Historismus und Slapstick: Das Ensemble gibt »Oblomow«; Foto: Manfred Wegener

Vertane Liebe zum Sonderling

Halle Kalk: Alvis Hermanis inszeniert Gontscharows Müßiggänger-Roman Oblomow

Es ist, als blicke man in ein Puppenhaus, auf das Bühnenbild eines Marionettentheaters oder eines englischen Musicals. Wer das deutsche Regietheater gewohnt ist, reibt sich die Augen: Man kennt solch eine detailgetreue Ausstaffierung mit entsprechenden Details nicht mehr, mit Kulissen und Requisiten, die ein historisches Setting – Russland, Mitte des 19. Jahrhunderts – scheinbar haargenau abbilden. Denn auf unseren Theaterbühnen wird die Historisierung gemieden, wie der Teufel das Weihwasser meidet.
Der lettische Regisseur Alvis Hermanis schert sich darum nicht. Mehr noch: Er forciert das Pittoreske und verziert seine Guckkas­tenbühne mit einem hübschen Rahmen, der auch das Heiligenbildchen in der Zimmerecke rahmen könnte. Er überzeichnet das Erscheinungsbild seiner Figuren so sehr, mit Kostümen, künstlichen Buckeln und Hintern, bis sie aussehen wie das Karikaturenpersonal bei Dickens oder Balzac – oder eben bei Iwan Gontscharow, dem Autor des 1859 erschienenen Romans »Oblomow«.

 


Oblomow, die Hauptfigur, mit dessen Psychologie dieser Stoff steht und fällt – oder besser: liegt, immer am liebsten liegt – ist vernarrt in den Stillstand, in den Müßiggang und die Gewohnheiten eines Alltags ohne Ziel, ohne Anfang und Ende. Deshalb muss er allein bleiben mit sich und seinem ebenso untätigen Diener Sachar, unfähig zur dauerhaften Freundschaft mit anderen, überwältigt und überfordert von der Liebe, als diese ihn erfasst. An dem Aufruhr, den sie in ihm auslöst, an ihrem Ende leidet er mehr, als Ojlga (Dagmar Sachse) – obwohl er es ist, der sie zurückweist.

 


Dieser immermüden Figur ist das Bildhafte und Nostalgische eingeschrieben. Konsequent ist deshalb die Langsamkeit und Handlungsarmut des Stücks, seine schiere Dauer von dreieinhalb Stunden. Dass aber die Figuren dabei zu Typen, zu Karikaturen gerinnen müssen, leuchtet nicht ein. Denn die Dramatisierung dieses monumentalen Prosastoffs funktioniert nur dort, wo ihr Personal mit einer hinreichend differenzierten Psychologie ausgestattet ist und die Darsteller diese zeigen. Das gelingt Gundars Abolins in der Titelrolle noch blendend, Martin Reinke als Unternehmer Stolz nur, weil er ein großartiger Schauspieler ist, aber Albert Kitzl als Sachar schon kaum mehr.

 


Sie alle kämpfen an gegen das Puppenhafte ihrer Rollen, das sie zugleich auch ausstellen. Denn Alvis Hermanis’ sehr sympathische Liebe zu den Antihelden, sein Mitgefühl für die Sonderlinge, wird leider zu oft verspielt von der Groteske und dem Slapstick, den seine Inszenierung zulässt.