Zurückhaltung in Perfektion

James Mercer versucht sich mit Danger Mouse

als Indie-Pop-Dreamteam

Nur weil man »Indie-Pop« geschimpft wird, muss man sich noch lange nicht Anstecker wie mangelnden Geschäftssinn oder falsche Sentimen­talitäten ans Revers der Leder­jacke heften. James Mercer ist aktuell das beste Beispiel für vernünftiges Risikomanagement im Bereich Melancholiepop. Als Sänger und Songschreiber von The Shins aus Portland, Oregon, verabschiedete er sich nach Jahren konstanten Wachs­tums erst von seinem an­gestammten Label Sub Pop, für deren bis dato größten Charts-Erfolg The Shins zuständig waren, tauschte dann seine Mitmusiker aus, nur um die Band kurz danach auf Eis zu legen. Was nach Kurzschlusshandlung aussieht, war wohl eher ein spät zündender Geistesblitz. Mercer hatte vermut­lich schon länger einen Plan B in der Hinterhand – und die Nr.1 aller stilprägenden Produzenten des letzten Jahrzehnts im Telefonspeicher. Der New Yorker Brian Burton alias Danger Mouse hatte sich bei einem großen europäi­schen Festival in den Backstage-Bereich geschmuggelt, um sich als Shins-Fan zu outen, just zu der Zeit, als sein epochales »Grey ­Album« die Server der Tauschbörsen heißlaufen ließ. Der berüchtigte Mash-up des »White Albums« der Beatles mit Jay-Zs »Black Album« fand sich auch auf dem MP3-Player von James Mer­cer, der das Kompliment direkt erwiderte. Seither war eine Zusammenarbeit geplant, Jahre später ist sie Wirklichkeit geworden: Ihr Projekt heißt Broken Bells.

Vielleicht wird die Backstage-Anekdote bald ständig wiederholt, um nicht den Eindruck einer strategisch motivierten Zweckgemein­schaft entstehen zu lassen. Denn seit der ersten Begegnung 2004 stieg Danger Mouse zu einer der ganz großen Produzenten­per­sön­lichkeiten im Popzirkus auf. Brian Burton ist einer, der alles kann. Die 60er mit den 00er Jahren kreu­zen, Rap-Beats schneiden, den Sound von Rock-Bands entrümpeln oder Ohrmwürmer wie Gnarls Barkleys »Crazy« schreiben: ein Trevor Horn von der HipHop-Straßen­ecke, ein Rick Rubin des neuen Jahrhunderts, der inzwischen für die Gorillaz, Beck, The Rapture oder The Black Keys gearbeitet hat. Nun also die Paarung mit James Mercer, eigentlich ein »odd couple«, aber gerade daraus soll bei solchen Unternehmungen der Mehrwert geschöpft werden.

Im Frühling erschien ihr erstes Album. Trotz den Namens ist weit und breit kein Nachhall von zerbrochenem Schwermetall zu hören. Burton und Mercer haben sich auf harmonischen, detailreich arrangierten Gleichklang geeinigt. Das selbstbetitelte Debüt ist eine so schöne wie schön gemachte Platte. Die Band selbst imaginiert ihr Werk als Sound-Planeten: »Visit fabulous planet BB114«, heißt es auf der Webseite.

Wenn Burton über sein künstle­risches Selbstverständnis spricht, inszeniert er sich analog dazu als Regisseur kompletter fiktiver Wel­ten, in die sich alle mit ihm arbeitenden Musiker vorwagen müssen. »Broken Bells« ist daran gemessen wohl seine bislang kompromissbereiteste Arbeit. Was er gemeinsam mit Mercer aufgenom­men hat, klingt mitunter eindeutig nach The Shins. Den Sampler hat Burton aus dem Studio verbannt, bis auf die Streicher – auch die in gro­ßer Besetzung eigens eingespielt – ist alles selbst gemacht. Dieser Betonung handwerklicher Qualitäten paart sich mit einer munte­ren Zitierlaune. Beach-Boys-Harmonien, Pink-Floyd-Atmosphären oder The-Cure-Schwung werden mit Ma­riachi-Bläsern kombiniert und immer wieder mit Uraltorgeln aus dem Fundus der 60er-Jahre-Psychedelia.

Selbstredend ist Pop für Brian Burton ein großer Supermarkt voller konfektionierter Emotionsdosen, und über Klasse wird durch den Griff ins richtige Regal entschieden. Den beherrscht Burton wie wenige andere derzeit. Der ohnehin schwammige Begriff des Produzenten greift bei ihm zu kurz. Burton ist der neue Typus eines Kreativdirektors, Gestalters, Umsetzers, Instrumentalisten, Pop­­stars und Promoters in einer Person. Seine Markenzeichen sind Cool­ness, große musikalische Band­­breite, eine unheimliche Stil­sicherheit. Alles Dinge, die allerdings eine gewisse Distanz aufbauen. Tatsächlich wirken die Songs der Broken Bells fast zu perfekt, wie akkurat ausgeleuchte­te Aufnahmen aus einem bis ins kleinste Ornament durchgeformten Gefühlshaushalt. Die Verhaltensregel im Angesicht dieser Bilder liefert Mercer im Text zu »October« praktischerweise gleich mit: »Don’t run, don’t rush, just float«. Allzu viel Aufregung rundherum wollte man musikalisch mit einer entspannten Gangart gegen­steuern. Wenn beim Bekanntwerden jeder neuen unwahrscheinli­chen Dream-Team-Kombination von Danger Mouse ganz Pophausen vor Erwartung zittert, stellt es auch mal ein Wagnis dar, so wertkonservativ, rundum gepflegt und unaufgeregt um die Ecke zu kommen. Manchmal braucht es auch zur Zurückhaltung Mut, gerade bei einem, der als unerschrockener Stil-Hopper Furore macht.

Wenn Broken Bells im August durch die Lande touren, wird ­Brian Burton konzentriert und schüchtern am Schlagzeug sitzen und James Mercer vorne am Mikrofon die Rolle des Popstars überlassen. Was ein guter Kreativ­direktor sein will, muss eben auch delegieren können.

Tonträger: »Broken Bells« ist bereits erschienen (Columbia/Sony).
Konzert: Di 17.8., Gloria, 20 Uhr
Verlosung > Tageskalender erste Seite