»Twilight« für Erwachsene
Schwindsüchtige Jünglinge sind in Mode, nicht nur bei weiblichen Möchtegern-Vampiren, sondern auch im feministischen Kino Jane Campions. In ihrem schönsten Film seit »Portrait of a Lady« erzählt sie die historische Liebesgeschichte zwischen dem englischen Dichter John Keats und der höheren Tochter Fanny Brawne – und hat damit nebenbei die erwachsenste und denkbar beste Variation der »Twilight«-Serie gedreht.
Die beiden Liebenden begegnen sich 1818 in einem lauschigen Londoner Vorort, wo Keats mit seinem Dichterfreund Charles Brown ein Haus in unmittelbarer Nachbarschaft der Familie Brawne bewohnt. Keats ist ein armer Schlucker, dessen Gedichte dem zeitgenössischen Geschmack einen literarischen Schritt zu weit voraus sind, Fanny Brawne ein romantischer Freigeist, der seine Gesinnung in selbstgeschneiderten Kleidern zur Schau trägt. So lange der tuberkulöse Keats keine Familie ernähren kann, können sie nicht zusammenkommen. Bis zum tragischen Ende muss sich ihre Liebe deshalb in verlangenden Blicken, romantischer Entsagung und der Einsicht ins Unvermeidliche erfüllen.
Für Schwärmerei und Liebeskummer fand John Keats Worte, von denen Stephenie Meyers nicht einmal träumen kann, und doch ist Campion deren »Twilight«-Romanen erstaunlich nah. »Bright Star« ist ein einziges verträumtes Hinhalten, weniger wild romantisch als den gesellschaftlichen Konventionen ergeben, und wie bei den Teenager-Blutsaugern kommt das ewige Leben mit dem Tod: Keats stirbt jung im römischen Exil, was nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass ihn seine in Gedichtform gegossene Liebe bis heute überlebt.
Campion-Fans wird es verblüffen, wie rigoros sie alles beiseite räumt, was dieses romantische Klischeebild stören könnte: Keats fand seine Fanny seltsam und flatterhaft, eine Beschreibung, die auf die meisten Campion-Heldinnen passt, nur gerade nicht auf Brawne. Ihre Liebe frisst verlässlich alle anderen Leidenschaften auf, selbst die, aus der Modeschneiderei eine avantgardistische Kunst avant la lettre zu machen. Ein Makel ist das nicht, denn Campion betritt das Genre des Kostümfilms mit einer Neugier, die ihr die historischen Sitten und Gebräuche nicht weniger kostbar erscheinen lässt als Keats‘ mit sanfter Stimme eingesprochene Briefe und Gedichte. So werden durch den Schein der Liebe auch die Konventionen erhellt, die ihr im Weg stehen und sie in ihrer schwärmerischen Zuspitzung zugleich erst möglich machen.
Bright Star (dto) GB/AUS/USA 09,
R: Jane Campion, D: Abbie Cornish,
Ben Whishaw, Paul Schneider, 119 Min.
Start: 24.12.