Kino der Gefühle: Sirk und Stahl
Im Rahmen seiner scheinbar grenzenlosen und manchmal auch ein wenig wahllos wirkenden Melodramen-Schau präsentiert der Filmclub 813 diesen Monat ein echtes Programmjuwel: Gezeigt werden zwei 30er-Jahre-Meisterwerke von John M. Stahl und deren 50er-Jahre-Neuverfilmungen durch Douglas Sirk: »Imitation of Life« (1934 bzw. ’59) und »Magnificent Obsession« (1935 bzw. ’54). Leider fehlt das dritte Stahl/Sirk-Doppel: »When Tomorrow Comes« von 1939, das 1957 als »Interlude« neu verfilmt wurde. Stattdessen wird Sirks »Written on the Wind« (1956) zu sehen sein und Todd Haynes an Sirks »All That Heaven Allows« angelehnter »Far from Heaven« (2002).
Über den in Dänemark geborenen und bis 1937 – unter seinem bürgerlichen Namen Detlef Sierck – in Deutschland arbeitenden Sirk, seine an Brecht geschulten Stilisierungen und seine Amerikaskepsis ist viel geschrieben worden. Bei Stahl sieht das anders aus, er ist einer der großen Vergessenen des Kinos. Was nicht erstaunlich ist: Stahl macht in seinem Kino all das nicht, was an Sirks Filmen so geliebt wird – weshalb deren Gegenüberstellung dialektisch wie didaktisch sinnstiftend ist.
Um Stahl zu etablieren, bräuchte es einen radikalen filmkulturellen Paradigmenwechsel. Er ist ein klassischer Geschichtenerzähler, dessen Stil in der Zurücknahme der Mittel liegt – im Gegensatz zu Sirk, der in der Inszenierung seine Haltung zu den Figuren und ihrer Welt klar auf den Punkt bringt. Der Reiz von Stahl liegt im Reichtum seiner Charaktere, die stets wunderbar facettenreich geschliffen, aber – nie auf vulgäre Weise – psychologisch gerundet sind. Man folgt diesen Menschen durch eine ziemlich harte, in »Imitation of Life« und »Magnificent Obsession« von der Großen Depression geprägte Welt. Bei Sirk hingegen hat man das Gefühl, Röntgenaufnahmen der Seelen zu sehen. Er zeigt die inneren Verkrüppelungen, die so typisch für die soziale Restauration der Nachkriegs-USA sind, wo Frauen entemanzipiert wurden und Männer mit Sozialgewalt befriedet. Stahl realisierte Texte, Sirk Meta-Spektakel. Über das Leben lernt man von beiden viel.