Foto: Manfred Wegener

Herr Z., Herr R. und Frau O.

Clara Fischer schreibt eindringliche Texte über ihre Arbeit im Hospiz. Ob die veröffentlicht werden dürfen, ist allerdings unklar

Herr Z. war früher einmal ein schöner junger Mann. Mit ebenmäßigen Gesichtszügen. Heute ist er fett und hat ein Doppelkinn. Herr R. war früher Turner. Und ein wilder Bursche. Heute hat er ein großes, eiterndes Loch auf dem Rücken. Frau O. hat Eier im Bett. Glaubt sie. Und Hühner. Ein paar Tage später ist sie tot. So wie alle hier im Hospiz.

Für Clara Fischer ist der Tod alltäglich geworden. »Am Anfang bricht man in Tränen aus, wenn man einen Leichenwagen sieht, und ein paar Monate später wäscht man dann selbst einen toten Menschen«, sagt sie. Die 21-Jährige hat bis Juni in einem Hospiz ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolviert. Eine harte, ermüdende Arbeit. Damit muss man erst einmal klarkommen. Fischer hatte ihre eigene Methode: Jeden Abend schrieb sie die Erlebnisse des Tages nieder. Ein Tagebuch über das tägliche Sterben auf 400 Seiten. Das Schreiben sei eine Art Supervision für sie gewesen, sagt sie. »Man erlebt doch einige Dinge, die nicht so schön sind. Da tut das schon gut.«

Der Waschbrettbauch ist heute ein Urinbeutel

Clara Fischer stammt aus einem kleinen Dorf im Rhein-Sieg-Kreis. Sie schreibt, seit sie fünf oder sechs Jahre alt ist. In den letzten Jahren fast ausschließlich Gedichte, auch Sonette. »In der Prosa musste ich meinen Stil erst mal finden«, sagt sie. Liest man ihre Geschichten über die Hospiz-Bewohner, merkt man, dass sie schon ziemlich weit vo­rangekommen ist auf ihrer Suche. Die Episoden changieren zwischen Nähe und distanzierter Betrachtung, zwischen Empathie und pragmatischem Umgang mit dem Tod. Dabei gelingen ihr erinnerungswürdige Momente. Wenn sie Herrn Z.’s Waschbrettbauch von damals mit seinem Urinbeutel von heute kontrastiert, ist mit wenigen Strichen die Situation des alten Mannes gezeichnet.

Erstmals literarisch aufgefallen ist die junge Autorin bei der diesjährigen lit.Cologne. Da las sie bei der »Unverlangt eingesandt«-Reihe aus ihrem Tagebuch und erhielt positive Kritiken. Vor wenigen Wochen dann der große Moment: Der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch zeigte Interesse an der Veröffentlichung ihrer Hospiz-Tagebücher. Man habe die Texte geprüft und erachte sie als überzeugend, so ein Mitarbeiter. Alles gut also? Leider nicht, denn im Hospiz sieht man die Sache anders.

Zunächst warf die Leitung Clara Fischer wenige Tage vor Ende ihres FSJ raus. Damit nicht genug: Ende Juni erwirkte man plötzlich und unerwartet beim Landgericht Bonn eine siebzigseitige einstweilige Verfügung. Der Vorwurf: Fischer habe bei der Lesung auf der lit.cologne und bei den von den lit.cologne-Machern ins Netz gestellten Texten über zum Teil identifizierbare Personen berichtet und somit gegen ihre Verschwiegenheitspflicht verstoßen.

»Die Verfügung geht ins Leere«

Gänzlich überraschend kommt die Klage für Fischer nicht. »Schon während des FSJ fanden Schwestern meine Texte im Internet. Das ist auf großes Unbehagen gestoßen«, sagt sie. Es herrsche eine große Angst im Hospiz. »Das ist alles noch wahnsinnig verkrampft.« Es gehe in ihren Betrachtungen ja auch nicht um Mitleid. Das lese sich dann halt auch mal knallhart.

Fischers Anwalt Hermann Leuer aus Bonn hat Einspruch gegen die Verfügung eingelegt. Der Sachverhalt sei an vielen Stellen nicht zutreffend. Es gebe kein Manuskript, wie behauptet, sondern lediglich das Tagebuch. Ein erwähnter Auftritt im Horizont-Theater in der Nordstadt sei zwar geplant gewesen, habe aber nie stattgefunden. Zudem könne sich das Hospiz nicht zum Sachverwalter der Persönlichkeitsrechte machen. »Die Verfügung geht ins Leere«, sagt Leuer.

Parallelen zum Fall Maxim Biller

Bei Kiepenheuer & Witsch heißt es, man wolle abwarten, wie sich die Angelegenheit juristisch entwickle. Die Skepsis ist verständlich, denn der Kölner Verlag hat Erfahrung mit Autoren, die sich mit dem Vorwurf der Verletzung des Persönlichkeitsrechts konfrontiert sahen. 2003 erregte Maxim Billers Roman »Esra« Aufsehen, da er angeblich intime Details über eine Ex-Partnerin des Autors und dessen Mutter schilderte.

Anwalt Leuer ist im Fall Clara Fischer aber optimistisch. Seine Mandantin habe nicht vor, das Tagebuch zu veröffentlichen. Stattdessen sei ein Manuskript geplant, in das auch die Erfahrun­gen aus dem Hospiz einfließen sollen. Doch genau da liegt das Problem bei einer Veröffentlichung. Für Kiepenheuer & Witsch hänge alles davon ab, inwieweit die Rahmenbedingungen akzeptabel seien, so ein Mitarbeiter. Im Klartext heißt das: Inwieweit beeinflusst eine womöglich juristisch notwendige weitere Verfremdung der Texte die Authentizität? »Das Thema verlangt nach Wirklichkeit«, heißt es von Verlagsseite eindeutig.

Herr Z., Herr R. und Frau O. bekommen von all der Aufregung nichts mehr mit. Sie sind längst gestorben. So wie alle anderen im Hospiz. Rein literarisch wäre es wünschenswert, dass ihre Geschichten überdauern.