Andere Länder, andere Zeichen

Zach Condons Beirut spielen betörende Fake-Folklore

Russendisko und Balkan-Beat haben seit Jahren Konjunktur, ein Ende dieser Entwicklung ist noch lange nicht abzusehen. Auch Zach Condon, Kopf von Beirut, profitiert von diesem Boom – so sehr, dass er ihm bereits über den Kopf gewachsen ist. Seine geplante Welttournee sagte der junge Musiker im letzten Jahr nach einigen Auftritten in Australien und Neuseeland unvermittelt ab, weil ihm der Erfolg zu viel wurde. Er wolle sich erst einmal zurückziehen, an neuem Material arbeiten und das musikalische Konzept von Beirut überdenken.

Im Alter von 16 Jahren hatte Zach die Schule abgebrochen und schlug den typischen Weg eines jungen amerikanischen Bohemiens ein: Er reiste ausgedehnt durch Europa, stieß dort auf serbische Blasmusik und die Folklore der Sinti und Roma. Zurück in New York vereinte er diese Elemente mit typischem Indie-Folk, der melancholische Schmelz im Stil von Bright Eyes wurde von schmissiger Polka und getragenen Bläsersätzen unterfüttert, neben Balkan-Elementen fanden auch Klezmer und mexikanische Folklore Einzug in diesen Folk-Hybriden.

Flucht in die Fremde

Noch bevor 2006 das Debüt mit dem provokanten Titel »Gulag Orchestra« auf den Markt kam, feierten Beirut in den USA enorme Erfolge. Das war nicht verwunderlich, hatten doch Calexico wenige Jahre zuvor mit ihrer Mischung aus US-Indie und Tex-Mex vorgeführt, wie man große Hallen füllt. Man muss nur den melancholischen, von »teenage angst« geprägten Indie-Pop mit einer Spur Weltmusik aufpeppen, schon entsteht ein Miteinander von westlicher Entfremdung und exotistischer Sehnsucht nach Ländern, deren Musik Unmittelbarkeit und tiefe Verbundenheit mit der eigenen Tradition suggeriert. An den Blödsinn, dass die Musik in Serbien oder Mexiko irgendwie »echter« und weniger vom globalen Mainstream verwässert worden sei, haben Calexico und Beirut selbst nie geglaubt. Schon die politische Realität dieser Länder widerspricht solchen Mythen und macht vielmehr deutlich, dass auf Volksverbundenheit und Identität aufgebaute Musik meist nur der verlängerte Arm einer nationalistischen Neurose ist. Trotzdem ist zu befürchten, dass die Musik gerade auf Grund solcher schrägen Projektionen im Westen so gut ankommt. Sie ist geradezu zum Konsens geworden, der sowohl jungen Indie-Hörern wie 50-jährigen Grünen-Wählern das Gefühl von weltoffener Toleranz vermittelt, hinter dem sich oft eine plumpe Weltsicht verbirgt: die reaktionäre und sich doch zugleich rebellisch präsentierende Lokalromantik der Asterix-Heftchen.

Dabei ist das im Fall von Beirut immer schon ein Missverständnis gewesen. Beirut ging es nie um romantische Klischees, vielmehr plünderte Condon Folklore ganz bewusst und vermengte sie dermaßen mit westlichen Pop-Elementen, dass sie sich nicht mehr an etwas Authentisches binden lässt. In der Musik von Beirut gibt es keinen volkstümlichen Bezug auf Heimat, Nation und kulturelle Identität, sie präsentiert sich bewusst als Produkt eines Wanderers zwischen den Welten, der alle nur denkbaren Einflüsse in sein eklektisches Durcheinander einbaut.

Verwestlichung der Folklore

Diese Mischung hat Beirut allerdings auch massive Kritik eingebracht. In Konkret bemängelte der Journalist und Konzertveranstalter Berthold Seliger am ersten Beirut-Album, dass ein junger, unerfahrener Ami Folklore völlig talentlos ausgeschlachtet habe. Seliger schwingt sich in seiner Kritik zu einer Polemik auf, in der es unter anderem heißt, dass die Presse auf wahrscheinlich genau diese Verwestlichung hereinfallen wird. »Und dann wird es wieder eine dieser interessanten Situationen des postmodernen ›Anything goes‹ geben«, endet sein Verriss: »daß Multiplikatoren, die vor jedem authentischen Balkan-Album sagen wir des Kocani Orkestar oder der Taraf de Haidouk Reißaus nehmen würden, (...) plötzlich ein mittelmäßiges Album eines jungen Amerikaners bejubeln und kaufen, das behauptet, ›irgendwie‹ Balkan, ›irgendwie‹ östlich, eben: irgendwie ›Beirut‹ zu sein.«

Der Kritiker hat Recht, doch das, was er angreift, kann auch ins Positive gewendet werden: Beirut ist zum Glück viel zu sehr selbstmitleidiger US-Indie mitsamt adoleszentem Pathos, um als »echte« Weltmusik durchgehen zu können. Auch so kann Pop funktionieren: als das Uneigentliche, als Jonglieren mit Zeichen und sich dabei bestenfalls als ein auf keinerlei Ideologie oder Identität verweisendes Spiel zu erkennen gebend. Dass dies bei den als »authentisch« gepriesenen Balkan-Musikern der Fall ist, darf bezweifelt werden.
Schon mit seinem 2007 erschienenen Album »The Flying Club Cup« war Zach Condon in ganz anderen Gefilden unterwegs, lieferte einen musikalischen Tribut an Frankreich ab, wo er eine Zeit lang gelebt hat. Das Spiel mit Chanson und französischer Straßenmusik ist ebenso von bewusst eingesetzten Klischees bestimmt wie dies zuvor mit Balkan-Elementen der Fall gewesen ist, jedoch keine naive Verklärung des »old europe«. Dies macht zum Beispiel die Nummer »La Banlieue« deutlich, die auf die Aufstände migrantischer Jugendlicher in den Pariser Vororten anspielt.

Was die Musik von Beirut jenseits schwieriger Fragen nach dem angemessenen Umgang mit Folklore so reizvoll macht, ist die simple Tatsache, dass sie originell ist. Das Genre Indie-Folk – inzwischen lässt sich durchaus von einem eigenen Genre sprechen – ist längst an seine musikalischen Grenzen gestoßen. Die Adaption folkloristischer Elemente jenseits von Country, Bluegrass und R’n’B, sorgt bei Beirut für neue, erfrischende Nuancen.


Tonträger: »March of the Zapotec«
(Pompeii/Indigo), bereits erschienen.

Konzert: Beirut spielen im Rahmen der c/o pop am 12. August um 20 Uhr in der Philharmonie.