Wie mit der Axt gehauen
Ohne viel Aufsehen hat sich die Kunstfilmbiennale seit 2002 in der lokalen Kinolandschaft etablieren können: Sie passt gut zu der hiesigen Mischkalkulationskultur, so wie sie sich zwischen Köln und Bonn, Lichtspieltheatern, Museen und Galerien, klassischen Kinofilmen und experimentelleren Kurzformen positioniert – nirgendwo ganz, aber überall ein bisschen. Und damit ganz auf jenem Diskursstand, der den Film schon längst nicht mehr kinobasierend denkt – ein Gedankengut, dem man sich allerdings auch gut verschließen kann. Das Programm bietet also wie stets ein kunterbuntes Miteinander der Formen und Längen. Ein paar Beispiele. Im Cinedom werden die beiden wunderbaren indischen Shakespeare-Adaptionen »Maqbol« und «Omkara« gezeigt, die irgendwo zwischen Kunstanspruch und Bollywood-Kommerzpoesie navigieren.
Im Kunstmuseum Bonn laufen die frenetisch-kirren Einkanal-Videos von Pipilotti Rist. Ebenfalls in Bonn wird unter dem Titel »Kino vs. Museum. Pro und Contra« diskutiert – dort wird sich wohl kaum jemand für das emanzipatorisch-demokratische Moment des Kinos stark machen. Und acht Kölner Galerien zeigen Videos ihrer Künstler. Im Zentrum steht natürlich der Internationale Wettbewerb.
Kunstfreunde werden sich hier eher mit den meist kürzeren Arbeiten ihrer Stars Mark Lewis, Deimantas Narkevidius, Dominique Gonzalez-Foerster, Doug Aitken oder Omer Fast beschäftigen, Filmfreunde mit den Langfilmen. Wie zum Beispiel Jukka-Pekka Valkeapääs »The Visitor«, eine der feinsten Entdeckungen der letztjährigen Filmfestspiele von Venedig, der ab 5. November auch im Filmhaus zu sehen sein wird. In einer kargen Landschaft leben ein stummer Bub und seine Mutter, der Vater sitzt im Knast, weit fort. Eines Tages taucht ein Fremder auf, das prekäre Gleichgewicht der Dinge verschiebt sich. Valkeapää erzählt mit einer sich archaisch gebenden Mächtigkeit: Bilder wie mit der Axt gehauen, ein Rhythmus, der sich ergibt, wenn man tagelang durch unwirtliches Gelände marschiert, immer weiter, diesem Gleichmaß gehorchend und wissend, dass allein diese Beständigkeit einen am Leben erhält. Form ist hier gleich Gehalt. Taten haben Konsequenzen.
Von ähnlich dräuender Natur ist Peter Stricklands »Katalin Varga«, eine Variation von Ingmar Bergmans »Jungfrauenquelle«: Hier kann die Geschändete selbst den Weg der Rache gehen, tun, was zu tun ist – was aber nicht unbedingt das Erwartbare ist. Auch hier gilt: Kino, das sich selbst vertraut – eine wuchtige Bildsprache, die kongenial gesetzt ist. Das Leiden und der Wille, ihm eine Art Ende zu bereiten, durchdringt alle Dinge.
Mit ganz anderen Dämonen kämpft die Titelheldin von Bruno Dumonts verstörendem »Hadewijch«: Sie ist Tochter eines Ministers, fühlt sich zum Leben als Nonne berufen, wird aber des Klosters verwiesen, da man ihre Gottesliebe für bloß narzisstisch hält. In die Welt zurückgestoßen, fühlt sich Hadewijch von muslimischen Terroristen angezogen, die ihr eine Chance geben wollen, ihrer Liebe zum Allmächtigen in einem Attentat Ausdruck zu verleihen. Was genauso bizarr anzusehen ist, wie es klingt: Dumont erzählt in seinem der Ästhetik der katholischen Moderne Frankreichs verpflichteten Film das Sehnen seiner Hauptfigur entlang ihres Glaubens, die Sprünge in der Handlung entsprechen den Bewegungen ihrer Seele. In einer von spirituellen Instinkten bewegten Person gibt es, folgt man Dumont, nur Entweder-Oder: Liebe oder Einsamkeit, Gedanke oder Tat, Leben oder Tod. Und was am Ende wie ein Wunder, eine Erlösung wirkt, erweist sich bei genauerer Reflektion allein als Tor zu jenen Schrecken, die man glaubte überwunden zu haben.
Von solchen Bewegungen – durch Zeit und Raum und quer durch die Religionen – erzählt Eija-Liisa Ahtilas neues Meisterwerk »Where Is Where?«: Eine finnische Dichterin wird von einem Satz heimgesucht, der sie einem Massaker im Algerienkrieg nahe bringt, so nahe, dass es plötzlich in ihrem Wohnzimmer stattfindet. Es geht um all jene Entschuldigungen, die wir uns für unsere Indifferenz gegenüber der Geschichte zurechtgelegt haben, darum, welche verheerende Folgen das falsche Erinnern der Ereignisse hat – und darum, dass es kein Gutes geben kann in einer Welt, in der es vor lauter Vergebung nichts Böses mehr gibt. Wie umgehen mit dem Bösen und dem Guten?
Mi 28.10. – So 1.11., verschiedene
Spielorte in Köln und Bonn.
Infos: www.kunstfilmbiennale.de.
Verlosung: Tageskalender erste Seite