Stefan Weidner:

 

 

Europa? Wunderbar! Kriege hat es hier nie gegeben, die Menschen des Kontinents lieben den Frieden, sind aufgeklärt und haben allen Grund, die Gotteskrieger und Fanatiker in anderen Teilen der Welt merkwürdig zu finden. Überhaupt, das alte Europa: Konzentriert sich hier nicht alles, was wahr und gut und schön ist – so wohltuend anders als der Irrsinn im Rest der Welt?
Man kann es so sehen. Jedenfalls dann, so der Kölner Islamwissenschaftler Stefan Weidner, wenn man blind ist für historische Realitäten. Europäische Geschichtsvergessen- und Gegenwartsversessenheit, das sind für Weidner zwei Symptome, die man im Hinterkopf behalten muss, will man die Logik dessen verstehen, was seit Samuel Huntington »Kampf der Kulturen« heißt. Gibt es den überhaupt? Ja, meint Weidner – und das ist gut so, denn Konkurrenz belebt das Geschäft, auch das kulturelle. Warum nicht auch ein Wettbewerb der Religionen? Schlimm sind nur die Wettbewerbsverzerrungen. Die entstehen immer dann, wenn man das Beste am Eigenen mit dem Schlechtesten am Fremden vergleicht.
Genau dazu neigen wir aber, meint Weidner: Stichwort »Unterdrückung der Frau«? So alt ist die Emanzipation im Westen auch nicht! Bomben im Namen Allahs? Für was tötete man im Europa des 20. Jahrhundert nicht alles! Entschuldigt werden die Verbrechen von heute dadurch nicht, aber die Perspektiven zurecht gerückt. Die verbiegen sich auch darum, weil Europäer meist mit Europäern über die Muslime reden, selten aber mit ihnen. Nicht, dass das in der arabischen Welt groß anders wäre, auch dort drehen sich die Diskussionen im Kreis. So halten Europäer und Araber, Christen und Muslime ihre Ansichten am Ende nur darum für wahr, weil sie keine anderen kennen. Aufklärung sieht anders aus. Aber um Aufklärung geht es meist auch nicht, es geht um Macht, Deutungshoheit und – um Geld. Am Kampf der Kulturen lässt sich prächtig verdienen, in der Publizistik wie in den Waffenschmieden.
Je schriller die Warnungen, desto mehr wird uns der Islam zur Herausforderung: an unser Wahrnehmungsvermögen und unseren Sinn für Zwischentöne. Pathetisch gesagt: an all das, was Europa wirklich so angenehm macht.


Lesung
26.6. Stefan Weidner liest in St. Agnes (Kirchturm, 1. Ebene), Neusser Platz 18, 20 Uhr, Eintritt frei (in Kooperation mit der Agnesbuchhandlung)

Buch
Stefan Weidner: Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der ­Islam eine Herausforderung ist. Suhrkamp, Frankfurt 2008, 221 S., 19,80 €