»Weniger Karneval, mehr Sozialpolitik«
StadtRevue: Herr Roters, warum sollten die Kölner Sie wählen?
Jürgen Roters: Durch meine Erfahrungen als Polizei- und Regierungspräsident bin ich sehr gut in der Lage, die Geschicke dieser Stadt zu lenken. Es gibt viele Dinge, die hier in den letzten Jahren nicht gut gelaufen sind. Ich mochte ja schon gar nicht mehr in die Feuilletons der überregionalen Presse hineinschauen!
StadtRevue: An was denken Sie da?
Jürgen Roters: Zum Beispiel an die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas. Die war sehr unprofessionell, gerade im Vergleich zu Städten wie Münster oder Essen, die ja kulturell zuvor nicht viel ausgestrahlt haben. Dass Köln so sang- und klanglos untergegangen ist, war mehr als peinlich. Aktuelles Beispiel ist die Archäologische Zone: Die Anträge sind nicht ordnungsgemäß, die Finanzierung noch nicht gesichert und die Verknüpfung mit dem Jüdischen Museum völlig offen. Das ist nur eine von vielen Baustellen.
StadtRevue: Was hätten Sie denn anders gemacht in den letzten neun Jahren?
Jürgen Roters: Ich hätte weniger Karneval gefeiert, mich dafür aber mehr um die sozialen Probleme gekümmert. Wir müssen die Qualitäten der solidarischen Stadtgesellschaft wieder mehr nutzen! In Köln gibt es viele tolle Initiativen, die aber auch nebeneinander her arbeiten und gebündelt werden müssten. Und wir müssen die kulturelle Ausstrahlung stärker fördern. Das, was die Stadt viele Jahre ausgezeichnet hat – Köln war ein Mekka der Kultur im Westen –, ist verloren gegangen. Kunst und Oper, da sind wir inzwischen in den Rankings nur Mittelmaß. Gravierend sind auch die bildungspolitischen Missstände. Viele Eltern klagen über Unterrichtsstunden, die ausfallen, und zu wenige und überforderte Lehrer. Wir produzieren täglich unzählige, unverschuldete Bildungsverlierer. Das können wir so nicht hinnehmen.
StadtRevue: Bildungspolitik ist ja Sache des Landes, da kann ein Oberbürgermeister die Geschicke nicht so maßgeblich lenken…
Jürgen Roters: Aber man darf doch nicht automatisch über Dinge schweigen, nur weil man sie nicht unmittelbar beeinflussen kann! Außerdem kann man oft was tun, in diesem Fall: Kleinere Klassen, mehr Nachmittagsunterricht, individuelle Förderung benachteiligter Kinder, mehr Mitarbeit der Familien. Es ist ein Skandal, dass wir immer noch dieses dreigliedrige Schulsystem haben, das Kinder einfach aussortiert. Wir brauchen ein System, das längeres gemeinsames Lernen ermöglicht.
StadtRevue: Dieser sozialpolitische Ansatz ist in Ihrem Programm bislang nicht so stark hervorgetreten.
Jürgen Roters: Meine Programmatik entwickelt sich. Es ging ja alles sehr schnell: Im August war die Perspektive da, dass ich aufgestellt werden würde, im November bin ich nominiert worden. Da kann man nicht sagen, jetzt zaubere ich ein Programm hin und verspreche alles auf einmal. Ich möchte gerne etwas nach außen tragen, was meine feste Überzeugung ist und nicht, was mir andere aufgeschrieben haben. Aber ich gebe mein Wort: Der OB Roters wird sozialpolitisch.
Wahlentscheidend wird aber auch sein, wem die Kölner in der Krise mehr Wirtschaftskompetenz zutrauen. Einer unserer Schwerpunkte ist die Stärkung des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Köln. Mein besonderes Augenmerk gilt zukunftsträchtigen Branchen, etwa regenerativen Energien. Da kann man Arbeitsplätze schaffen, und auch ökologisch ein gutes Gewissen haben. Mit einer kommunalen Beschäftigungsoffensive und einem sinnvoll eingesetzten Kurzarbeiterprogramm werden wir versuchen, den Abschwung aufzuhalten. Gerade jetzt, wo wir in die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit hineingeraten, dürfen wir aber nicht nur kurzfristig denken. Die Segmentierung von erstem und zweitem Arbeitsmarkt darf nicht noch weiter voranschreiten. Wir müssen denjenigen, die sich nicht wehren können, etwa Zeitarbeitern oder Langzeitarbeitslosen, ein bestimmtes Maß an Sicherheit geben.
StadtRevue: Köln ist in letzter Zeit im Städteranking abgefallen. Laut einer aktuellen Studie ist die sozialräumliche Trennung von Armen und Nicht-Armen hier am größten. Was ist falsch gelaufen?
Jürgen Roters: Wir haben uns in den letzten Jahren sehr stark auf die Ansiedlung von neuen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen konzentriert. In diesem Umstrukturierungsprozess haben wir vergessen, dass man die Leute nicht zurücklassen darf. In Mülheim, Kalk oder Porz ist es nicht gelungen, die weggebrochenen Arbeitsplätze zu ersetzen. Durch eine neue Art der Wohnbebauung und durch größere Öffnung der Ballungszentren müssen wir zu mehr Lebensqualität in diesen Stadtteilen kommen. Da sind wir uns mit den Grünen einig.
StadtRevue: In der Stadtentwicklungspolitik gibt es aber auch Differenzen zwischen der SPD und den Grünen, aktuelles Beispiel ist der Ausbau des Godorfer Hafens…
Jürgen Roters: Wir sind uns aber auch in vielem einig! Als die CDU die Mehrheit im Stadtrat besaß, hatten wir eine katastrophale Städtebaupolitik: hin zum Eigenheim, so dass wir nun ein erhebliches Defizit im bezahlbaren Mietwohnungsbau haben. Bei den öffentlichen Gebäuden sind wir bezogen auf alternative Energien sehr schlecht aufgestellt. Auch ein Gesamtkonzept müssen wir angehen: Wie gelingt es, etwa durch den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und des Radwegenetzes, dem Klimaschutz zu dienen? Natürlich gibt es in der Verkehrspolitik, etwa bei der City-Maut, mal Knirschpunkte. Ich habe dieses Thema auf einer ganzen Reihe von Grünen-Veranstaltungen allerdings konstruktiv debattiert. Übrigens gehe ich da gerne hin, weil das diskussionsfreudige Menschen sind, die auch zuhören.
StadtRevue: Ist das in Ihrer Partei anders?
Jürgen Roters: Ich bin mit Herz und Seele Sozialdemokrat. Aber in der Diskussionskultur gibt es doch mentale Unterschiede. Bei den Grünen ist es heftiger, und strittiger.
StadtRevue: Als Regierungs- und Polizeipräsident haben Sie wegweisende, auch strittige Entscheidungen getroffen. So haben Sie sich für die offizielle Anerkennung der Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer eingesetzt und – damals einmalig in Deutschland – die Rolle der Kölner Polizei während des NS-Regimes wissenschaftlich untersuchen lassen.
Jürgen Roters: Es darf nicht sein, dass in der Ahnengalerie der ehemaligen Polizeipräsidenten ein Anhänger der Nazis neben allen anderen hängt! Es war beschämend, wie wenig sich die Polizei bis dahin mit ihrer eigenen Verstrickung ins NS-Regime auseinander gesetzt hat, obwohl sich im Keller die Akten dazu stapelten. Das musste aufgearbeitet werden! Auch den Edelweißpiraten habe ich mich sehr verpflichtet gefühlt. Der proletarische Widerstand verdient genauso viel Respekt wie andere Widerstandskämpfer. Ich bin schon immer gegen den Konsens geschwommen und habe mir dabei manche Klatsche geholt. Etwa am CSD, als ich mich entschied vor dem Polizeipräsidium eine CSD-Fahne zu hissen.
StadtRevue: Wo würden Sie sich denn innerhalb der SPD einordnen?
Jürgen Roters: Unorthodox. Bei mir passt dieses Links-Rechts-Schema nicht. Es gibt Bereiche, in denen ich konservativer bin, etwa in der Wirtschaftspolitik. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Grundentscheidung zu den Arbeitsmarktreformen richtig war. Die Umsetzung war und ist leider noch mangelhaft, die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze unzumutbar. In anderen Bereichen, etwa in der Rechts- und Innenpolitik, gehöre ich zu den liberaleren Vertretern. Ich bin gegen Videoüberwachung und für eine moderne Drogenpolitik.
StadtRevue: Wieso haben Sie sich jetzt aufstellen lassen? Bei der OB-Wahl 2000 wurden Sie auch vorgeschlagen und hatten abgelehnt.
Jürgen Roters: Als Polizei- und Regierungspräsident ist man nicht so stark eingebunden in repräsentative Aufgaben wie ein Oberbürgermeister. Unsere Kinder waren damals noch relativ klein, deshalb haben meine Frau und ich entschieden, dass wir als Familie ausreichend Zeit für uns selbst brauchen. Man kann nur ein guter OB sein, wenn man ein gutes Gewissen hat, sonst sollte man gar nicht erst anfangen.