Allah als Standortfaktor
Schmucklos reihen sie sich aneinander, die Backsteinhäuser, die am Anfang der Warbruckstraße in Duisburg-Marxloh stehen. Rot sind die Steine schon lange nicht mehr, eher schwarz, hinter den Fensterscheiben vergilbte Gardinen, die aussehen, als würden sie seit den 50er Jahren dort hängen. »Das Revier stirbt«, steht irgendwo geschrieben, undeutlich, die Farbe ist abgeblättert. Ein paar Meter weiter, wo früher die Zechenkantine stand, erhebt sich ein prachtvoller Bau: die Merkez-Moschee, das größte islamische Gotteshaus Deutschlands. Silbern glänzen die 14 Kuppeln in der Sonne, 34 Meter misst das Minarett. Dahinter ragen Hochöfen und dutzende Schlote in den Himmel.
Die Moschee ist die neue Attraktion im ehemaligen Arbeiterviertel Marxloh, das viele längst abgeschrieben hatten. In der Öffentlichkeit wird das Ende Oktober eröffnete Haus mit integrierter Begegnungsstätte gar als »Wunder von Marxloh« gepriesen, rund 300 Besucher strömen täglich hinein. Im Gebetsraum sinken die Füße tief in einen plüschigen Teppich, die Wände sind mit blau-rot-goldenen Blumenornamenten verziert. Ein opulenter Kronleuchter, auf dem die 99 Namen Allahs eingraviert sind, hängt herab. »Das ist typisch osmanischer Stil«, sagt Hülya Ceylan, die gerade katholische Religionsstudenten durch die Moschee führt. Die 30-Jährige macht ein Praktikum in der Begegnungsstätte. Draußen warten schon die nächsten Touristen, eine Gruppe muslimischer Frauen aus Herne. Es ist Montag, der Parkplatz ist voll mit Reisebussen, Autos, Mopeds.
Unwürdiger Ort zum Beten
Feierabendverkehr. An der Inneren Kanalstraße in Köln kommen die Autos nur langsam voran. Vorbei am Fernsehturm, 260 Meter hoch, und dem Telekomgebäude, 75 Meter hoch. Dort, wo die Innere Kanalstraße die Venloer Straße kreuzt, steht ein schäbiges Fabrikgebäude. Es ist die Deutschlandzentrale der Ditib, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion. Seit mehr als zwanzig Jahren dient der Flachbau als Gebetsraum. Wer den Schriftzug an der Eingangstür übersieht, würde hier nie eine Moschee vermuten: außen unscheinbar, innen verbaut. Gedrängt knien die Gläubigen beim Freitagsgebet in den niedrigen Räumen. »Das ist ein unwürdiger Ort zum Beten«, sagt Mehmet Günet, Baubeauftragter der Ditib.
Computeranimierte Entwürfe, ausgehängt in einem Schaukasten vor dem Gebäude, weisen in die Zukunft: Repräsentativ und modern soll das neue Gotteshaus aussehen. Eine schalenartige, zur Weltkugel stilisierte Kuppel, flankiert von zwei 55 Meter hohen Minaretten. Eine Jury entschied sich 2006 für den Entwurf des Kölner Kirchenbaumeisters Paul Böhm. Im August hat der Rat den Neubau nach langen Debatten verabschiedet. Es ist ein Bauprojekt, doch es wurde zum bundesweiten Politikum. Wie in Berlin, Frankfurt oder München gab es auch in Köln Diskussionen – geführt mit den immergleichen Argumenten: Parkplatzmangel, Minaretthöhe, Angst vor Überfremdung.
Stadtteilprojekt von unten
Alles vorgeschoben«, sagt Zülfiye Kaykin, Geschäftsführerin der Marxloher Begegnungsstätte. Die 39-Jährige trägt hohe Stiefel, Rock und Kurzhaarschnitt. Ihr Büro ist bislang noch in einem Container neben der Moschee untergebracht – ein Provisorium, aber die Stimmung in der Blech-Baracke ist gut. Hier arbeiten drei Frauen und ein Mann, es gibt Tee und Waffeln, und es ist ständig was los: Alle Telefone klingeln gleichzeitig, Anwohner schauen kurz vorbei, eine Gruppe möchte sich noch schnell zur Führung anmelden. Mittendrin sitzt Zülfiye Kaykin und lacht. »Wir haben es geschafft! Immer mehr Leute wollen unsere Moschee besuchen. Und unsere Kultur kennen lernen«, sagt die Duisburgerin, die 2007 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Vor allem Frauen zwischen 30 und 40 haben das Projekt vorangetrieben – und sitzen auch jetzt in der Chefetage. Im Stadtteil sind sie schon lange bekannt: Zülfiye Kaykin war Filialleiterin in einem Schuhgeschäft. Elif Saat, die in einer führenden Position bei einer Bank arbeitet, ist Vorsitzende der Begegnungsstätte. Zehra Yilmaz, eine Muslima, die evangelische Theologie studiert hat, leitet den Bildungsbereich. An der Weseler Straße, der Haupteinkaufsmeile mit ihren verblassten Gründerzeitfassaden, dort, wo sich Kebap-Buden, türkische Brautmoden-Ausstatter und Import-Export-Läden aneinanderreihen, hört man immer wieder das Gleiche: »Ach, das ist doch die Frau aus dem Schuhgeschäft! Die kennen wir«, ruft ein älterer Mann.
»Es war von Anfang an ein Stadtteilprojekt von unten«, sagt Zülfiye Kaykin. Noch in der Planungsphase suchte die Moscheegemeinde den Kontakt zur Bevölkerung und gründete einen Beirat, in dem Nichtmuslime die Mehrheit haben: Nachbarn, Politiker, Kirchenvertreter, Stadtteilinitiativen, Bildungsträger. »Es gab auch Kritik. Und wichtige Hinweise. Man hat ja nicht immer im Blick, was die andere Religionsgemeinschaft verletzen könnte«, sagt Zülfiye Kaykin und blickt hinüber zu den überdimensionierten Fenstern der Moschee, die ein Ergebnis des Beirats sind. Die Predigten können über eine Webcam im Internet verfolgt werden, auch darauf hat man sich im Beirat verständigt.
Die Stadt Duisburg und die Lokalpolitik agierten ebenfalls umsichtig. Die Entwicklungsgesellschaft Duisburg, ein Ableger der Stadtverwaltung, machte sich für das Konzept der Begegnungsstätte stark und organisierte dafür Fördermittel von Land und EU in Höhe von 3,2 Millionen Euro. »Der Staat hat hier einen guten Job gemacht. Durch die Zuschüsse war von Anfang an klar: Wer hier gegen Religionsfreiheit agiert, steht auf der falschen Seite«, erläutert Wolf-Dietrich Bukow, Professor für Kultur- und Erziehungssoziologie an der Universität Köln.
Zu wenig Kommunikation in Köln
Die Geschehnisse in Duisburg zeigen auch, was in Köln falsch lief. In Duisburg ist keine rechtsradikale Gruppierung im Schatten der Minarettdebatte groß geworden, und die CDU ist nicht umgekippt. Auch blieb Duisburg ein so prominenter Moschee-Gegner wie der in Köln lebende Publizist Ralph Giordano erspart. Erst als der Kulturkampf in Köln vor etwa zwei Jahren seinen Höhepunkt erreichte, rief die Ditib einen Beirat ein – ähnlich dem Duisburger Modell, nur eben zu einem deutlich späteren Zeitpunkt in der Debatte.
»In Köln wurde zu wenig kommuniziert. Von Seiten der Politik und der Ditib«, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender des Kölner Integrationsrates. Ein politisches Votum entbinde nicht vom Dialog, erst recht nicht, wenn im Stadtteil rassistische Hetzjagd betrieben werde. Auch Mehmet Günet von der Ditib gesteht Versäumnisse ein: »Anfangs haben wir nur auf Anfragen reagiert und sind nicht auf die Ehrenfelder Bevölkerung zugegangen. Das war aber keine Absicht und liegt auch in der Struktur des Dachverbandes begründet.« Den politischen Forderungen kam die Ditib nach – auch wenn CDU-Politiker immer wieder den Vorwurf anbrachten, es seien zu wenig »Zugeständnisse« gemacht worden. So reduzierte der Bauherr die geplanten Flächen des Gebetshauses und der Ladenlokale, und verzichtete auf einen Muezzinruf, der per Lautsprecher über die Dächer von Ehrenfeld scheppert.
Transparent solle die Moschee – dann die größte der Republik – werden, mit viel Glas, ein Haus für alle Kölner, sagt Mehmet Günet: »Mit offenen Türen, so wie wir es schon praktizieren. Nur: Wer besucht uns momentan in einem so schäbigen Bau?« Helene Späth wohnt wenige Meter von der Moschee entfernt. Bislang sei sie noch nicht dort gewesen, den Neubau, der 2010 fertig gestellt werden soll, will sie aber »unbedingt besichtigen«. Die 30-Jährige lebt gerne in dem Stadtteil mit den vielen Cafés und Bars in den Seitenstraßen. Im Haus Scholzen gibt’s Rheinischen Sauerbraten, gegenüber Döner und nebenan Bami Goreng. Es ist wohl das, was Politiker in Wahlkampfzeiten stolz ihr »Multi-Kulti-Viertel« nennen. Auch Wolf-Dietrich Bukow, der mehrere Jahre über Ehrenfeld geforscht hat, sagt: »Die Bevölkerung ist extrem gemischt und hält dennoch gut zusammen«. Angesichts der Dimensionen der rechten Kampagnen sei es sogar erstaunlich, wie ruhig das Quartier geblieben sei.
Ansteigende Grundstückspreise in Duisburg
Auch in Marxloh, wo ein Drittel der Einwohner keinen deutschen Pass hat, gab es Misstrauen in der Nachbarschaft. »Auch jetzt bekomme ich noch Beschwerdeanrufe«, sagt Stadtteilmanager Hartmut Eichholz. Kürzlich habe eine Frau angerufen und geklagt, es gebe in Marxloh keinen deutschen Metzger mehr. »Dann antworte ich: Erstens gibt es den, und zweitens kaufen sie ihr Fleisch doch sowieso im Supermarkt.« Die meisten seien mittlerweile aber stolz auf den Bau. Immerhin sind die Reihenhäuser gegenüber der Moschee mit dem ersten Spatenstich begehrt gewesen. Zuvor wollte keiner kaufen, jetzt wird das Neubaugebiet erweitert. Auch die Grundstückspreise hätten angezogen, so Eichholz: »Die Moschee ist ein Standortfaktor.«