Mehr ist weniger
Jedes Mal die gleiche, ermüdende Rhetorik: Politik und Verwaltung zeichnen das Bild einer verschuldeten Stadt, die kaum ihren Aufgaben nachkommen kann. Gleichzeitig verkünden sie, man wolle bei den notwendigen Kürzungen »bestehende Strukturen erhalten« und »nicht mit dem Rasenmäher« vorgehen. Soll heißen: Es wird schlimm, aber wir verhindern das Schlimmste.
In den Wochen vor der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2010/2011 hat es heftige Proteste gegeben. Vertreter der Kultur und auch der sozialen Initiativen warnten vor Kürzungen – meist getrennt, vereint nur in der Wut auf eine Politik, der viele spätestens seit Einsturz des Historischen Archivs und obskuren Deals wie bei den Messehallen nicht mehr trauen.
Die Stadtspitze um OB Jürgen Roters (SPD) war bemüht, einen breiten Rückhalt für die Kürzungen zu finden. Im Juli und September wurden Vertreter von Initiativen aus den Bereichen Soziales, Kultur, Jugend, Sport und auch der Kölner Wirtschaft zur »Stadtkonferenz Haushalt« ins Rathaus gebeten. Tatsächlich fallen die Reaktionen nach der Verabschiedung des Haushalts der rot-grünen Ratsmehrheit gemäßigt aus. Am 27. September hatte sich Rot-Grün im Finanzausschuss mit den Änderungsanträgen durchgesetzt, der Rat verabschiedete den Haushalt dann am 7. Oktober – um zehn Uhr morgens und vor schwach besetzter Gästetribüne.
»Nachhaltigkeit« und »soziale Gerechtigkeit« waren die am stärksten strapazierten Begriffe in den Reden von SPD und Grünen, um die Leitlinien des Haushalts zu erklären. Und immer wieder das Mantra, dass die Finanzprobleme auf die alte CDU/FDP-Landesregierung und die Bundesregierung zurückgingen, weil von dort nicht genug Geld für die Aufgaben überwiesen würde.
Die Sozialausgaben belasten die Städte stark, etwa für die Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat im Wahlkampf mehr Geld für die Kommunen versprochen. Tatsächlich hat die Landesregierung gerade allein Köln 18,2 Millionen Euro zugesagt.
Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen hat Rot-Grün eine Kulturförderabgabe beschlossen, die Hoteliers künftig abführen müssen – eine Reaktion auf deren reduzierten Mehrwertsteuersatz. Das Geld soll in den Kulturetat fließen. »Gäste kommen in der Regel nicht wegen der tollen Hotels in diese Stadt, sondern wegen der attraktiven Angebote der Stadt«, sagte Martin Börschel, SPD-Fraktionschef im Rat, in seiner Haushaltsrede. Im kommenden Jahr soll die neue Steuer rund sieben Millionen Euro bringen, doch der Hotel- und Gaststättenverband will klagen.
Ermöglicht wird die Rücknahme der angekündigten Kürzungen vor allem durch die Erhöhung der Gewerbesteuer. Sie ist die wichtigste Einnahmequelle der Städte und Gemeinden. Bei einem Wirtschaftsaufschwung wie derzeit spült sie Geld in die Kassen, beim nächsten Abschwung drohen erhebliche Verluste. Rot-Grün hat nun den Hebesatz dieser Steuer für Köln erstmals seit über zwanzig Jahren um 5,6 Prozent erhöht. Die Wirtschaft, so die Begründung, müsse sich an der Konsolidierung beteiligen.
Bislang galt eine Erhöhung auch bei Grünen und SPD als Tabu. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Barbara Moritz nennt diese Entscheidung »schmerzlich«, denn »Standortattraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sind ein hohes Gut«. Gerade diese sehen CDU und FDP nun gefährdet. Einzig die Linke-Fraktion plädiert seit Jahren für eine erhöhte Gewerbesteuer.
Kritik übt die Linke auch am Zahlenwerk. Ihr Fraktionsvorsitzender Jörg Detjen führt das Beispiel einer Familienberatungsstelle am Hansaring an. Offiziell bleibe dort alles wie gehabt, doch ergebe sich eine zehnprozentige Kürzung, wenn man die Personalkosten berücksichtige. »Im Haushalt müssen die realen Lohnkosten inklusive Lohnsteigerungen berücksichtigt werden«, fordert er.
Soziale Einrichtungen müssen 2010 und 2011 im Schnitt mit acht Prozent weniger Geld auskommen als 2009. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, weil eben die Tarifkostensteigerungen teils kompensiert werden, teils nicht. Betrachtet man den Zuschusstopf für freie Träger, die im sozialen Bereich freiwillige Leistungen übernehmen, so schmilzt dieser von sieben Millionen Euro im vergangenen auf 6,7 Millionen Euro in diesem und 6,6 Millionen Euro im kommenden Jahr.
Größere Träger müssen einen höheren Einsparbeitrag leisten als kleinere. Auch bei den Bürgerzentren sind die Kürzungen gestaffelt. Die Alte Feuerwache etwa wird stärker belastet als Zentren in sozialen Brennpunkten wie Porz-Finkenberg. Die freie Seniorenarbeit, die zunächst um die Hälfte zusammengestrichen werden sollte, bleibt weitgehend verschont.
Rot-Grün ist also nicht »mit dem Rasenmäher« über die soziale Infrastruktur gefahren. Priorität setzen die Parteien unter anderem bei der Jugendarbeit. Margret Hees von der Arbeitsgemeinschaft der Offenen Tür, zu der sich sechzig Kölner Jugendeinrichtungen zusammengeschlossen haben, sagt, sie seien »mit einem blauen Auge davongekommen«. Hees zufolge muss die offene Jugendarbeit mit Kürzungen von rund 1,5 Prozent leben, das sei verkraftbar. »Die Proteste der Jugendlichen haben Wirkung gezeigt.«
Zwar macht sich Erleichterung breit; zurückschrauben müssen aber alle. So hat etwa die städtische Beteiligungsgesellschaft Jugendzentren Köln einige Angebote gestrichen und Honorarkräfte entlassen. Und das einzige Angebot speziell für drogenabhängige Frauen im Café Viktoria (StadtRevue 6/2010) steht auf der Kippe, weil auch die Drogenhilfe Köln Personal einspart.
Mit einem blauen Auge kommt auch die Kultur davon. Wie nun bei der Verteilung innerhalb des Ressorts feinjustiert wird, diskutiert der Kulturausschuss allerdings erst im Dezember. Der Vernunft auf die Sprünge geholfen hat die Aussicht auf Einnahmen durch die Kulturförderabgabe. Mit einer Million Euro aus diesem Topf wollen Verwaltung und Politik die auf Eis gelegte »Akademie der Künste der Welt« doch noch auf den Weg bringen.
Die freie Szene darf aufatmen. 2010 bleibt die Kürzung unter fünf Prozent, 2011 liegt sie bei 800.000 Euro, aber real (durch Einsparungen beim Tanzhaus) bei 300.000 Euro, erklärt Kulturamtsleiter Konrad Schmidt-Werthern. »Das ist eine große Erleichterung, die angesichts der Finanzlage Kölns hoch zu würdigen ist.« Dennoch sollte man den jetzigen Beschluss nüchtern betrachten: Wenn erst dreißig, dann zehn oder zwanzig Prozent im Raum stünden, seien fünf Prozent natürlich grandios. Gerade der freien Szene hätte man durch frühzeitige Klarheit eine Menge erspart.
Die befürchtete Katastrophe bleibt erst mal aus. Doch der aktuelle Doppelhaushalt ist nur die erste Runde, schließlich hat OB Roters eine Konsolidierung bis 2020 angekündigt. Beim nächsten Einbruch der Gewerbesteuer könnte es zu Kürzungen kommen, die Anlass zu länger anhaltenden Protesten bieten.
Die Stadtspitze weiß darum, Rot-Grün will die Bürger weiter beteiligen. Der Bürgerhaushalt wird fortgeführt, und erstmals sollen die Bürger auch Kürzungsvorschläge machen. Das Konsolidierungsprogramm, so die Grünen-Fraktionschefin Barbara Moritz, könne nur gelingen, »wenn alle die Forderungen an das Gemeinwesen stellen, auch den Mut haben, zu sagen, wo das zusätzliche Geld denn herkommen soll«.