein, Hitler, Gagarin, Marilyn Monroe bis zu Kohl und Honecker. Mehr als sechzig Puppen kommen zum Einsatz. Erstmals arbeiteten Wächter und ihre Mitspielerinnen Rike Schubert und Steffi König mit Stabpuppen nach dem Vorbild des indonesischen Puppentheaters. Die aktualisierte und überarbeitete Fassung (u.a. mit der deutschen Wiedervereinigung als Opernmedley) kam 2007 an der Berliner Volksbühne heraus. Henry Ford ist auch dabei: Er ist in Wächters Panoptikum der »Helden des 20. Jahrhunderts« eingegangen.
»Helden des 20. Jahrhunderts«, Hysterienspiel mit Puppen von Suse Wächter,
R: Tom Kühnel, Halle Kalk, 25., 26.9., 19.30 Uhr.