Foto: Manfred Wegener

Ehrenfeld - Ein Veedel wird zur Marke

Aufgekratzte Partygänger zwischen Live Music Hall und Papierfabrik, Lohas und Street-Fashion-Victims zwischen Zentralmoschee und Körnerstraße – und ein Investor will eine riesige Shopping Mall ins Herz des Viertels setzen. Aufbruch oder Abgesang?

 

Nava Ebrahimi und Bernd Wilberg zeigen, was sich verändert, seit das ehemalige Arbeiterviertel ins Visier von Wirtschaftsförderung und Investoren geraten ist.

Prasanna Oommen und Jessica Hoppe haben einen Albtraum. Er sucht sie manchmal heim, wenn sie über ihr Viertel Ehrenfeld nachdenken. Es tauchen zwar keine Monster auf, aber stattdessen »eine Monokultur aus Besserverdienenden, Biobewegten, spätge­borenen Kindern spätgebärender Akademikereltern. Glückliche Lohas unter sich.«

Diese schöne, neue Welt schreckt derzeit manche im Viertel auf. Die beiden PR-Journalistinnen Oommen und Hoppe unter anderem im Vorwort zum Magazin ehrenfelder, dessen erste Nummer im Januar 2010 erschienen ist. Das Heft, das einmal im Jahr herauskommen soll, entsteht an der Vogelsanger Straße, in einem alten Industriebetrieb, wo außer Oommen und Hoppe noch zehn weitere Freiberufler aus den Bereichen Design, Kommunikation und Film sitzen.

Köln auf Platz drei der deutschen Wirtschaftsstandorte

Ihre Bürogemeinschaft nennt sich »Die Kollegen«. Diese Kollegen gehören zu jener Kreativen Klas­se, um die sich derzeit die Städte bemühen. Denn, so die Vermutung, wo Kreative sind, da kommt bald der wirt­schaftliche Aufschwung. Weil sie mit ihren Ideen und Projekten Flair in langweilige Stadtviertel bringen – Kneipen, kleine Geschäfte, Kunst- und Kulturprojek­te. Von diesem Renommee würden dann auch Investoren und Firmen angelockt, glauben Politiker und Soziologen. Auch Köln setzt derzeit auf die Krea­ti­ven, besonders im ehemaligen Arbeiter­viertel Ehren­feld.

Das Beratungsunternehmen agiplan aus Mül­­heim an der Ruhr hat gerade die Zahlen für die Ju­belstimmung geliefert. In ihrem »Standortranking zur Krea­tiven Klasse in Deutschland 2010« landet Köln hinter München und Berlin auf Platz drei der »Wirtschaftsstandorte mit dem größten Wachstums­potenzial«.

»Eine Metzgerei oder ein Frisör wären auch nicht schlecht«

»Die reden jetzt auf einmal alle davon, Eh­renfeld sei sexy und ein Knaller-Viertel«, sagt Thor Zimmermann, der seit zwanzig Jahren hier wohnt. Sein Tonfall wirkt zugleich amüsiert und genervt. Zimmer­mann sitzt für die Wählervereinigung Deine Freunde im Rat der Stadt. Deine Freunde wollen eine neue Politik, ohne Klüngel. Aber eben auch die Stärkung von Kunst und Kultur. Nur eben nicht so, wie es sich die Wirtschaft und die Stadtspitze vorstellen, für die Kultur scheinbar bloß einen Wert hat, wenn sie Inves­toren anlockt.

Wenn Zimmermann nicht für Deine Freunde im Rat oder in den Ausschüssen sitzt, betreibt er sein Geschäft »Gemischtwaren« an der Körnerstraße. Es gibt Krimskrams von originellen Postkarten, über Platten und DVDs bis hin zu Kunst. Die Körner­straße, die von der Hauptverkehrsader Venloer Straße abgeht, ist das Zentrum der jungen Kreativen. An der Körner­straße reihen sich Bürogemeinschaften, Grafik-Design-Büros und Designerlädchen aneinander.

Hier wohnen, arbeiten und kaufen diejenigen, die von Soziologen dem »postmateriellen Milieu« zugeordnet werden. (Jeder Dritte im Stadtteil hat bei der letzten Landtagswahl grün gewählt, 13 Prozent mehr als stadtweit.) Sie kaufen Bio-Produkte, fahren Rad statt Auto, sind freie Journalistinnen oder Web­desig­ner und ästhetisieren ihren Alltag mit Design-Gegenständen von der Autohimmel-Tasche bis zum humorig bestickten Schlabberlätzchen fürs Baby. »Nichts gegen die kleinen Designlädchen«, sagt Thor Zimmermann. »Die finde ich putzig und schön, aber es wäre gut, wenn mal eine Metzgerei, ein Frisör oder eine Buchhandlung eröffneten.«

 

Krimskrams als Wirtschaftsfaktor

Politik, Wirtschaft und Kreative haben Ehrenfeld für sich entdeckt.
Was das für die Bewohner bedeutet, sagen Nava Ebrahimi und Bernd Wilberg

 

Zimmer­mann sitzt für die Wählervereinigung Deine Freunde im Rat der Stadt. Deine Freunde wollen eine neue Politik, ohne Klüngel. Aber eben auch die Stärkung von Kunst und Kultur. Nur eben nicht so, wie es sich die Wirtschaft und die Stadtspitze vorstellen, für die Kultur scheinbar bloß einen Wert hat, wenn sie Inves­toren anlockt.

 

Wenn Zimmermann nicht für Deine Freunde im Rat oder in den Ausschüssen sitzt, betreibt er sein Geschäft »Gemischtwaren« an der Körnerstraße. Es gibt Krimskrams von originellen Postkarten, über Platten und DVDs bis hin zu Kunst. Die Körner­straße, die von der Hauptverkehrsader Venloer Straße abgeht, ist das Zentrum der jungen Kreativen. An der Körner­straße reihen sich Bürogemeinschaften, Grafik-Design-Büros und Designerlädchen aneinander. Hier wohnen, arbeiten und kaufen diejenigen, die von Soziologen dem »postmateriellen Milieu« zugeordnet werden. (Jeder Dritte im Stadtteil hat bei der letzten Landtagswahl grün gewählt, 13 Prozent mehr als stadtweit.) Sie kaufen Bio-Produkte, fahren Rad statt Auto, sind freie Journalistinnen oder Web­desig­ner und ästhetisieren ihren Alltag mit Design-Gegenständen von der Autohimmel-Tasche bis zum humorig bestickten Schlabberlätzchen fürs Baby. »Nichts gegen die kleinen Designlädchen«, sagt Thor Zimmermann. »Die finde ich putzig und schön, aber es wäre gut, wenn mal eine Metzgerei, ein Frisör oder eine Buchhandlung eröffneten.«

 

Ist die Körnerstraße schon Teil des Albtraums? Eher nicht, denn die wenigsten hier sind Besserverdienende. Dennoch symbolisiert die Körnerstraße den Wandel im Viertel. Wo aber sind im ehemaligen Arbeiterstadtteil eigentlich diejenigen, die weder jung noch sonderlich kreativ sind? Das Schlagwort von der Gentrifizierung macht die Runde. Der Begriff beschreibt den Vorgang, wie in einem Viertel langsam die ärmeren Bewohner durch einkommensstarke ­ausgetauscht werden. Eine Erklärung dafür sind Sanierungen oder Eigentümerwechsel, die mit Mieterhöhungen einhergehen, so dass die Wohnungen für ärme­re Menschen zu teuer werden. Das Viertel verliert Vielfalt. Das Paradebeispiel ist der Prenzlauer Berg in Berlin. Irgendwann können sich die alteingesessenen Bewohner weder die Wohnungen noch die kulturellen oder gastronomischen Angebote mehr leis­ten. Der Stadtteil ist gentrifiziert. Die Kreative Klasse zieht weiter – oder linke Gruppen stecken die Autos in Brand, die sie sich selbst nicht kaufen können.

 

Der Soziologe und Stadtforscher Hartmut Häu­ßermann aus Berlin mahnt, nicht vorschnell von Gentrifizierung zu sprechen. »In der Industrie­ge­sell­schaft wollten die Menschen raus aus der Stadt, in der Dienstleistungsgesellschaft gibt es dort nun ei­ne kaufkräftige Nachfrage«, sagt Häußermann. »Gen­tri­fi­zie­rung ist zum politischen Kampfbegriff ­geworden, der oft nur einen Wandel beschreibt, der ­ohnehin eintritt.«

 

Ob Gentrifizierung oder nicht: Es ist ein Wandel, bei dem vieles auf der Strecke bleiben könnte, befürchtet Matthias Knopp, der auch zu den »Kollegen« an der Vogelsanger Straße gehört. »Ich will hier keine kreative Monokultur. Ich will, dass ich abends in der Zoo-Bar an der Venloer sitzen kann, und neben mir sitzen schräge Vögel aus dem Viertel, die mit Design und all dem nichts zu tun haben«, sagt er. »Kreative und Kreativität, das sind Begriffe, die meist sehr unreflektiert benutzt werden, und oft ist das ausgrenzend«. Knopp wehrt sich, von einer Politik vereinnahmt zu werden, die ein Stadtviertel zur Marke macht und die Kreativen instrumentalisiert.

 

Aber was bedeutet das eigentlich für die Mischung im Viertel, mit vielen Studenten und einem Drittel Migranten? Anders als im Belgischen Viertel, in der Südstadt oder in Sülz sei »keine Verdrängung, kein Einwohneraustausch festzustellen«, sagt Jürgen Becher, Geschäftsführer des Kölner Mietervereins. »Aber Ehrenfeld wird als Wohngebiet stärker nachgefragt.« Die Spann­breite der Wohnungen bezüglich Preis und Ausstattung sei sehr groß sei, sagt Becher. Die Kaltmieten lägen zwischen sechs und neun Euro pro Quadratmeter, viele Wohnungen gehörten Genossenschaften oder kleinen Vermietern. Die Heuschrecken, vor ­denen Gentrifizierungs-Apokalyptiker warnen, sind anscheinend noch nicht im Anflug.

 

Über hohe Mieten klagen derzeit aber die Besitzer kleiner Geschäfte an der Venloer Straße. Die Rheinische Immobilienbörse stuft die Einkaufsstraße als »sehr gute Vorortsgeschäftslage ein«, die Miete für ein Ladenlokal bis 50 Quadratmeter liegt bei 20 bis 35 Euro pro Quadratmeter. Das entspreche dem dem Niveau an der Dürener Straße in Lindenthal oder der Neusser Straße in Nippes und im Agnesviertel. Doch Einzelhändler klagen, dass die Mietpreise nicht im Verhältnis zur Kaufkraft stünden. Ein Bistro muss im Oktober schließen. Es sei die zweite Mieterhöhungsrunde in zwei Jahren gewesen, ist von dort zu hören. Neue Probleme befürchten die Geschäftsleute an der Venloer Straße, wenn auf dem Areal zwischen Gürtel und Heliosstraße eine riesige Shopping Mall gebaut wird. Die Bauwens-Gruppe mit IHK-Prä­sident Paul Bauwens-Adenauer will dort mit der Essener Entwicklungs- und Betreibergesellschaft mfi 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche errichten. In Kalk betreibt mfi eine Shopping Mall gleicher Größe. An der Kalker Hauptstraße haben viele alte Geschäfte seitdem dichtgemacht.

 

Jörg Detjen, Fraktionsvorsitzender der Linken im Rat der Stadt und wohnhaft in Ehrenfeld, engagiert sich mit Deine Freunde und den Grünen im Viertel gegen das Einkaufszentrum. »Es ist gar kein Bedarf für so eine Shopping Mall vorhanden. Das eigentliche Einkaufszentrum ist die Venloer Straße und die ist als solches noch gar nicht fertig«, sagt Detjen. »Die Investoren müssen sich fragen lassen, warum sie ausgerechnet dort eingreifen. Es müsste vielmehr da­rum gehen, Baulücken zu schließen statt neue Flächen zu erschließen.« Auch Christiane Martin, Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bezirksvertretung, fürchtet neben mehr Autoverkehr im Viertel eine »Abwärtsentwicklung auf der Venloer Straße«.

 

Die Bürgerinitiative macht derzeit mobil, eine Veranstaltung Ende Juni im Bürgerzentrum Ehrenfeld war überfüllt. Eine Besucherin, die offenkundig nichts mit der Kreativen Klasse zu tun hatte, forderte damals das Plenum auf, sich wirksame Protestformen auszudenken. »Wir sind doch das Viertel mit den Kreativen«, rief die Frau ins Plenum. »Da muss es doch Ideen geben!«. Es scheint, dass die Kreativen sowohl zum Albtraum wie zur Rettung des Viertels beitragen könnten.

 


Weitere Stadtteilporträts in der Stadtrevue:

→ Kalk (2011)
→ Mülheim (2012)
→ Porz (2013)
→ Nippes (2014)
→ Chorweiler (2015)
→ Deutz (2016)
→ Ehrenfeld (2017)