The Hardest Working Men

Der DJ ist für viele Clubgänger und Technohörer ein hedonistischer Traumberuf. Dabei ist das Maß an obsessiver Idionsynkrasie und profaner Jobbewältigung, das zum DJ-Sein gehört, gewaltig. Findet jedenfalls Tobias Rapp, der »plus minus acht«, das Buch des Kölner Star-DJs Hans Nieswandt, gelesen hat.

DJs haben einen Knall. Diesen Umstand teilen sie zwar mit dem Rest der Menschheit, der DJ-Knall ist aber ein ganz besonderer, einer, der sich nur sehr schwer definieren lässt. Am einfachsten kann man sich diesem ganz speziellen Schadensprofil nähern, indem man sich anschaut, was sie eigentlich tun: Platten auflegen.
Da gibt es eine Party. Alle Welt geht hin, um sich zu amüsieren, um über die Stränge zu schlagen, um den Alltag zu vergessen und der DJ – der DJ muss arbeiten, kann sich nur in Grenzen amüsieren, weil er doch diszipliniert sein Set spielen muss. Den Alltag vergessen? Nun ja – dies ist sein Alltag. Während also alle feiern, ärgert sich der DJ mit defekten Monitorboxen herum, während alle sinnentleerte Gespräche führen, wünscht sich der DJ, man möge ihn bloß in Ruhe lassen und nicht zu seiner Kanzel kommen, um sich ein Stück zu wünschen.
Der DJ ist der Mittelpunkt der Party. Dennoch ist er so etwas wie ein unbeteiligter Beteiligter. Jemand, der zwar in einer bestimmten Weise außen vor ist, jemand, der aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb die Gabe besitzt, den Geist all dieser Mikro-Prozesse aufzuspüren, um bestimmte Momente musikalisch zu unterstützen und andere Momente wegzudrehen. Eine merkwürdige Situation.
Vielleicht muss man schon eine gewisse Disposition mitbringen, um sie genießen zu können, vielleicht baut man sich sein Set an Verhaltensweisen aber auch erst im Laufe der Zeit zusammen – auf jeden Fall führen die Umstände des DJ-Daseins dazu, dass seine Protagonisten samt und sonders einen Knall haben. Das dürfte bei Hans Nieswandt nicht anders sein, auch wenn man sich nach der Lektüre von »plus minus acht« des Eindrucks nicht erwehren kann, dass sein ganz bestimmter Knall vielleicht darin bestehen könnte, keinen zu haben.

DJ-Typologie

Wenn man etwa das 2000 erschienene DJ-Buch »From Scratch« von Ralf Niemcyk und Torsten Schmidt zur Hand nimmt, eine Sammlung von Gesprächen mit DJs der verschiedensten Genres, so hat man dort eine sehr breit gefächerte DJ-Typologie: Den Elder Statesman, der um seine Verdienste weiß und auch sonst den Plan hat (Westbam), die verfrickelten Technikspezialisten, die jeden Tag Stunden vor ihren Plattenspielern verbringen und üben (Skratch Piklz), den weißen Europäer, der vor Liebe zum Sound der afro-amerikanischen Deep House-Clubs fast vergeht (DJ Deep), den besessenen Wissenschaftler mit Hang zum künstlerischen Großentwurf (Jeff Mills), den plattensammelnden Bonvivant, der mittlerweile jemanden eingestellt hat, um die Sammlung zu sortieren, damit er mehr Zeit zum Ordnen seines Weinkellers hat (John Aquaviva) und den tumben aber sympathischen Voll-Auf-Die-Zwölf-Arschtreter, der am liebsten gar nichts sagt (DJ Assault).
All das ist das Erzähler-Ich von »plus minus acht« nicht. Bzw. eigentlich doch, aber nur ein bisschen von allem. Natürlich weiß Nieswandt um seine Verdienste, aber er wäre der letzte, der damit hausieren geht: den Ruhm überlässt er aber gerne den anderen, die auch noch dabei waren, oder (noch besser) den Umständen. Natürlich übt er auch, aber nur, um bestimmte Sachen zu lernen. Genau wie er den New Yorker House-Sound über alles liebt, insbesondere den von DJ Pierre – aber Nieswandt ist weit davon entfernt, sich auf eine Sache zu beschränken, es gibt ja noch so viel andere schöne Dinge auf der weiten Welt.
Der Hang zum Großentwurf geht ihm völlig ab, auch wenn er ihm und seinem Projekt Whirlpool Productions von unterschiedlichsten Seiten immer wieder zugeschrieben wurde. Wie sollte es auch anders sein: Wenn ein ehemaliger Spex-Redakteur Musik macht, muss diese ja irgendetwas wichtiges zu bedeuten haben. Ein Weinkeller kommt im Buch zwar nicht vor, wundern würde man sich aber nicht, wenn es ihn gäbe. Und ein Voll-Auf-Die-Zwölf-Treter – das ist Hans Nieswandt tatsächlich nicht, wenn einen auch das Gefühl beschleicht, manchmal wäre er es gerne.
Nun denn, wird sich nun der eine oder andere fragen, wenn das so ist, worum geht es denn eigentlich in »plus minus acht«? Ist es ein Roman, ein Sachbuch, eine Autobiografie? Seufz, kann man da nur antworten, alles ein bisschen. Einfacher ist es zu bestimmen, worum es nicht geht: Sex, Drogen, Klatschgeschichten und wann es wo am geilsten gerockt hat. Vielleicht könnte man sagen, es geht darum, die verschiedensten Dinge zu erzählen, um eigentlich eine Haltung zu schildern: eine sehr elegante Form von unbeteiligtem Beteiligtsein.

Von New Wave zum Spex-Redakteur

Es ist die Geschichte von Hans Nieswandt, wie er in den späten 70er Jahren Punk und New Wave in einem süddeutschen Jugendfreizeitheim spielt, wie er sich bald dem Dance-Pop zuwendet, nach Hamburg geht, dort zu Acid House tanzt und eine eklektizistische Mischung aus Prince und A Tribe Called Quest auflegt, nach Köln geht, dort Spex-Redakteur wird, House entdeckt und den Redakteursjob aufgibt, um sein Leben fortan der Musik zu widmen, diverse Clubabende organisiert und schließlich mit Justus Köhnke und Eric D. Clark Whirlpool Productions gründet. Mit »From: Disko To: Disko« landen sie einen Nr.1-Hit in Italien, ein Erfolg, der sie in die irrstmöglichen Situationen führt, den sie aber nicht wiederholen können und vielleicht auch gar nicht wollen. Seitdem zieht Nieswandt als DJ über die Lande und legt mal hier auf und mal da. All das erzählt er und noch die eine oder andere Anekdote, außerdem eine handvoll Dinge, die man wissen sollte, bevor man sich zur DJ-Kanzel begibt, um sich ein Lied zu wünschen. Man liest und liest und hat sich irgendwann so an diese Perspektive gewöhnt, an dieses und-dann-traf-ich-den-und-es-ergab-sich-dies-und-jenes, dass man sich nicht einmal wundert, wenn man sich auf einmal in Brasilien wiederfindet und erfährt, dass auch dort Musik aus Köln geschätzt wird. Oder man begleitet Nieswandt nach Italien, wo er als Teil des künstlerischen Rahmenprogramms einer Tagung gebucht ist, auf der mehrere Wochen lang die Autohändler einer bestimmten Marke durchgeschleust werden, um die Vorzüge des neuen Mittelklasse-Modells erklärt zu bekommen.
Hier gibt es die Stelle, wo Nieswandt – eigentlich ziemlich entnervt ob seines Jobs und froh, einmal einer ganz profanen Tätigkeit nachgehen zu können -, seine DJ-Kanzel schwarz anpinselt. Ein ehemaliger Zimmermann und Dopedealer, mittlerweile Althippie und Agenturbetreiber, tritt hinzu und sagt: »Sie brauchen Leute wie dich und mich (...) Sie brauchen Freaks. Ohne uns wären ihre Produkte nur Blechkisten.«
Vielleicht ist dies gerade deshalb der schönste Augenblick, weil der Sicherheitsabstand, mit dem man die ganze Zeit durch das Buch geführt worden ist, wegfällt. Es ist der Moment, wo ein weiterer unbeteiligter Beteiligter hinzutritt und die wahren Worte spricht: Natürlich sieht es für Dich und für mich, für sie und für ihn, auch für uns alle so aus, als sei das alles die normalste Sache der Welt. Platten auflegen, kaufen, mit sich herumtragen. Natürlich ist es ein Job wie alle anderen auch. Man lernt ihn, man übt ihn aus, es gibt gewisse Berufsrisiken. Für SIE ist es aber nicht das normalste der Welt. IHRE Fantasie regt es an. Und damit kann man spielen. Deshalb auch dieses Buch.

Hans Nieswandt: »plus minus acht«, KiWi 674, Köln 2002. 220 Seiten, 8,90 EUR