Die Stille nach dem Boom
Die Krise, die auch im Kölner Kunstmarkt endgültig angekommen zu sein scheint, ist in erster Linie eine Sinn- und Vertrauenskrise. Während auf den globalen Märkten der Wertpapiere und Derivate die konkrete Zahlungsunfähigkeit hoch verschuldeter Häusle-Bauer die Finanzmärkte weltweit kollabieren lies, beherrscht den Kunstbetrieb eine Stimmung der Verunsicherung, die weniger von leeren Konten oder Verschuldung herrührt. Auf Nachfrage haben das alle aufgesuchten Galeristen bestätigt. So auch Daniel Buchholz, der mit Christopher Müller eine der renommiertesten Galerien der Stadt führt: »Unsere Sammler sind sehr zögerlich. Ich glaube nicht, dass sie Geld im hohen Maße verloren haben, aber mit dem was übrig ist, um Kunst zu kaufen, wird viel vorsichtiger umgegangen.«
Wie Daniel Buchholz überblickt auch Gisela Capitain das Marktgeschehen seit über zwanzig Jahren. Sie erlebte den Einbruch des Kunstmarktes zu Zeiten des ersten Irakkriegs, aber auch seine Erholung. »Ab etwa 1997 ging es wieder aufwärts«, erzählt sie, und der Markt hielt sich bis 2008, also fast zehn Jahre – und davon seien »die letzten paar Jahre exorbitant gut gelaufen«. Das galt auch für Kunst, die bislang vom Markt kaum beachtet wurde – wie es zum Beispiel der posthume, auch institutionelle Erfolg des lange Zeit sehr umstrittenen Martin Kippenberger belegt. Allerdings gehören die erfolgreichen Galerien von Buchholz und Capitain nicht zu denen, die in dieser Zeit enorme Rücklagen anhäufen konnten: Einerseits finanzieren beide Dependancen in Berlin, um nicht weiter den Anschluss zu ihren Künstlern und der Szene zu verlieren, andererseits floss ein Großteil der Einahmen zurück in die Kunst – sei es in die aufwändiger werdenden Produktionen der Künstler oder in die Unterstützung ihrer Auftritte in Institutionen und Publikationen.
Die Auswüchse des Kunstbooms erlebte Linn Lühn, die heute ihre eigene Galerie an der Lindenstraße führt, als sie noch Partnerin von Rafael Jablonka war und die Londoner Frieze besuchte, auf der vor allem junge Kunst gefragt war: »Das hatte teilweise absurde Züge: Wir hatten 2003 dort einen winzigen Stand, der sehr teuer war, doch das Interesse war enorm, und wenn man am zweiten Messetag die Frage ›Is this still available?‹ mit ›Ja‹ beantwortete, gehörte man zu einer bemitleidenswerten Minderheit.« Noch in dieser Hochphase entschied Lühn sich von Partnergalerien zu trennen, deren Politik in erster Linie am schnellen Profit orientiert war. Gerade für diese Galerien, die verstärkt aus den USA kommen, aber auch für deren Künstler sieht Lühn eine schwere Zeit anbrechen.
Robert van den Valentyn, Kunsthistoriker und Leiter der Abteilung für zeitgenössische Kunst im Kölner Auktionshaus Van Ham, sieht das ähnlich: »Die Krise wird vornehmlich sehr junge Künstler treffen, die plötzlich sechsstellige Summen einbringen sollten. Aber auch so einen Künstler wie Andy Warhol: In Spitzenzeiten lag der Weltrekord für seine Grafiken bei 42.000 Euro. Heute würde ich dieselbe Arbeit mit der Hälfte ansetzen – aber wenn man bedenkt, dass sie vor unserer Hochphase ein Viertel einbrachte, wäre das immer noch eine gute Rendite.«
Der Boom äußerte sich aber nicht nur in Preisrekorden und wachsendem Handel. International agierende Großgalerien, die Zunahme an Messen, Biennalen oder Triennalen und der Einfluss des Auktionsmarktes haben im Bund mit Journalisten und Hochglanzmagazinen den Kunstbetrieb nach einer Eventlogik beschleunigt, in der die intensive, langwierige Auseinandersetzung mit Kunst gegenüber ihrer Beurteilung nach ihrem Markterfolg in den Hintergrund trat. Fast schon verärgert stellt der Direktor des Museum Ludwig Kasper König fest: »Ich verstehe gar nicht, dass in vielen Medien, so auch im Kölner Stadt-Anzeiger, ständig über den Markt informiert wurde und weniger über Haltungen und Positionen – so als wäre der Markt die Kunst.« Das überrascht insofern, als Köln – anders als New York, London oder Berlin – nicht von jener international agierenden Käuferschicht heimgesucht wurde, die in den letzten Jahren aufkam und vorwiegend spekulativ kaufte.
Davon könnte der hiesige Kunsthandel in der jetzigen Situation profitieren. Das Rheinland hat eine über Jahrzehnte gewachsene Struktur von Sammlern, die seit jeher ernsthaft und leidenschaftlich mit Kunst umgehen – und vom protzigen Marktgetöse eher irritiert waren. Mit den explodierenden Preisen wollten oder konnten sie, genauso wie die Museen, nur schwer Schritt halten. Neben diesen besonnenen Sammlern wird dem Kölner Kunstbetrieb zugute kommen, dass durch die Berlinflucht vieler wichtiger Künstler, Kritiker und Galerien in den letzten Jahren die Krise auf einer anderen Ebene vorweggenommen wurde. Die Haltung vieler Kölner Galeriebetreiber, ihre Künstler langfristig aufzubauen, einen dosierten Umgang mit Messepräsenzen zu pflegen und mit Kollegen zu kooperieren, könnte sich nun als Vorteil erweisen.
Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kunstbetrieb – auch in Köln – von extremen Verdrängungsmechanismen durchzogen ist: Diese mögen im Inneren der Szene und gerade im Verhältnis zu Berlin deutlich kollegialer ausfallen – nach Außen hin operiert sie auch hier hochgradig selektiv. Nur ein Bruchteil der Künstler schafft es, von der Kunst zu leben, die Mehrzahl macht Nebenjobs und findet wenig Zeit für kontinuierliches Arbeiten. Das war auch zu Boomzeiten schon so – und gerät vielleicht jetzt stärker ins Wanken. Ein gelassenes Schlusswort findet Galerist Buchholz: »Selbst wenn es keinen Kunsthandel mehr geben sollte, wird das an der gesellschaftlichen Notwendigkeit von Kunst nichts ändern können.«