Rohstoff Leiche
Köln ist wieder Schauplatz der Körperwelten-Ausstellung des deutschen Unternehmers Gunther von Hagens. Schon vor neun Jahren gastierte die Leichenshow hier. Damals besuchten mehr als eine Million Menschen die Ausstellung auf dem Heumarkt. Heute ist das Interesse geringer. Bis zum hunderttausendsten Besucher dauerte es laut Körperwelten-Sprecherin Silke Wiegand über zwei Monate – 2000 brauchte es nur drei Wochen.
In der Öffentlichkeit scheint ein Gewöhnungseffekt eingetreten zu sein. Von Hagens weiß das und versucht, mit Schockstrategien Besucher anzulocken. Diesmal heißt die Formel: Leichen beim Sex! Die Ausstellung menschlicher Plastinate beim Geschlechtsverkehr wurde vom Ordnungsamt verboten.
Vielleicht waren es diese Rahmenbedingungen, die einen anderen Veranstalter dazu bewogen, seine Show wegen »Produktionsproblemen« abzusagen. Denn zeitgleich zu den Körperwelten (laufen noch bis Ende Januar) sollte kurz vor Weihnachten in der Expo XXI in der Nordstadt eine zweite Leichenausstellung starten: Bodies. Die Ausstellung wird von dem börsennotierten Unternehmen Premier Exhibitions veranstaltet, dem zweiten Global Player im Leichengeschäft. Die im US-amerikanischen Atlanta ansässige Firma begann ihre Geschäfte mit der Vermarktung von Wrackteilen der Titanic. Seit 2004 konzentrieren sich die Geschäftsaktivitäten auf die zwei Anatomieausstellungen »Bodies revealed« und »Bodies – The Exhibition«. Sie machen inzwischen achtzig Prozent der Einnahmen aus, die sich allein im Geschäftsjahr 2008 auf 61 Millionen Dollar beliefen. Zum Vergleich: 200 Millionen Dollar soll von Hagens mit seinen Körperwelten verdient haben – allerdings im Zeitraum von 1996 bis 2006. Premier zeigt laut Geschäftsbericht derzeit weltweit zehn Leichenausstellungen, zusätzlich sind sechs in Lagerhallen geparkt. Jede Ausstellung enthält mindestens zwanzig Leichen, insgesamt wurden Lizenzen für mindestens 320 Leichen erworben.
Als Premier im Frühjahr einen Ableger der Bodies-Ausstellung in Paris zeigte, fiel Besuchern auf, dass alle ausgestellten Leichen aus China stammten. Die New York Times berichtete 2006, Premier habe 25 Millionen US-Dollar investiert, um über fünf Jahre hinweg ständigen Nachschub von Leichen aus der chinesischen Hafenstadt Dalian sicherzustellen. Dort befindet sich eines der Zentren des weltweiten Leichenhandels. Der leichte Zugang zum Rohstoff Leiche, die Verfügbarkeit billiger medizinischer Arbeitskräfte und die geringe Kontrolle dieser Aktivitäten durch die Regierung haben dazu geführt, dass dort eine regelrechte Leichenindustrie entstanden ist. Entscheidend für die Konzentration des Handels in Dalian scheint zu sein, dass es in der Stadt drei Zwangsarbeitslager gibt. Der chinesische Dissident Harry Wu ist davon überzeugt, dass manche der in Ausstellungen endenden Leichen von Gefangenen stammen, die in China hingerichtet wurden.
Diese Berichte führten dazu, dass der New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew M. Cuomo Premier Exhibitions im Mai 2008 aufforderte, Todesursache und Herkunft der ausnahmslos aus China stammenden Leichen und Körperteile nachzuweisen. Eine Untersuchung ergab, dass Premier von 2004 bis 2006 über eine Tochterfirma Leichen von dem Privatunternehmen Dalian Medical University Plastination (DMUP) bezogen hatte. Auch die Website der nun abgesagten Bodies-Ausstellung in Köln gibt die Auskunft, »alle« in dieser Ausstellung gezeigten Leichen kämen von dieser chinesischen Firma.
Die DMUP war zunächst ein Public-Private-Partnership: Siebzig Prozent des Unternehmens gehörten der medizinischen Fakultät in Dalian, dreißig Prozent dem Anatomieprofessor Dr. Hong Jin Sui – übrigens ein früherer Mitarbeiter der Körperwelten von Hagens’ in Dalian, der 2001 gefeuert wurde, nachdem er heimlich seine eigene Körperfabrik aufgemacht hatte. Wegen negativer Medienberichte verkaufte die Universität 2005 ihren Anteil an der DMUP. Seitdem halten Hong Jin Sui und andere Investoren hundert Prozent an der Firma, die in Dalian Hoffen Bio Technique Co. Ltd. umgetauft wurde. Auf der Firmenwebsite werden plastinierte Körper zum Kauf angeboten: Sie seien »trocken, geruchlos, unschädlich, anpassbar und unverderblich«.
Doch woher bekam die Dalian Medial University Plastination die Leichen, die später in den Ausstellungen von Premier zu sehen waren? Auf der Website von Bodies in Köln wird behauptet, sie seien der Firma von »medizinischen Fakultäten in China, den USA und anderen Ländern« gespendet worden. Die New Yorker Justiz fand hingegen heraus, dass die chinesische Plastinationsfirma ihre Leichen von der örtlichen Polizei bekam. Es handele sich dabei um verstorbene Personen, die nicht identifiziert werden konnten oder die von ihren Angehörigen nicht abgeholt wurden. Die Gründe dafür mögen unter anderem darin bestehen, dass sehr arme Familien die Bestattungskosten nicht bezahlen können. Weder ihre Familien noch die Verstorbenen selbst können demnach ihre Zustimmung zum Gebrauch der Körper gegeben haben. Außerdem bestätigen sich die Befürchtungen der chinesischen Menschenrechtler: Ein früherer Mitarbeiter der DMUP sagte gegenüber dem Fernsehsender ABC, etwa ein Drittel der Leichen, die er für die Firma abgeholt habe, seien exekutierte Gefangene gewesen. Sie würden für 200 bis 300 US-Dollar an Medizinschulen oder Privatunternehmen wie die in Dalian verkauft. Die Justiz wies Premier in New York an, auf ihrer Website einen Disclaimer anzubringen, auf dem zu lesen ist, die Firma könne nicht nachweisen, dass es sich bei den gezeigten Leichen nicht um exekutierte chinesische Gefangene handle. Vor diesem Hintergrund klingt es wie bittere Ironie, wenn auf der Kölner Bodies-Website erst behauptet wird, »alle« in der Ausstellung gezeigten Menschen seien »eines natürlichen Todes gestorben«, dann aber einschränkend angefügt wird, nur »in mehreren Fällen« habe der medizinische Berater der Ausstellung, Roy Glover, die Todesursache feststellen können.
Auch den Körperwelten wird seit Jahren vorgeworfen, Leichen illegal zu erhalten, auch wenn Gunther von Hagens stets beteuert, alle Plastinate stammten von Freiwilligen, die sich zur Spende ihres Leichnams entschieden hätten. 2002 behauptete die russische Staatsanwaltschaft, von Hagens habe ohne Einverständnis der Angehörigen Leichen aus dem russischen Nowosibirsk erworben. Der Plastinator dementierte dies – nur anonymisierte Präparate habe er von der Universität bekommen. 2003 sorgten Medienberichte für Aufsehen, nach denen von Hagens Verstorbene aus Kirgisistan ohne Einwilligungserklärungen plastiniere. Wieder bezeichnete von Hagens dies als »Lüge«, gab aber zu, sein Heidelberger Institut habe Präparate aus der kirgisischen Hauptstadt Bischkek erhalten. Schließlich berichtete der Spiegel im Jahr 2004, von Hagens habe bis 2002 auch Hinrichtungsopfer aus China für die Körperwelten-Show verwendet. Durch das »Einschussloch im Kopf« seien sie klar zu erkennen gewesen, zitierte das Magazin aus internen Dokumenten der Firma. Mit einer Unterlassungsklage zwang von Hagens das Magazin, diese unbewiesene Behauptung zurückzunehmen. Gleichzeitig räumte er aber ein, er könne nicht ausschließen, dass sich unter den von ihm in China aquirierten Leichen Hingerichtete befanden. Um alle Zweifel zu beseitigen, ließ von Hagens in China sieben Leichen verbrennen, die ungeklärte Kopfverletzungen aufwiesen. Dabei betonte er, diese Chinesen seien zu medizinischen Lehrmodellen verarbeitet worden und nie in den Körperwelten gezeigt worden. Außerdem feuerte er die Mitarbeiter, welche die Leichen angenommen hatten. Von Hagens Firma in Dalian verarbeitet seitdem nur noch Tiere.