<B>Ist Zukunft planbar?</B>
Zu schön um wahr zu sein
Ernst Hubeli forscht zu Zukunftsszenarien und entwickelt Großprojekte in ganz Europa. Beim neuen Kölner Masterplan vermisst er echte Inhalte: Stadtumbau für wen, für was, für welche Zukunft?
Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung: Wie jeder Masterplan präsentiert auch der Kölner Möglichkeiten und Ideen, wie städtische Räume, Arbeits- und Wohnorte, Verkehrswege, Parks und Grünflächen verbessert und verschönert werden können. Die Vorschläge werden mit Ämtern, Institutionen, Konzernen und auch mit einigen Bürgerinnen und Bürgern diskutiert und schließlich verfeinert. Ein plausibles Verfahren – nichts spricht dagegen. Die substanzielle Frage betrifft die Ideen und Möglichkeiten: Können sie tatsächlich den urbanen Alltag der Bewohner spürbar verbessern und verschönern?
In den Erläuterungen beschreibt das Büro Speer seine Ideen: »die Abschaffung von Angsträumen«, »mehr Grünräume«, »belebtere Orte«, »die Beruhigung des Stadtbildes«, »die Förderung vom Kleinhandel«, »sinnfällige Vernetzungen und bessere Orientierung« u.s.w. Auch solchen Ideen kann kaum jemand widersprechen. Keine Konflikte, Widersprüche und Reibungsflächen also? Das wäre zu schön um wahr zu sein.
Interessant ist vor allem das im Masterplan nicht gesagte. Wir wissen, dass in allen Städten täglich gekämpft wird um gegensätzliche Interessen, um Miet- und Bodenpreise, um mehr oder weniger Verkehr. Der Masterplan spricht nicht davon. Er beschränkt sich auf Allgemeinplätze, die in jedes lokale Grundsatzprogramm von Außen-Links- bis Außen-Rechtsparteien passen würden. Auch sonst schaut er aus der großen Distanz einer Vogelperspektive auf die reale Alltagswelt – so dass ihm entgeht, was die Spatzen von den Dächern pfeifen und was Schildkröten sehen können.
Das erste Problem: Der Zwang zum politischen Konsens erzwingt Inhaltsleere. Würde der Masterplan etwa die Meinung vertreten, dass es für die Stadtökonomie notwendig ist, Köln im Interesse der Stadtkunden aus dem Umland in eine »Konsum-Event-City« umzubauen, würde das bei den Stadtbürgern eine Protestwelle auslösen.
Oder umgekehrt: Würde der Plan ein urbanes Alltagsleben ohne Lärm, mit viel Grün und Kleinhandel festlegen, würden die potenten Steuerzahler mit Abwanderung drohen. Solche und ähnliche Konflikte gibt es heute in allen Städten. Vom Masterplan werden sie nicht bloß ignoriert, sondern ideologisch verschleiert, so als ob es so etwas wie den heiligen, sauberen Stadtraum für alle gäbe.
Ein Beispiel dafür ist der Umbau der Ringe zum neuen »Boulevard«, der »die Kölner« beglücken soll. Abgesehen davon, dass der Boulevard für den Kaiser erfunden wurde, auf den wir heute vergeblich warten, haben wir es mit einer grundsätzlich veränderten Situation zu tun: Die feudale wie die bürgerliche Öffentlichkeit hat sich längst in ein Universum von Teilöffentlichkeiten aufgelöst. Man muss sich also fragen, von welcher Öffentlichkeit und Urbanität hier die Rede ist – die Öffentlichkeit von vorgestern, gestern oder von heute?
Der Boulevard – ein »Klassiker«, wie es im Masterplan heißt – war auch mal ein Novum. Der heutige »Boulevard« wird jedenfalls ganz anders aussehen und genutzt werden, auch wenn – oder gerade weil – die Planer das Original im Auge haben. Welcher öffentliche Raum passt zur heutigen Öffentlichkeit? Solche substanziellen Fragen lässt der Masterplan unbeantwortet.
Das Papier nimmt jede Idee an – aber ist sie auch realistisch und gut? Am Ebertplatz zum Beispiel ist ein gigantischer Stadtumbau vorgesehen – mit neuen Dienstleistungsgebäuden, die als Vehikel dienen sollen, den öffentlichen Raum zu beleben. Sind solche Dienstleistungsgebäude dafür tatsächlich geeignet? Wahrscheinlicher ist, dass sie nach Büro- und Ladenschluss tot sind – also das Gegenteil bewirken. Und sind sie nicht Auslaufmodelle? Der Bedarf an Quadratmeter pro Arbeitsplatz hat sich in den letzten zehn Jahren halbiert, von 16 auf 8 Quadratmeter.
Zudem sind viele Arbeitsorte, da telekommunikativ vernetzt, nicht mehr auf zentrale Lagen angewiesen. Auch der Bedarf an Konsumflächen schrumpft und wird durch andere Einkaufsmöglichkeiten (Internet) wohl weiter schrumpfen. Es gibt also nicht zu wenig, sondern zu viele solcher Gebäude. Dürfen Masterpläne Kopfgeburten sein?
Wenn es so bleiben soll, wie es ist, sagt Lampedusa, muss sich alles verändern. Die Zukunft ist das Thema von einem Stadtentwicklungsplan – zwangsläufig. Man kann sie nie genau kennen, aber einschätzen. Das spricht zum einen dafür, in den Städten Orte und Spielräume für unbekannte Möglichkeiten vorzusehen, »weiße Flecken« im Stadtplan, die man im Kölner Masterplan vergeblich sucht.
Für Barcelona etwa sind seine Niemandsländer heute wertvoller als Eifeltürme, weil so unvorhersehbare Entwicklungen aufgefangen werden – in diesem Fall die Ansiedlung von kleineren Unternehmen und der Kreativindustrie aus der ganzen Welt. Zum anderen will jeder Plan natürlich Entwicklungen steuern und fragt – da er nicht bloß für den nächsten Montagmorgen gedacht ist – nach einer wünschenswerten und wirklichkeitsnahen Zukunft.
Hier besteht das zweite grundsätzliche Problem: Der Kölner Masterplan thematisiert und konkretisiert Zukunftsbilder, ohne sie zu reflektieren. Die vorgeschlagenen Ideen beanspruchen (entsprechend dem Neubauvolumen) Investitionen von rund zehn Milliarden Euro an Baukosten; Grünräume und Infrastrukturen vermutlich weitere drei bis fünf Milliarden.
Nun gibt es – vor und nach der Subprime-Krise – nur wenige Städte, wo Investoren Schlange stehen und die Stadtkasse urbane Lustquellen und zugleich Finanzquellen anzapfen kann. Gehört Köln dazu? Die Folge von ausgeblendeter Evidenz und Realität besteht übrigens darin, dass aus über 80 Prozent der Masterpläne in Europa Planungsleichen geworden sind.
Zu fragen wäre also: Was sind Realszenarien von Köln in den nächsten zehn, zwanzig Jahren? Das Denken in unterschiedlichen Szenarien ist für eine professionelle Stadtentwicklung heute unverzichtbar – inklusive dem Szenario: Was geschieht mit Köln, wenn nichts geschieht? Heute kann »Stadt« fast überall entstehen und auch wieder verschwinden: Viele Agglomerationen in der »Provinz« sind heute urbanisiert, gut vernetzt und konkurrieren erfolgreich mit den Kernstädten.
Entscheidend ist also: Was ist das Spezifische in Köln, was macht die Stadt attraktiv zum Wohnen, Arbeiten und Nichtstun? Der Masterplan hingegen geht von einer baulichen Wachstumsillusion aus, so als ob in Köln die Zeit zurückdreht wird auf den Fordismus der Nachkriegszeit. Realistischer wäre es von einem schwachen – oder gar Nullwachstum – auszugehen, was einem Stadtumbau und einer Stadtrückwanderung keineswegs widersprechen muss, aber eine Vision in Reichweite setzt.
In der Stadtforschung ist man sich einig, dass das Siedlungswachstum an seine eigenen Grenzen gestoßen ist – nicht nur an ökologische, sondern auch an ökonomische. Der bisherige Verschleiß an Energie, Infrastruktur, Unterhalt und Zeit ist schlicht unbezahlbar geworden. So gehört es zu einem wichtigen EU-Programm, die Städte »nach innen zu verdichten« und die Zersiedelung möglichst zurückzubauen.
Zukunftfähig wäre es, auch in Köln die Stadtrückwanderung zu fördern und dem gesellschaftlichen Wandel vorauszudenken: Beispiele wären die Vermischung vom Quartierleben mit Lern- und Bildungsmöglichkeiten oder an die neuen demografischen Bedingungen und technischen Möglichkeiten angepasste Arbeits- und Wohnformen. Solche städtebaulichen Anreicherungen benötigen aber weder einen großen Plan noch große Investoren, sondern konkrete Projekte, die vorhandene Potenziale ausschöpfen und auf Augenhöhe mit dem urbanen Alltag entwickelt werden.
Zur Person
Ernst Hubeli, 1947 geboren in Zürich, Studium der Architektur an der ETH Zürich sowie Studium in Städtebau und Publizistik an der TU und FU Berlin. Bis 2007 Leiter vom Institut für Städtebau an der TU Graz. Seit 2008 Leiter der Forschung »Urbane Zukunftsszenarien«. Chefredaktion von »Werk, Bauen+Wohnen« (1985-2000).