Performance: Präzision und Exzess?

Die Performance ist, manch steiler These oder Ignoranz zum Trotz, immer noch da – produktiv streiten lässt sich eher über die Qualität dessen, was sich alles so nennt. Michael Staab führte ein Gespräch mit Enno Stahl, der zusammen mit Hans-Jörg Tauchert diesen Monat vier Performance-Abende in der Kölner Galerie Rachel Haferkamp kuratiert und seine eigene Theorie vertritt.

 

Nackte Cellistinnen, die aus Protest gegen ihre verpfuschte Kindheit in Blecheimer pinkeln, bunt bemalte Argonauten mit Mohrrüben im Hintern, die das als Institutionskritik verstanden wissen wollen, und immer spürbar die heimlichen Hauptansprüche: »Bin ich nicht toll?« und »Seid ihr nicht blöd?«. Hat man in den 90er Jahren im Zuge des Booms der Performance-Festivals einige dieser Veranstaltungen besucht, war die Enttäuschung über das allgemein schlechte künstlerische und intellektuelle Niveau groß. Man hat es dann irgendwann sein lassen.

Von allen Kunstformen, die sich nach Ansicht ihrer Macher in der Krise befinden, ist die Performance wohl das zerbeulteste Förmchen. Ihrer Blütezeit in den 60ern und 70ern folgte ein Winterschlaf in den 80ern und dann in den 90ern der Relaunch, aber auch der qualitative Absturz. Zerrieben zwischen Event-Kultur und Zeitgeist, geschlagen mit Marktuntauglichkeit und versunken in der politischen Bedeutungslosigkeit, erlebt sie nun angeblich einen wohlverdienten Ruhestand als Nischenkunst, als qualifikationsfreie Spielwiese für dillettierende Zwangsdarsteller und andere Resteverwerter der Kunstgeschichte. Aber wie so oft gilt hoffentlich auch hier: Totgesagte leben länger.

Michael Staab: Ich will den Artikel mit »Performance: Präzision und Exzess« betiteln. Kannst du damit leben?

Enno Stahl: Eher nicht. Wenn, dann mit einem »oder« statt dem »und«. Es gibt Leute, die so an die Grenzen gegangen sind, dass man sich nicht mehr vorstellen kann, dass es Sinn macht noch weiterzugehen. Ob das Rudolf Schwarzkogler ist, von dem man zumindest glaubte, dass er sich kastriert hat, oder ganz andere, deren Namen man nicht mal kennt, weil die inzwischen vielleicht wirklich als Performance aus dem Fenster gesprungen sind. Darüber geht es aber eben nicht hinaus, wenn man Exzess als Thema hat. Diese Endpunkte hat es in der Avantgardeform aller Kunstsparten gegeben. In den 90ern ist es dann zu einer Rekonstitution des Konventionellen gekommen, natürlich mit dem Wissen dieser Vergangenheit. Heute wird eher an der Präzision gearbeitet und am Aufzeigen von Möglichkeiten zum Exzess, als am Exzess selbst.

Wie definierst du Performance-Kunst?

Da gibt es diese Begriffsverwirrung: Jeder, der heute eine szenische Lesung macht, nennt das Literaturperformance. Im Fernsehen und der Eventkultur avanciert jeder Feuerspucker zum Performer. Es gibt aber eine eigene Kunstform Performance. Die definiere ich so: Performance ist, dass etwas passiert und dass nur das passiert. Es können dabei Elemente aus allen Medien einfließen – Tanz, Musik, Film – und diese Ingredienzien sammeln sich im Körper des Performers. Er ist der Fokus, der Fluchtpunkt aller Medialität innerhalb einer Performance. Das macht den Unterschied zu den anderen Kunstrichtungen aus. Der Performer ist nie Interpret. Er ist das, was er ist. Eine Persönlichkeit.

Nach welchen Kriterien habt ihr die Performer ausgesucht? Gibt es eine Dramaturgie, ein kuratorisches Konzept?

Es gibt das übergreifende Thema »Stillstand«, aber vorgegebene Themen finde ich nicht so wichtig, da jede intensive Performance auch für sich alleine stehen kann. Gerade bei guten Performern stellt man sich immer die Frage, was machen die jetzt, und ist dann überrascht. Ich kann deshalb auch nicht genau sagen, was es zu sehen geben wird. Es sind vier eigenständige Abende mit jeweils drei Leuten, die von der Intensität her gut zusammenpassen. Die Veranstaltung ist finanziell nicht so ausgestattet, dass wir ein Wunschkonzert zusammenstellen konnten; wir kennen aber die Arbeit der Leute und haben sie ausgewählt nach künstlerischer Qualität und danach, ob sie auch international aktiv sind. Es ist wichtig, dass man international gearbeitet hat, vor Menschen ganz anderer Kulturen. Es ist verblüffend, wie man das Niveau und das Performancehandwerk dadurch verbessert. Performance wird so zu einer Weltsprache.

Das ist das Ziel? Eine universelle Performance-Sprache zu finden, die kulturüberschreitend funktioniert?

Daran arbeiten alle, die ich gut finde. Es gibt etwas Elementares bei Performance. Je elementarer und reduzierter sie ist, desto besser wirkt sie und desto mehr ist sie international verständlich. Es ist verrückt, auf welche Ideen zum Beispiel manche asiatische Performer kommen – und obwohl sie z.T. ein ganz eigenes Zeichenrepertoire haben, versteht man, was sie sagen wollen.

Was unterscheidet denn die von Euch ausgewählten Künstler in der Arbeit von den Performance-Machern der 60er und 70er?

Man arbeitet heute inhaltlicher, die Sachen sind bunter geworden und vor allem weniger lang. Früher waren das ja oft Zwölf-Stunden-Exzesse und mehr. Letztendlich gilt wie für jede Kunstform, dass die historischen Bedingungen sich geändert haben und dass damit auch die künstlerische Form sich ändert. Es besteht heute eine Tendenz zu größerer zeitlicher Pointierung; es gibt klarere Segmentierungen und Handlungsmuster, da auch das Zeitgefühl des Publikums sich geändert hat.

Die Performance ist also auf der Höhe der Zeit und
etabliert sich auf hohem Niveau als eigene Kunstsparte. An anderer Stelle beklagst du aber, dass ihr Ruf so erbärmlich schlecht sei, zumindest in Deutschland.


Vielleicht wurden da auch in den 90er Jahren Fehler gemacht. Weil es zu vielen Leuten als zu leicht machbares Medium erschien. Das waren aber oft keine Performer, sondern irgendwelche Künstler, die das zur Selbsterfahrung gemacht haben. Man kann dem Publikum nichts vorsetzen, was zweieinhalb Stunden dauert und nur quält. Das will keiner haben. Und dann gab es diese negative Entwicklung, dass das Publikum nur noch Lachnummern sehen wollte. Performances müssen aber nicht immer lustig sein. Die Intensität ist bei lustigen Sachen nicht so gegeben. Das ist dann zwar kurzweilig, aber auch kurzwellig. Wenn ich aufgetreten bin und vorher war lachlachlach, war es immer gut, die Leute durch Intensität zum Verstummen zu bringen, sie zu bannen. Dass mal wirklich Ruhe ist. Aber irgendwie haben viele nur die negativen Eindrücke von Performance verinnerlicht. Daran sind auch die Medien schuld: Viele berichten aus Vorurteilsgründen gar nicht, oder wenn, dann haben sie wenig Ahnung. Sie haben Performance abgehakt und denken wohl, da passiert nichts mehr. In den 60ern und 70ern war das anders, da wurde viel darüber geschrieben. Selbst im Kölner Stadt-Anzeiger.

Die Verantwortung für die Qualität, den Nachrichtenwert und auch das Publikumsinteresse liegt aber doch sehr bei den Künstlern. Früher waren es Ziele der Performer, Grenzen aufzubrechen, spartenübergreifend zu arbeiten, multiple Autorenschaften zu bilden. Heute verzichten viele darauf und ziehen sich in den Schutzraum einer eigenen Kunstsparte zurück.

Spartenübergreifend, multimedial, multiple Autorenschaft: Diese Grenzen sind bereits gefallen. Daran muss die Performance nicht arbeiten. Es hat keine sprengende Wirkung mehr es zu tun, warum soll man es also machen. Das reine Tun bringt noch keinen Inhalt. Wenn sich ein Inhalt anbietet und dabei Qualität erzeugt wird, kann man gerne auch mal zusammenarbeiten.

Ist Performance auch ein Gradmesser für die Lebendigkeit der Kunstszene einer Stadt?

Schon möglich. Es ist eine Disziplin, die sehr schnell reagieren kann. Wenn diese Möglichkeiten nicht mehr genutzt werden, ist das schlecht. In Köln ist alles sehr verwaschen und übersättigt. Die Performance-Szene verhält sich wie ein Kaffeekränzchen. Es ist auch fantastisch zu beobachten, wie wenig sich die Institutionen Gedanken machen: Die Kunstszene zerfällt, die jungen Leute ziehen weg nach Berlin. Es gibt keine Werkschule mehr, keine Akademie und die KHM, die viel leisten könnte, befindet sich in elitaristischer Isolation. Dort finde ich fast nur Leute, die zwar alle technischen Geräte haben, aber keine kreativen Ideen. Und keiner sagt es ihnen.

Schlimm! Und nun?

Ich will dazu beitragen, dass die Leute, die in Köln Performance machen, mehr Gedanken darauf richten, was sie tun. Sie müssen wieder konfrontiert werden mit anderen Leuten, die absolute Qualität liefern.

Enno Stahl (*1962) ist Autor, Herausgeber, Kritiker und Performance-Künstler aus Köln.

Die vier Performance-Abende finden statt am 4./5. und 11./12. April in der Galerie Rachel Haferkamp, Eigelstein 112 im Rahmen der Ausstellung »Wildes Fleisch: Der Stillstand Nr. 10«, Beginn jeweils 19.30 Uhr. 4.4. Matthias Jackisch (Dresden), Enno Stahl (Köln), Anja Ibsch (Berlin); 5.4. Scoli Acosta (USA/Paris) feat. Andreas Hirsch (Köln), Joszef Biro (Ung.), Inge Broska (Otzenrath); 11.4. Jürgen Josef Redig (Bielefeld), Paul Grégoire (Kanada), Heinz Bleser (Köln); 12.4. HM2T SYSTEM (=Helge Meyer, Marco Teubner), Ralf Filges (Bielefeld), Holunda (Karlsruhe)