»Wer hat hier gespielt?«
»Ich liebe Leftovers«, schrieb der berühmteste Vertreter der amerikanischen Pop Art in seiner »Philosophie des Andy Warhol«. »Alles, was irgendwo übrig geblieben ist, hat irgendwie Witz.« Und ist nicht das Museum ein privilegierter Ort für »Leftovers«, Überreste künstlerischer Prozesse, und für Hinterlassenschaften wie Schenkungen oder Nachlässe? So steht die im September 2009 eröffnete Jahresausstellung in Kolumba treffend unter dem Titel »Hinterlassenschaft«.
Zum dritten Mal gibt das Kunstmuseum des Erzbistums Köln Einblicke in seine Sammlung. Die Bestände sind weit gefächert und reichen von Messgewändern über Designobjekte bis zur zeitgenössischen Kunst. Sie werden nicht separat gezeigt, sondern in bisweilen überraschenden Konstellationen arrangiert. Dabei ist das Ganze manchmal mehr als die Summe seiner Teile: etwa wenn ein mittelalterliches Kruzifix-Fragment, ein Werk von Joseph Beuys, in dessen Zentrum eine Munitionskiste steht, und das Foto eines deutschen »Schreibtischtäters« aus dem Zweiten Weltkrieg zusammentreffen und auf verschiedene Weise Verletzung und Zerstörung reflektieren.
Der Ausstellungstitel ist – wie schon bei den ersten Präsentationen – ein Readymade. Er zitiert eine gleichnamige Arbeit von Kurt Benning. Als dieser Ende der 70er Jahre die Wohnung einer nahen Verwandten auflösen musste, erstellte er ein vollständiges Verzeichnis der darin enthaltenen Dinge. Im Ostkabinett von Kolumba wird nun in einer vertonten Diaprojektion dieser materielle Niederschlag eines Lebens vorgeführt, der mit seinen Familienfotos, Urlaubspostkarten und Haushaltsgegenständen oft vertraut wirkt und exemplarisch für eine ganze Generation in Deutschland steht.
Doch zeigt Kolumba mehr als nur eine Hinterlassenschaft. So findet sich in einer Ecke des Ostkabinetts eine wie zufällig stehen gelassene Gruppe von Staubsaugern. Hat etwa das Reinigungsteam vergessen, die Geräte wegzuräumen? Oder hat man es hier womöglich doch mit Kunst zu tun? Dass es in Kolumba keine Wandtexte und oft auch keine Vitrinen gibt, leistet der Verwirrung Vorschub.
Im Begleitheft zur Ausstellung findet sich der Verweis auf »Dinge aus der Werk- und Formensammlung (Schenkung Werner Schriefers)«, Alltagsgegenstände, die in Kolumba regelmäßig zusammen mit Kunstwerken ausgestellt werden. Nun gibt es wohl kaum ein künstlerisches Verfahren, das häufiger zitiert und recycelt wird als Marcel Duchamps »Readymade«, seit dieser 1913 ein Fahrrad-Rad an dessen Gabel auf einen Hocker schraubte und wenig später begann, derartige Objekte in Galerien auszustellen. Tatsächlich kann das Museum als Kontext alles, was in ihm ausgestellt ist, potenziell in Kunst transformieren. Doch die inszenierte Zweideutigkeit der Staubsauger ist ein kuratorischer Gag, der sich schnell totläuft. Als Kunst kann man ihn nicht diskutieren, weil kein Künstler dafür verantwortlich zeichnet; stattdessen lebt er nur von den künstlerischen Strategien der Spurensammler in seiner Nachbarschaft wie Benning oder Christian Boltanski. »Wer hat hier gespielt?«, heißt es im Begleitheft zu einem mit Penaten-Creme-Dosen gefüllten Kinder-Einkaufswagen von Thomas Rentmeister. Die Frage stellt sich auch an dieser Stelle.
Ein Hang zur kuratorischen Überformung der Exponate kennzeichnet auch die Präsentation einer Arbeit von Felix Droese. »Der Grafenberg« (1971/72) entstand während Droeses Zivildienst in der Psychiatrie: ein umfangreiches Konvolut aus Zeichnungen, Medikamentenschachteln, Kleidungsstücken, Briefen und Notizen. Präsentiert wird dieses Konvolut in Schaukästen, die auf mehreren im Raum verteilten Tischen ruhen – und nicht Bestandteil des Kunstwerks sind, obwohl sie durchaus so erscheinen. Gleichgültig, ob diese Installation nachträglich vom Künstler für gut befunden wurde – verloren geht die Trennschärfe, was künstlerische Setzung und was Interpretation des Kurators ist.
Eine weitere Kategorie von »Hinterlassenschaften« bilden Ausstellungsstücke, die auf Dauer in bestimmten Räumen untergebracht sind. Dazu gehören die prächtigen Reliquiare im »Armarium«, das im Mittelalter dem »Rüstzeug« des christlichen Glaubens vorbehalten war. Zwischen die Prunkstücke fügt sich Paul Theks privater »Schrein« (1969), einem Fuß-Reliquiar nachempfunden, auf subversive Weise ein. Und dies in einer Kunstlicht-Situation, die den Besuch von Kolumba – derzeit vom Tageslicht oft allzu spärlich beleuchtet – auch noch am finstersten Winternachmittag erhellend wirken lässt.
»Hinterlassenschaft«, Kolumba,
tägl. 12-17 Uhr außer Di, bis 30.8.