Journalismus wird käuflich
»Der Tag, an dem die Bulette explodierte«
»Es hat mit dem Verkauf einer Titelseite angefangen«, berichtet die Frau, die nur unscharf im Film zu sehen ist, »dann ist es immer mehr geworden.« Inzwischen laufe das Geschäft mit der Schleichwerbung »einige Jahre«. In meinem Fernsehbericht, den das NDR-Medienmagazin »Zapp« im Dezember 2008 ausstrahlte, geht es um das Stadtmagazin Kölner Illustrierte (KI). Die KI wird von einem Tochterunternehmen des Kölner Medienkonzerns M. DuMont Schauberg (u.a. Kölner Stadt-Anzeiger, Express, Frankfurter Rundschau, Kölner Wochenspiegel, Radio Köln) verlegt. Das Heft kostet einen Euro, ist also kein Gratisblatt, sondern eine Kaufzeitschrift. Der Zuschauer erfährt von einer redaktionsinternen »Preisliste über Sonderwerbeformen«. 4.250 Euro koste es, wenn ein Werbekunde die Titelseite plus Titelgeschichte der KI kaufen wolle, heißt es in dem Beitrag.
Im Dezember 2008 gehörte laut meinen Recherchen auch die LanxessArena zu den Kunden der KI. Als Beleg zeigen meine Informanten ein Dokument, angeblich die redaktionsinterne Übersicht für die Dezember-Ausgabe. Daraus geht hervor, dass die LanxessArena »Redaktion zum Titel« gekauft habe – einen redaktionellen Text zur Titelseite. Tatsächlich prangt auf dem Dezember-Cover die Vorschau auf das Weihnachtskonzert in der LanxessArena, ergänzt durch einen ganzseitigen Vorbericht. Kein Einzelfall, wie meine Recherchen ergaben. Eine redaktionsinterne Liste zum November-Heft nennt das Kölner Kaufhaus Rhein-Center Weiden als Kunden. Vereinbarte Leistung laut Liste: »Zwei Seiten Redaktion.« Und kein ein Hinweis auf Werbung oder gekaufte Berichte. Dafür kassierte die KI im März eine öffentliche Rüge des Deutschen Presserats.
Was ungeheuerlich klingt, ist längst an der Tagesordnung. Immer mehr Printmedien verstecken Werbung im redaktionellen Teil. Und betrügen somit ihre Leser, die sich auf neutrale Berichterstattung verlassen. 2008 kassierten Zeitungsverlage bundesweit neun »öffentliche Rügen« vom Deutschen Presserat in Bonn – weil sie Werbung und redaktionelle Berichterstattung nicht klar getrennt hatten. 2007 waren es sogar 21 öffentliche Rügen, die der von den Verlegerverbänden und den beiden Journalistengewerkschaften dju und DJV getragene Verein aussprach.
Mal stieß den Bonner Kontrolleuren Werbung für Biopizza sauer auf, mal ging es um die Reiseangebote eines Lebensmittel-Discounters. Ein Blatt legte seinen Lesern wärmstens ans Herz, die Dienste einer bestimmten Bausparkasse in Anspruch zu nehmen. Und ein anderes Mal erschien ein lobender Artikel über ein Melissengeist-Erzeugnis.
Unter den gerügten Verlagen befinden sich Erzeugnisse unterschiedlicher Auflagenstärke und Qualität. Die Neue Westfälische aus Bielefeld und die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg stehen ebenso auf der Liste wie Hamburger Morgenpost, Bild, Cosmopolitan, Gong und Bunte. Die wöchentliche TV-Beilage Prisma mit Sitz in Köln und einer Auflage von fast 4,5 Millionen traf es in den vergangenen beiden Jahren gleich zweimal. An Prisma ist auch DuMont beteiligt.
Die Qualität von Zeitungen und Zeitschriften bricht auch deshalb weg, weil Verleger ihre Redaktionen ausdünnen – oder gleich ganz schließen. »Schwere Zeiten«, »SOS für die Medien» oder »330 Stellen gestrichen«, so lauten die Negativ-Meldungen aus der Branche. Der Essener WAZ-Konzern macht gleich reihenweise Lokalredaktionen im Ruhrgebiet dicht. Gruner+Jahr baut rund 60 Arbeitsplätze bei seinen Wirtschaftsblättern ab, auch in Köln. Der Dortmunder Verleger Lambert Lensing-Wolff brachte es gar fertig, sämtliche 19 Lokalredakteure der Münsterschen Zeitung auf einen Schlag rauszuwerfen – und sie durch billige Mitarbeiter einer GmbH zu ersetzen. Und jenseits des großen Teichs gerät die New York Times in Schieflage. Das Traditionsblatt habe 1,1 Milliarden Dollar Schulden, berichtet der Spiegel. »Fast jede Woche stirbt in den USA eine Tageszeitung«, meldet tagesschau.de.
Die Finanzkrise und das Internet – das sind die Themen, mit denen sich die Pressekonzerne auseinandersetzen müssen. Die Finanzkrise sorgt dafür, dass die ohnehin sinkenden Werbe-Einnahmen vollends in den Keller rauschen. Und der Siegeszug des Internets hält viele, vor allem jüngere Leute davon ab, zur Zeitung zu greifen. Nun sitzt die nackte Angst den Medien-Managern im Nacken. Denn die Verlagseigner, die in der Vergangenheit kräftige Gewinne einfuhren, wollen Rendite.
Was also tun? Der Verkauf von Titelgeschichten ist nur eine Strategie von vielen. Anderswo lautet das Konzept: Die Großen fressen die Kleinen. Von 2006 bis 2008, berichtet der Dortmunder Medienforscher Horst Röper, sei die Konzentration im Zeitungsmarkt »so stark gestiegen wie seit vielen Jahren nicht mehr«. Ob WAZ-Konzern, Madsack-Gruppe in Hannover oder Südwestdeutsche Medien-Holding, die als Mehrheitseigner an der Süddeutschen Zeitung beteiligt ist – sie alle kaufen und gewinnen damit an publizistischer Macht. Auch der Verlag des Kölner Presse-Patriarchen Alfred Neven DuMont schlug gerade wieder zu. Anfang Januar gab das Verlags- und Medienhaus bekannt, dass man diverse deutsche Blätter von der britischen Mecom-Gruppe erworben habe: Berliner Zeitung, Hamburger Morgenpost, die Netzeitung und das Berliner Stadtmagazin Tip gehören nun zum DuMont-Konzern.
Vor allem in der Provinz, bei den Lokalzeitungen, haben Leserinnen und Leser daher immer weniger Auswahl, so Zeitungsforscher Röper. Die für die gesellschaftliche Diskussion unverzichtbare Vielfalt originärer journalistischer Leistungen sei »zunehmend gefährdet«. Die Leser müssen also auf journalistische Angebote verzichten und die Journalisten selbst sind von der Krise in ihrer Existenz bedroht. In den Redaktionen bangen Hunderte um ihre Jobs. Viele hat es bereits erwischt, die anderen erleben Arbeitsverdichtung wie noch nie. »Ich musste während meines Volontariats bei Presseterminen auch mit der Videokamera filmen«, erzählt eine junge Kollegin. »Das waren peinliche Auftritte.«
Gleichzeitig zahlen die Verleger immer weniger für journalistische Arbeit. So habe Gruner+Jahr angekündigt, dass in der neuen Zentralredaktion für die Wirtschaftstitel »außerhalb des Tarifrechts« bezahlt werde, schreibt das Fachblatt journalist. Besonders hart trifft es die Freien. Hilal Sezgin, freie Autorin in der Lüneburger Heide, berichtet: Eine Buchbesprechung, abgedruckt in einer Tageszeitung, bringt 90 Euro Honorar. Für einen Kurz-Essay, an dem man drei Tage gearbeitet hat, gibt es etwa 140 Euro. Macht rund 46 Euro am Tag – Umsatz, wohlgemerkt. Die Kosten für’s Büro, den PC, die Druckerpatronen, für Steuern und Sozialabgaben sind davon abzuziehen. »Arm, ärmer, Autor«, titelte denn auch die taz im Februar diesen Jahres.
»Doch braucht es überhaupt Journalisten?«, fragen sich die Chefs der Pressekonzerne. Und testen, wie sich auf professionelle Schreiber, Fotografen und Kameraleute verzichten lässt. Allen voran der Axel-Springer-Verlag. Schon seit Mitte 2006 machen so genannte Leser-Reporter der Bild-Zeitung die Republik unsicher. Laien, die mal eben mit der Handykamera draufhalten, wenn ein Rentner seinen Mercedes unfreiwillig im Ladenlokal geparkt hat. Voyeurismus statt Journalismus. Für jedes abgedruckte Foto zahlt Bild dem Vernehmen nach 100 bis 500 Euro. »Eine unglaubliche Erweiterung der Recherche- und Berichterstattungsmöglichkeiten«, jubelte Nicolaus Fest, Mitglied der Bild-Chefredaktion. Außerdem, so Fest, werde die Leser-Blatt-Bindung ungemein erhöht. Bei den Journalistengewerkschaften dju und DJV stößt dieses Vorgehen dagegen auf Ablehnung. Die Arbeit der Profis werde entwertet, lautet die Kritik. Und damit nicht genug: Seit dem Start der Bild-Leser-Reporter häufen sich zudem Angriffe auf Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre. Bürger-Reporter sammelten Informationen »ohne hinreichende Kenntnisse über Persönlichkeitsrechte, Datenschutz sowie ethische Standards zu haben«, urteilt die Bonner Initiative »Qualität im Journalismus«.
Auch Twitter, der kostenlose Internet-Dienst für Mini-Mitteilungen, bringt inzwischen den Qualitätsjournalismus ins Rutschen. Per Twitter – zu Deutsch: Gezwitscher – versuchen Online-Zeitungen vor allem junge User anzusprechen. Die nutzen das neue Medium, um Belangloses auszutauschen oder ihr privates Netzwerk zu pflegen. Doch Twitter funktioniere auch »als Live-Ticker zu aktuellen Entwicklungen«, behauptet der Kölner Stadt-Anzeiger. So geschehen beim Amoklauf in Winnenden oder nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Aber wer prüft, ob das Gezwitscher mit der Wirklichkeit übereinstimmt? Und was ist, wenn der Urheber des Tweets selbst zur Nachricht wird – weil er so schön nah dran ist am Geschehen? Dann siege Sensationslust über seriöse Berichterstattung, kritisieren Journalistenverbände.
Doch derlei Bedenken ficht viele Verlagsverantwortliche nicht an. Im Gegenteil – sie legen nach. Immer mehr Online-Medien schmücken sich, wie jüngst der Kölner Stadt-Anzeiger, mit eigener Twitter-Rubrik. Bild brachte im Dezember 2008 eine »Videokamera für Leser-Reporter« in den Verkauf, in Kooperation mit dem Discounter Lidl. Ladenpreis: Knapp 70 Euro. »Die Aufnahmen können per integrierter Software mit wenigen Mausklicks an Bild.de überspielt werden«, heißt es aus dem Hause Springer. Auch der Kölner Billig-Fernsehanbieter center.tv setzte bis Mai 2008 auf so genannte »Veedelsreporter« – Zuschauer, die mit der Kamera selbst Programm gestalten. Ohne Honorar. Auch bei center.tv sitzt DuMont mit im Boot. Schöne neue Medienwelt.
Einen Schritt weiter geht der Verlag der Rheinischen Post (RP) in Düsseldorf. 2005 startete die RP Opinio – ein Online-Magazin, »in dem ausschließlich Leser für Leser schreiben«, wie es auf der Homepage heißt. Auch hier bekommen die Autoren von Texten wie »Der Tag, an dem die Bulette explodierte« oder »Wir suchen den besten Imbiss« kein Geld. Das freut das Verlegerherz. Denn einmal pro Woche erscheint Opinio auch gedruckt – als Ein-Seiten-Beilage in der RP und in der Neuß-Grevenbroicher Zeitung. Das Ganze sei »eine gut laufende Community«, melden die Betreiber stolz. 4.028 Autoren hätten von 2005 bis jetzt Texte geliefert.
Längst gibt es andernorts ähnliche Angebote. Seit 2008 ist die Gießener Zeitung auf dem Markt. Dahinter verbirgt sich »Hessens erste Mitmach-Zeitung«, verkünden die Eigentümer, zwei Verlage in Marburg und Gelnhausen. Das Blatt zahlt keine Honorare für Fotos, Artikel oder Veranstaltungstipps. Immer mittwochs und samstags verteilen Zeitungsausträger den Gratistitel an rund 125.000 Haushalte. Zusätzlich lockt eine Online-Ausgabe. Die gedruckte Zeitung und die Online-Ausgabe entstehen auf einem speziellen Redaktionssystem, das vom Augsburger Unternehmen gogol medien entwickelt wurde. Redaktion und Autoren müssen Texte und Fotos nur noch in eine vorgefertigte Maske eingeben. Auch DuMont ist inzwischen auf diesem Feld aktiv. Mit stadtmenschen.de, einem Portal, das Kommentare zum Weltgeschehen ebenso bringt wie Berichte aus dem Vereinsleben und Restaurant-Tipps – verfasst von Lesern.
Zurück zur Kölner Illustrierten. Beim Management der LanxessArena fragte ich nach, ob Preisliste und redaktionsinterne Kunden-Übersicht echt seien. Eine Antwort blieb aus. Auch das Management vom Rhein-Center Weiden lehnte eine Stellungnahme ab. Und DuMont? »Der DuMont-Verlag bekommt ja die Zeitung und die Anzeigenumsätze zu sehen«, erklärt die anonyme Informantin im Film. Für ein Interview stehe man nicht zur Verfügung, ließ die DuMont-Vorstandsetage ausrichten. Ich solle mich an Herrn Göbel wenden, den Geschäftsführer des Verlags der Kölner Illustrierten.
Achim Göbel ist ein Hansdampf in vielen Funktionen, wie das Impressum verrät: Geschäftsführer, Anzeigenleiter und Mitglied der Redaktion, dort verantwortlich im Sinne des Presserechts. Und das seit vielen Jahren, wie der Blick in KI-Ausgaben von 1998 zeigt. Auch er wollte keine Stellungnahme abgeben. Er halte die Zapp-Recherchen für »unseriös«, schrieb er mir Ende November stattdessen.
Inzwischen hat sich der Deutsche Presserat mit dem DuMont-Stadtmagazin beschäftigt. Am 3. März verhängte er eine öffentliche Rüge gegen die KI. Dem Presserat, so die Begründung, »lagen Belege dafür vor, dass die Zeitschrift redaktionelle Beiträge und Anzeigen als Paket an Werbetreibende verkauft hat«. Die Kölner Illustrierte ist nun verpflichtet, die Rüge abzudrucken.
Doch womöglich verletzte die KI auch das NRW-Landespressegesetz. Dort steht in Paragraph 10: Wenn Geld für eine Veröffentlichung geflossen ist, muss dies dem Leser mitgeteilt werden. Andernfalls droht dem Verlagsverantwortlichen ein Bußgeld. Was übrigens auch für Gratiszeitungen gilt. Für die KI ist in Sachen Landespressegesetz das Ordnungsamt der Stadt Köln zuständig. Die Behörde prüft nun. Und das seit Dezember. Nähere Angaben »zu dem hier anhängigen Verfahren« dürfe man nicht machen, schreibt das Ordnungsamt. Wegen des Datenschutzes.
Besonders perfide an diesen unlauteren Machenschaften ist, dass sich die Spirale immer weiter dreht: Wenn ein Verlag Geld für journalistische Berichte kassiert, erzielt er einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Verlagen, die sich gezwungen sehen, nachzuziehen. Am Ende wird unabhängige Berichterstattung auf dem Altar der Kommerzialisierung geopfert. Schleichwerbung, Arbeitsplatzabbau, Entprofessionalisierung. Schöne Aussichten. Nicht nur in Köln.