Was für dich dabei?
Der Linke im Restaurant
»Ich hätte ja Lust auf ’ne Pizza«, sagt Richard Klein. »Wir können uns eine teilen, das würde mir reichen.« Dabei klopft er sich – tapp, tapp – etwas linkisch auf den Bauchansatz. Klein grinst, ohne den Mund zu verziehen. Doch heute Mittag gibt es leider keine Pizza im Filos, einem Kneipenrestaurant in der Südstadt. Kein Problem. Klein entscheidet sich für Hähnchenstreifen in Sesam mit Blattsalat. »Ist auch lecker«, sagt er.
Warum ausgerechnet dieser Laden? Wegen Pizza und gebratener Hähnchenstreifen? Wir hätten alles mögliche unternehmen können, aber Klein, der für die Linke im Kölner Norden kandidiert, wollte hierher: »Dann ist es auch nicht so weit für Sie, dachte ich. Und unsere Parteizentrale ist ja gleich um die Ecke.«
Der 44-jährige Hartz-IV-Empfänger ist heute eigentlich auf Tour durch Ämter und Behörden. Nicht in eigener Sache, auch nicht für den Wahlkampf. Jedenfalls nicht direkt. Klein hilft anderen, sich in der Bürokratie zu orientieren und zu ihrem Recht zu kommen. Um acht Uhr war er mit einer Frau beim Wohnungsamt und hat ihr gezeigt, wie sie einen Antrag stellen muss.
Danach hat er einen Mann zu einem anderen Amt begleitet. Thema: Grundsicherung. »Der bekommt weniger als ihm zusteht«, sagt Klein. »Zehn Jahre ist er falsch beraten worden.« Klein gehört zu einer Gruppe bei der Kölner Linken, die Informationen und Hilfe für Hartz-IV-Empfänger anbietet. »Da hab ich schon gestandene Männer weinen gesehen«, sagt Klein. »Die waren total überfordert, wussten einfach nicht mehr weiter.«
»Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man bei der Arge sitzt«
Hartz IV – das ist Kleins wichtigstes politisches Thema. Immer wieder kommen wir in den nächsten zweieinhalb Stunden darauf zurück. Klein erzählt, wie er sich in der Projektgruppe »Aufstehen gegen Hartz IV« engagiert und berichtet, wie »dieses Gesetz die Menschen systematisch vereinzelt und vereinsamt«. Wie sie sich schämen. Wie sie an dem komplizierten Prozedere schier verzweifeln. »Seit April letztes Jahr bin ich ja selbst davon betroffen«, sagt er. »Ich weiß, wie schwierig es ist, von Hartz IV zu leben und ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man bei der Arge vor dem Schreibtisch sitzt.«
Über zwanzig Jahre sei er als Drucker beim Bauer-Konzern beschäftigt gewesen, erzählt er. Er legt Messer und Gabel neben den Teller, stützt die Ellbogen auf, presst die Handflächen gegeneinander. Von der Entlassungswelle hätten er und seine Kollegen am schwarzen Brett erfahren. Danach war Klein anderthalb Jahre LKW-Fahrer, hat Gefahrgut transportiert. Immer Zeitverträge, zuerst zwölf, danach sechs Monate. Dann war auch das vorbei. Seine Ehe sei darüber gescheitert, erzählt Klein.
Dann grinst er plötzlich wieder, fast ohne die Mundwinkel anzuheben und sagt, er gehöre jetzt zu einer Randgruppe. Denn er ist allein erziehender Vater, wohnt mit seiner 16-jährigen Tochter in Niehl. Sie geht in die neunte Klasse einer Realschule. »Meine Tochter hat gesagt, sie möchte unbedingt, dass ein Plakat von mir vor ihrer Schule hängt«, sagt Klein. »Das hat mich schon stolz gemacht.« Ja, er rede mit seiner Tochter auch über Politik, sie interessiere, was er mache. Privates und Politik – das gehört bei Klein zusammen. Eben weil er sein Thema aus dem Alltag kennt. Früher habe er immer SPD gewählt. »Aber mit der Agenda 2010 war für mich endgültig Schluss. Das war nicht mehr meine Partei.«
»Es gibt nicht für alle Erwerbsarbeit«
Mit den Zielen der Linke habe er sich identifizieren können. Etwa, dass dreigliederige Schulsystem abzuschaffen. Auch die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen beschäftigt Klein: »Vollbeschäftigung, das funktioniert doch nicht. Es gibt nicht für alle Erwerbsarbeit. Die Politik muss endlich anerkennen, dass es eine Sockelarbeitslosigkeit gibt, die deutlich über drei Millionen liegt.«
Erst seit zwei Jahren ist Klein bei der Linken. Letzten September wurde er bereits als Kandidat für den Stadtrat aufgestellt. Mehr als fünf Prozent waren für den Neuling damals nicht drin. Jetzt tritt er als Landtagskandidat an, muss Stimmen in Chorweiler, Mauenheim, Riehl, Niehl, Weidenpesch und Longerich sammeln. Man könnte von einer Blitzkarriere sprechen, wenn Kleins Chancen nicht so gering wären. »Mathematisch ist es möglich«, sagt Klein und grinst wieder bewegungslos.
Im Düsseldorfer Landtag war er schon mal. Um an einem Hearing der Linken teilzunehmen. »Wir waren in einem der runden Sitzungssäle«, sagt Klein. »Thema war die kommunale Finanzsituation und ein möglicher Umbau der Arge zur Optionskommune«, und schon ist er wieder bei Hartz IV und hat das Besteck abgelegt. Die gebratenen Hähnchenstreifen in Sesam sind jetzt bestimmt schon kalt.
Hobby: Flugzeugmodelle bauen
Hat Klein auch Hobbys? Etwas, das nichts mit Politik zu tun hat? »Na ja, ich habe viele Jahre Flugzeugmodelle gebaut, damals, als ich noch in der Eifel wohnte.« Klein erzählt von der Atmosphäre im Modellbauverein. »Da sitzen die unterschiedlichsten Leute beisammen und verstehen sich bestens, egal ob reich oder arm.« Einen Doppeldecker mit zwei Meter sechzig Spannweite hat er selbst konstruiert, und einen Segler hat er gebaut, vier Meter lang.
»Aber ohne Auto kann ich das nicht mehr machen, ich kann die Modelle ja nicht mit der Bahn transportieren. Ich hab aber noch ein neues Hobby.« Dann ist er wieder bei der Politik: »Ich bin für die Linke als sachkundiger Bürger im Ausschuss für Soziales und Senioren. Ich darf zwar nicht mit abstimmen, aber Fragen stellen. Und davon mache ich auch rege Gebrauch.«
Am Wahlkampf gefällt Klein, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Nur Flugblätter an Tapeziertischen zu verteilen, das sei ihm zu wenig. Klein will Spaziergänge durch die Viertel unternehmen, die Leute direkt ansprechen. Das hat er schon beim Wahlkampf für die Bundestagskandidatin Cindy Kolter gemacht, an deren Kampagne er mitgewirkt hat.
»Mir geht es ja auch nicht nur darum, in den Landtag zu kommen«, sagt Klein. »Jede einzelne Stimme ist für mich Motivation, weiter zu machen. Auch außerparlamentarisch.« So wie heute, wenn er Menschen bei Behördengängen berät. »Da kenne ich mich aus und fühle mich sicher«, sagt Klein. »Aber vor unserem Gespräch war ich schon ein bisschen nervös. Ich habe ja noch nicht viel Erfahrung mit der Presse.« Wenn man dann sagt, dass man das nicht bemerkt habe, grinst Klein wieder. Und diesmal verzieht er den Mund ganz nach oben.