Foto: Manfred Wegener

Neoliberalismus als Sprachfolter

Nicolas Stemann inszeniert am Schauspielhaus die Uraufführung

von Elfriede Jelineks »Die Kontrakte des Kaufmanns«

StadtRevue: Elfriede Jelineks Stück ist vor der Finanzkrise entstanden und hat den Fall der österreichischen Meinl Bank zur Vorlage. Trotzdem wirkt das Stück aktuell.

Nicolas Stemann: Fast schon prophetisch! Im Stück rechtfertigen sich die Vorstandsvorsitzenden und die Leute, die faule Papiere auf den Markt gebracht haben. Daran, wie das geschieht, merkt man, dass sie es jederzeit wieder tun würden – und es auch bereits wieder so machen. Es scheint kein Entrinnen zu geben: Die ganze neoliberale Entwicklung der letzten zwanzig Jahre hat dazu geführt, dass ein Denken jenseits von Rendite und den Gesetzen des Marktes nicht mehr stattfindet. Jetzt ist das Geld weg und als moralisches Gebäude bleibt nur noch das Reden darüber, ob wir uns das Sofa leisten können. Das mündet im Stück in das Massaker des Axtmörders, ein authentischer Fall in Österreich. Man fragt sich, an welchem Punkt wir angekommen sind, wenn Menschen ihre Familie umbringen, nur weil sie 20.000 Euro verloren haben. Das maßlose Sprechen in Jelineks Stück verweist auf einen Zustand, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt, weil vielleicht gar nichts anderes mehr existiert.

Die Autorin koppelt ihren Stoff mit Verweisen auf »Herakles«, der im zweiten Teil der antiken Tragödie seine Familie umbringt. Welche Funktion hat die mythische Ebene?

Jelinek geht es in erster Linie um Sprache, in der Konfrontation mit der griechischen Tragödie spürt man die Differenz zu einem technokratischen und marktorientierten Sprechen. Wenn andererseits die Kleinanleger am Anfang als griechischer Chor mit dem Satz »Entblößt von allem hüten wir Kleinanleger hier die Stätte« auftreten, dann gewinnt dieses Nebeneinander von großer Klage und Profanität des Gegenstands eine fast tragische Lächerlichkeit. Jelinek untersucht, wie tragödienfähig das Problem eigentlich ist. Allerdings ist es mir zu einfach, wenn sich Theaterleute mit den Armen und Entrechteten solidarisieren, ohne das zu reflektieren. Man hat ja schnell den Volkszorn auf seiner Seite, wenn man auf die Manager schimpft. Auch wenn ich das als politische Aussage nachvollziehen kann, reicht mir das als Künstler nicht. Wenn man sich im künstlerischen Feld mit aktuellen Sachverhalten beschäftigt, geht es darum, den Stand des tagespolitischen Diskurses zu überwinden oder zu konterkarieren.

Wie gehen Sie mit Jelineks seitenlangem Textfluss ohne Absatz, ohne Dialoge um?

Eine vergleichbare Penetranz habe selbst ich bei Jelinek noch nie erlebt. Sechzigseitige Monologe, die thematisch und von der Sprechhaltung immer auf den gleichen Punkt weisen – bis man entweder gefoltert aufschreit oder der Punkt stumpf ist. Redundanz als Sprachfolter. Ich habe kein Patentrezept im Umgang mit dem Text. Die Schauspieler und ich probieren aus, auf welche Art man Passagen sprechen kann, ob man das chorisch machen kann, Fremdfiguren spielen oder die Sprache als Musik behandeln kann. Interessant für mich ist die Spannung zwischen dem abstrakten Text und den Schauspielern und Zuschauern, die live im Raum sind. Worin besteht dieser Sprechzustand, aus dem man nicht rauskommt? Ist das die Kälte des Marktes? Da sind wir dann mitten in einer Wirtschaftsdebatte. Ist der Kapitalismus etwas, was dem Menschen in seinem Wesen zuwider läuft, wie linke Positionen behaupten? Oder entspricht er dem Egoismus und der Individualität des Menschen, wie Marktbefürworten sagen? Hat der Mensch aber vielleicht auch Eigenschaften, die in diesem ökonomischen System nicht aufgehen?

Sie gelten als Jelinek-Spezialist. Ist das eine Auszeichnung oder eine Last?

Als ich zum ersten Mal ein Stück von Jelinek– das war 2003 das »Das Werk« am Wiener Burgtheater – inszenieren sollte, wollte ich absagen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man das auf dem Theater umsetzt. Erst in der Arbeit mit Schauspielern habe ich dann einen Zugang zu den Texten gefunden, nicht über die Lektüre.

Haben Sie die Erfahrung mit anderen Stücken von Jelinek auch gemacht?

Ja. Die Stücke mit ihren sprachlichen Schichten und Paradoxien und ihrer großen Form scheinen zunächst immer unaufführbar. Sie nur aus ihrer inhaltlichen, politischen Motivation verstehen zu wollen, ist auch zu einfach. Es handelt sich um Kunst, um Poesie und vor allem um Theatertexte. Im Theater erweisen sie sich als überraschend sinnlich, auch lustig. Gerade weil sie sich einem konventionellen Zugriff entziehen, ist das Theater auf ganz andere Art gefordert als bei einem well-made play von Herrn Schimmelpfennig.

Eröffnen Ihnen diese Stücke als Regisseur eine besondere Freiheit?

Eine Freiheit mit Pferdefuß. Jelinek sagt, ihr dürft damit machen, was ihr wollt. Das ist bei hundertseitigen Fließtexten aber gar nicht so leicht. Man ist also bei ihren Stücken zur Freiheit verurteilt. Aber es bringt mir nichts, einfach nur irgendwas damit zu machen. Damit ich etwas vom Text habe, muss ich ihn zum Klingen bringen. Und um das zu schaffen, muss ich frei mit ihm umgehen.