Zu erhaben für die Vergangenheit
Die afrikanische Musik gibt es ebenso wenig wie es die europäische gibt. Auch eine einheitliche afrikanische Popmusik gibt es nicht. Die Wege zwischen Mosambik und Senegal sind erheblich länger als die zwischen Tromsö und Almeria, und Faktoren wie Kultur, Technik und soziale Entwicklung haben das ihre zu den verschiedenen afrikanischen Popmusiken beigetragen. Was man allerdings leicht identifizieren kann, ist ein role model, das Combos und Musikern Afrikas den Weg zu internationalem Erfolg gezeigt hat.
Dieses role model ist »Soro«, ein Tonträger, der 1987 erschien und Salif Keita schnell üppigen Ruhm verschaffte in Europa und Nordamerika. Sowieso hatte dort kaum jemand Musik aus Afrika auf der Rechnung. Aber was die Leute im Norden am meisten erstaunte, war die Tatsache, dass »Soro« sich nicht anhörte, als sei es in der Wüste produziert worden, sondern in einem europäischen Studio. Was ja auch der Fall war. Fortan versuchten sich viele an einem Sound, der keyboardschwer aus den Boxen lallen sollte. Synthies gaben auch weniger begabten Kollegen den angestrebten ästhetischen Rahmen (eine prima Jobmaschine übrigens für Produzent Ibrahima Sylla und Keyboarder Jean-Phillipe Rykiel), und Salif Keita selbst brachte von Zeit zu Zeit CDs heraus, die den Erwartungen des Publikums entsprechen sollten, zuletzt 1999 »Papa«. So wurde er einer der berühmtesten Musiker des Kontinents.
Die musikalischen Wurzeln
2002 ist alles anders. Salif Keita erzählt im Interview, er verbringe wieder mehr Zeit in Mali, und ganz gleich, ob das lediglich die Legende zum neuen Album ist oder ob es der Wahrheit entspricht: »Moffou« ist ein akustisches Album, bei dem Stimme und Gitarre dominieren, mit sehr locker fließendem Rhythmus, butterweicher Percussion und im Rückraum entspannt erzählenden Sängerinnen, die so viele Produktionen aus Mali prägen. Seine Stimme wirkt wie immer eher wie die eines Muezzins als die eines Sängers. »Moffou« sind also wieder recht deutlich die musikalischen Wurzeln Keitas in Mali anzuhören. So drastisch haben nicht viele Musiker mit ihren überaus erfolgreichen Werken gebrochen.
Mit knapp 20 Jahren kam Keita Ende der 60er Jahre in die Hauptstadt Bamako, wo er schnell Anschluss fand und einer der Sänger in einer legendären Combo wurde, die als Rail Band, dann als Rail Band du Buffet Hotel de la Gare, und später als Super Rail Band Musikgeschichte schrieb. Hier traf er auf zwei Musiker, die später auch international berühmt werden sollten: den Sänger Mory Kante und den Gitarristen Kante Manfila, die beide aus dem benachbarten Guinea gekommen waren. Durch die Patronage des Bahnhofshotels hatten die Musiker ein geregeltes Einkommen, und bald war die Rail Band ohnehin die bekannteste in ganz Mali. Sie führten elektrische Gitarre und Schweineorgel ein und kreuzten sie in ihren Songs mit traditionellen Instrumenten. Wer die Ohren aufsperrte, konnte schon damals Einflüsse wie kongolesischen Rumba aber auch die Rockmusik des Nordens heraus hören.
Mali in aller Munde
Keita wurde also Popstar und setzte sich durch gegen eine starke Familie, die genau das hatte verhindern wollen. Es heißt, seine familiären Wurzeln reichten zurück bis auf Soundjata Keita, der im 13. Jahrhundert das gigantische malische Imperium gegründet hat. Diese Herkunft verbot es, in die Kaste der Sänger und Griots hinabzusteigen. Doch, als Albino mit dem Anderssein wie mit dem Ausgeschlossensein auf Du, nahm Salif Keita seinen Weg und betörte zunächst Bamako mit seiner Stimme. Nach einigen Jahren der Rivalität mit Mory Kante setzte sich Keita gemeinsam mit Kante Manfila ab, um Les Ambassadeurs (oder: Les Ambassadeurs du Motel, Les Ambassadeurs International) zu gründen. Mitte der 80er Jahre schließlich verschlug es ihn nach Paris. Pikanterweise war ihm Mory Kante dort auf der Spur und veröffentlichte kurze Zeit nach Keitas »Soro« sein Album »Akwaba Beach« mit einer eigenen Version technoider Aufrüstung und dem Track »Ye Ke Ye Ke«, der sich in Europa einige Millionen mal verkaufte.
»Ich habe mit den unterschiedlichsten Pop- und Jazzmusikern zusammengearbeitet, mit Joe Zawinul, Carlos Santana, Wayne Shorter, Jean-Philippe Rykiel«, meint Keita auf die Frage, warum er so einen stilistischen Bruch gewollt habe, »Jetzt, in diesem Moment, gilt es für mich, zurückzuschauen, zum Ursprung zurückzukehren, mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf an die Sache heranzugehen.« Nun ist der Sänger ohnehin nicht dafür bekannt, in Interviews den Schwätzer zu machen. Aber diese dünne Auskunft kann man sicherlich auch so lesen: Freunde haben mir geraten, doch einfach wieder einmal eine gute Platte zu machen.
In jedem Fall kommt »Moffou« zu einer Zeit auf den Markt, in der Mali in fast aller Munde ist. Nachdem das große und arme Land am Rand der Sahara zum Erstaunen anderer afrikanischer Länder die kontinentale Fußballmeisterschaft reibungslos über die Bühne gebracht hat, erscheinen in den kommenden Monaten einige interessante CDs aus Mali. Dass sich Tradition und Moderne in Bamako vereinen, zeigt Issa Bagayogo, den man dort etwas forsch Techno-Issa nennt. Und Damon Albarn hat zusammen mit dem Gitarristen Afel Boucoum ebenfalls einen Tonträger am Start, der in Mali aufgenommen wurde. Aber sie alle haben ein Problem: Salif Keita, der just das vielleicht beste Album veröffentlicht, das ein afrikanischer Musiker bislang (auch) für den europäischen Markt produziert hat. Gegen den müssen sie erst einmal ihr Angebot durchsetzen.
Etwas Einfaches, Unverfälschtes
Wie man hört, hatte Salif Keita einige Probleme, seiner neuen Plattenfirma Universal gegenüber mit seinem Konzept zu bestehen. Vor allem soll es Einwände gegen den Produzenten gegeben haben: Kante Manfila. Keitas alter Kollege aus den Zeiten der Rail Band zeichnete für die Radikaldiät und den luftigen Sound des Albums verantwortlich. »Back to the roots« nennt Keita selbst die Hinwendung zu klassischer malischer Popmusik. Heraus kommt dabei kein Aufguss der Rail Band, sondern ein erfahrenes Spiel der Adaption und Transformation. Wer das Alte im Neuen hören will, bitteschön. Aber jeder einzelne Track ist zu erhaben, um sich nur auf die Vergangenheit zu berufen.
Vielleicht ist es nötig, ein paar Jahre zurück zu gehen, um zu verstehen, was heute passiert. Das traditionalistische Projekt Buena Vista Social Club hat weltweit einige dramatische Dinge ausgelöst. In Brasilien bitten junge Musiker alte Sambistas ins Studio, die zwar ein Leben lang Musik gemacht, aber kaum je einen Tonträger veröffentlicht haben. Das Buena-Vista-Label World Circuit in London renoviert seinen Backkatalog und bringt sein bestes Album, »Pirates Chioce« vom senegalesischen Orchestra Baobab, wieder heraus, macht gar ein neues mit den alten Herren und schickt sie im Sommer auf Tour. Ein europäisches Publikum entdeckt so die klassische afrikanische und afrokubanische Popmusik, und Salif Keita scheint direkt auf dieses Publikum zuzusteuern. »Es geht im Moment darum, der Wirklichkeit näher zu kommen. Nach den Unmengen künstlicher Sounds wollen die Leute jetzt etwas Einfaches, etwas Unverfälschtes hören. Ich auch!«
Möglicherweise ist es so einfach.
Salif Keita, »Moffou« (Universal) erscheint am 2.4.