Schafft zwei, drei, viele Arbeitsmärkte!

Die Krise kommt noch – der Aufschwung ist bereits wieder da. Unter Schwarz-Gelb wird alles viel schlimmer – die Merkel-Regierung wird sich als die bessere Sozialdemokratie profilieren. Die politischen und wirtschaftlichen Meldungen in diesem Herbst sind durchaus widersprüchlich. Aber unabhängig, ob man die Situation als schlimm

oder ganz schlimm bewertet: Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sind schon länger so eingerichtet, dass immer mehr Menschen aus »normalen« Arbeitsverhältnissen aussortiert sind und sie kaum Chancen haben, an »gute Jobs« zu gelangen. Felix Klopotek analysiert die zahlreichen Spaltungen des Arbeitsmarkts, Jörg Kronauer berichtet von

der Front der alltäglichen Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen.

 

I

Es gibt wahrscheinlich keinen Markt, über den so große Illusionen kursieren wie über den Arbeitsmarkt. Es sieht so aus, als gliche der Arbeitsmarkt einem Spiel – man muss sich nur smart geben und ein wenig geschickt bei der Suche sein, schone finde man die geeignete Arbeitsstelle. Es gibt Jobbörsen, eine Arbeits­agentur, die selbstverständlich »Kunden« be­treut, eine Vielzahl von virtuellen Netzwerken, in denen man seine digitale Visitenkarte platzieren und seine ganz besonderen Fähigkeiten anpreisen kann.

Tatsächlich aber existiert der Arbeitsmarkt gar nicht, sondern mehrere. Es gibt ­einen illegalen Markt, auf dem Schwarzarbeit in all ihren Facetten – von Tagelöhnerei bis zu kriminellen Tätigkeiten – nachgefragt wird; dann den virtuellen Markt der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und 1-Euro-Jobs, und es gibt einen Markt, auf dem Menschen zwangsvermittelt werden, damit sie fit für den »richtigen« Arbeitsmarkt werden.

Aber welcher Arbeitsmarkt ist der richtige? Der auf dem »Normalarbeitsverhält­nisse« angeboten werden: sozial­versicherungs­pflichtige, unbefristete Arbeitsplätze, die mit mindestens der Hälfte der üblichen Wochenarbeitszeit »bespielt« werden. Doch nur noch zwei Drittel aller Beschäftigten in Deutschland, das sind etwa 28 Millionen Menschen, stecken in Normalarbeitsverhältnissen, 1998 waren es noch 75 Prozent. Im Vergleich dazu nehmen soge­nannte »atypische Beschäftigungsformen« wie Leiharbeit und nicht-sozialversicherungspflichtige Minijobs stetig zu. Das zeigt auch die Kölner Situation: 2003 waren hier 28 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse atypisch, letztes Jahr waren es schon 35 Prozent – was rund 200.000 Beschäftigten entspricht. Die Anzahl der in Köln beschäftigten Leiharbeiter hat sich in dieser Zeitspanne auf 14.000 verdoppelt, die der Minijobber stieg von rund 74.000 auf über 104.000.

Aber nicht nur die atypischen Beschäftigungsverhältnisse sorgen für die Spaltung des Arbeitsmarktes. Auch der reguläre Arbeits­markt ist in sich gespalten: in Ost und West, in Eingeborene und Migranten, aber auch in Männer und Frauen, die häufig für die gleiche Tätigkeit einen geringeren Lohn erhalten. Auf dem regulären Arbeitsmarkt sind in vielen Branchen die Löhne dermaßen unter Druck geraten, dass schwächelnde Gewerkschaften den Staat um die Einführung von Mindestlöhnen, einer Lohnuntergrenze, anbetteln: Es hat sich ein großer Niedriglohnsektor gebildet, die Leute arbeiten und werden immer ärmer dabei. Dynamik zwischen den Märkten gibt es kaum. Dass sich jemand von einem Minijob zur Leiharbeit und dann zum Normalarbeitsverhältnis hocharbeitet, ist die Ausnahme.
Wie kommt das? Auf den Arbeitsmärkten verlängert sich die Abhängigkeit der einzelnen Arbeitskraft von den Ansprüchen und Gewinnerwartungen der Unternehmen. Zugespitzt ausgedrückt: Die Menschen bieten auf den Arbeitsmärkten das einzige an, was sie haben, um ihr Leben zu bestreiten – ihre Arbeitskraft. Sie befinden sich in einer existenziellen Situation, was sie von vornherein erpressbar macht. Dementsprechend bilden die Arbeitsmärkte nicht die Bedürfnisse der Arbeitssuchenden ab, sondern umgekehrt: die des Kapitals. Zwar gibt es für die Lohnabhängigen, wenn man so will, Arbeitsmarktkartelle, die in die Märkte zu ihren Gunsten eingreifen – die Gewerkschaften. Die Spaltung und Zersplitterung der Märkte haben sie aber nicht verhindern können. Im Gegenteil, häufig schotten Gewerkschaften »ihre« Märkte gegen andere ab, Hetze gegen »Fremdarbeit« ging in den letzten Jahren auch von Gewerkschaften aus.

Was hier beschrieben ist, ist der Normalzustand der Abhängigkeit, abstrahiert von den Besonderheiten der Zeitumstände. Und die heißen in diesem Jahr: Bankenkrach, Wirtschaftskrise, neue Armutswelle. Brechen unter diesem Druck die Arbeitsmärkte zusammen? Oder passiert das Gegenteil? Die Spaltungen vertiefen sich, der erste Arbeitsmarkt schrumpft und wird noch strikter gegen Fremdarbeiter abgeblockt.


II

Von einem Zusammenbruch wird wohl kaum die Rede sein. Selbst »die Krise« ist in den letzten Wochen dieses Jahres aus den Schlagzeilen verschwunden, irgendwann wird man 2009 als eines der kuriosesten Jahre der jüngeren Vergangenheit begreifen – ein Rückblick.

»2009 – Kampf um jeden Job« lautete zum Jahresbeginn die Schlagzeile eines Zeit-Artikels, in dem, ungewöhnlich für das vorsich­tige Hamburger Liberalenblatt, eine Kata­stro­phe auf den Arbeitsmärkten befürchtet wurde. Die Krise schien sich unaufhörlich durch alle Abteilungen der Wirtschaft zu fressen: Nach der Bankenkrise traf es die Schlüssel­industrie der deutschen Wirtschaft und führte zur Auto­mobilkrise. Kränkelt die erst mal, dann dauert es nicht lange und der Krisen-Virus infiziert die von ihr abhängenden Branchen: die Chemie, den Maschinenbau, die Textilindustrie, die Metall verarbeitende Industrie, die Glas- und Elektroindustrie.

Überregionale Tageszeitungen veröffentlichten Krisen-Ticker, täglich wurde ein weiterer Bankenzusammenbruch oder auch der eines eigentlich soliden Unternehmens der »Realwirtschaft« vermeldet. Die CIA prophe­zeite sogar, dass mehrere europäische Demo­kratien, darunter Spanien, eine durchschlagende Krise nicht überstehen würden.
Dann war Frühjahr, und plötzlich standen zwei sich durchaus widersprechende Meldungen gegenüber: Bei den meisten Bürgern sei die Krise noch nicht angekommen – für den Sommer erwartete man europaweite Aufstände und Unruhen. Die Abwrackprämie wurde noch belächelt.

Der Sommer kam, und die Leute, die man tagsüber auf der Straße sah, waren vor allem Beschäftigte in Kurzarbeitsverhältnissen: Laut eines Beschlusses des Bundesarbeits­ministeriums wurde die Bezugsdauer von Kurz­­arbeitsgeld von sechs auf 24 Monate angehoben. Kurzarbeit hält die Arbeitslosen­statistik sauber, die Menschen behalten ihren Job und ihren sozialen Status, nicht wenige genießen die überraschende Freizeit. 325.000 Menschen waren beispielsweise in Nordrhein-Westfalen im Juni auf Kurzarbeit, ein Jahr zuvor waren es noch 12.000. Die Arbeitslosigkeit in NRW betraf im selben Zeitraum 811.000 Menschen, »nur« 60.000 mehr im Vergleich zum Vorjahr. Spektakulär im Sommer waren vor allem der unspektakuläre Wahl­kampf und der prognostizierte hohe Wahl­erfolg der FDP. Die Abwrackprämie galt nun als voller Erfolg.

Nach der Bundestagswahl präsentiert sich Kanzlerin Angela Merkel als wahre Sozialdemokratin, selbst FDP-Politiker nehmen das Wort von »sittenwidrigen Löhnen«, die verboten gehörten, in den Mund. Kurzar­beits­geld soll auch 2010 gezahlt werden. Die Krise sei gemeistert, frohlockt bereits die Boulevard-Presse. Überall entdecken Minister und Kommentatoren »robuste Aufwärts­trends«.


III

Selbst wenn man berücksichtigt, dass Schwarz-Gelb die anstehende Landtagswahl in NRW nicht verspielen will, spricht einiges dafür, dass der von linker Seite befürchtete »schwarz-gelbe Kahlschlag« vorläufig ausbleibt. Die Mindestlöhne, die bislang für 1,7 Millionen Beschäftigte gelten, werden nicht rückgängig gemacht, allerdings werden wohl kaum weite­re Mindestlöhne beschlossen. Der Kündigungs­schutz soll aufgeweicht werden, er gälte dann erst bei Betrieben ab zwanzig (statt wie bislang zehn) Beschäftigten. Einen Fahrplan für die Durchsetzung einer Gesetzesänderung gibt es aber noch nicht. Andererseits will Schwarz-Gelb das Schonvermögen erhöhen, das Hartz-IV-Empfänger ohne Abzüge beim Arbeitslosengeld II als Altersrücklage behalten können. Überhaupt dürften mit dem Verweis auf Kinder­armut die Hartz-Sätze angehoben werden.

Jetzt erweist sich als verfehlt, dass viele Linke und Gesellschaftskritiker vor einem Jahr voll in die düstere Krisenprosa eingestiegen sind und imaginäre Rettungsprogramme vorgelegt haben, die mit den Konjunktur­paketen der Bundesregierung hätten konkurrieren sollen: ein Konkurrenzkampf, den sie nur ver­lieren konnten. Rückblickend erscheint die Schwarz­malerei, die zuerst nicht von Linken, sondern von der Mainstream-Presse ausging, als Ablenkung im großen Stil: Dass die Arbeits­märkte sich zersplittern und die Spaltun­gen sich vertiefen, dass immer mehr Tarif-Löhne unter Druck geraten – das ist ja bereits der Trend, den es auch unabhängig von der Krise gegeben hat. Dieser Abwärtstrend gilt nun in Zeiten der Krise als bewahrenswerter Normal­zustand, Sozialdemokraten würden sagen: als das kleinere Übel. Weil die Arbeitsmärkte angesichts der Krise vor dem Zusammenbruch ge­rettet werden müssen, gelten Maßnahmen, die einmal nicht dem Bedürfnis »der Wirtschaft«, sondern denen der Lohnabhängigen entsprechen, als kontraproduktiv.

Das heißt im Klartext, dass der »normale« Druck noch weiter zunehmen wird. So hat eine Studie der IG Metall ergeben, dass auch 2009 eine Milliarde bezahlte Über­stunden gemacht wurden (unbezahlte Überstunden lassen sich statistisch kaum erfassen, und unbezahlte in bezahlte umzuwandeln, dazu müsste ein Druck in den Betrieben aufgebaut werden, zu dem sich die Gewerkschaften nicht mehr in der Lage sehen – weil auch sie verantwortungsbewusst auf die Bedürfnisse der Wirtschaft achten). Eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitsstunden ergäbe mindestens 410.000 neue Jobs. Schon diese einfache Überstunden-Berechnung zeigt, dass wir es nicht mit Naturgesetzen zu tun haben, wohl aber mit ökonomischen Sachzwängen, die in der Öffentlichkeit wie Naturgesetze dar­gestellt werden.

Dass die Krise bewältigt ist – lassen wir diese Aussage einmal stehen –, heißt noch lange nicht, dass es wieder allen besser gehen wird. Die Arbeitslosigkeit wird nächstes Jahr steigen, strittig ist allein die Höhe – die Prognosen der Wirtschaftsinstitute schwanken zwischen 4,1 Millionen Arbeitslosen oder doch 4,5 Millionen (2009 waren es 3,5 Millionen). Springt die Konjunktur an, werden viele Betriebe die Kurzarbeit zurückfahren und gleich­­zeitig die Arbeitszeitkonten der Belegschaften wieder füllen, denn es gilt, die nicht ge­leistete Arbeit der vergangenen Monate auf­zuholen. Neueinstellungen wird es kaum ­geben. Der Druck auf den Arbeitsmärkten wird zunehmen, ohne dass sie zusammen­brechen werden. Denn der Druck wird un­mittel­bar an die Lohnabhängigen weitergegeben, sowohl an die, die Arbeit suchen wie auch an die, die ihren Arbeitsplatz verteidigen – der Krankenstand in deutschen Betrieben sank 2009 auf ein Rekordtief.

Widerstand gegen diesen Druck gibt es, auch 2009 hat es eine Vielzahl von durchaus erfolgreichen Arbeitskämpfen für die Bewahrung von Tarifverträgen und gegen Entlassungen gegeben. Noch ist dieser Widerstand punktuell und findet unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle statt. Und was die Öffentlichkeit angeht: Da wäre schon viel gewonnen, würden die Lohnabhängigen die Parolen vom Aufschwung nicht umstandslos mit ihrem persönlichen Glück identifizieren.